Wilfred Kigen, Titelverteidiger beim Hamburg-Marathon, über seine Heimat, seine Geldanlagen und seine Pläne für die Zukunft.

Hamburg. Ein bisschen an der Alster joggen, vielleicht einkaufen gehen. Wilfred Kigen, 36, weiß noch nicht recht, wie er den heutigen Sonnabend verbringen will. Für Sonntag steht sein Programm. Beim Haspa-Marathon geht er um neun Uhr als Titelverteidiger an den Start. Kigen ist aufgewachsen in mehr als 2000 Meter Höhe nahe der Stadt Eldoret in Kenia, jetzt lebt er in Ngong. Seine Frau Hilda arbeitet als Deutschlehrerin. Die beiden haben zusammen fünf Kinder.

Abendblatt:

Herr Kigen, Sie starten zum siebten Mal in Hamburg. Warum kommen Sie immer wieder hierher zurück?

Wilfred Kibet Kigen:

Weil es mir hier sehr gut gefällt. Die Strecke ist schön und flach. Und es kommen viele Zuschauer, die einen aufmuntern. Mehr auch als in Frankfurt, wo ich dreimal gewinnen konnte.

Das Rennen findet diesmal im Mai und nicht im April statt. Hat das Ihre Entscheidung schwerer gemacht?

Kigen:

Ich habe mich schon darüber gewundert, aber Renndirektor Wolfram Götz hat mir die Umstände erklärt. Die meisten meiner Frühjahrsrennen bin ich im April gelaufen, wenn es nicht allzu warm ist. Ab 20 Grad ist ein Marathon nicht das Wahre. Meine Ergebnisse in der Wärme sind nicht gerade stark.

Wer entscheidet darüber, bei welchem Rennen Sie starten?

Kigen:

In erster Linie mein Manager Gerard van de Veen. Er macht mir Vorschläge. Aber natürlich hat der Athlet ein Mitspracherecht. Als er mich vor drei Monaten gefragt hat, ob ich wieder in Hamburg starten möchte, habe ich gesagt: Kein Problem!

Dabei haben Sie auch ungute Erinnerungen. 2007 mussten Sie sich Ihrem Landsmann Rodgers Rop im Schlussspurt um nur eine Sekunde geschlagen geben.

Kigen:

Das habe ich nicht vergessen. Er war schon sehr weit vor mir, ich konnte ihn nicht einmal sehen. Ich habe aufgeholt, was mich eine Menge Energie gekostet hat. Er hatte offenbar auf den letzten Metern noch ein paar Reserven. Das war eine große Enttäuschung.

Wie sieht Ihre Vorbereitung auf einen Marathon aus?

Kigen:

Es ist wirklich hart. Man muss neben einigen langen Läufen über 12, 15 Kilometer auch Tempoblöcke einbauen: 15-mal 1000 Meter, dazwischen vielleicht fünf Minuten Pause.

Wofür geben Sie Ihr Preisgeld aus?

Kigen:

Ich habe ein bisschen Land gekauft und eine Wohnung, die ich vermiete. Laufen ist in Kenia einer der besten Wege, um zu Geld zu kommen. Mit einer normalen Arbeit verdient man vielleicht 100 Euro. Aber viele haben gar keine Arbeit. Ich unterstütze und trainiere einige junge Läufer in der Hoffnung, dass sie eine Karriere aufbauen können. Bei mir war es 1998 mein Cousin Wilson Boit Kipketer ( ehemaliger Hindernis-Weltrekordler, die Red. ), der mich ermunterte zu laufen.

Können Sie begreifen, dass am Sonntag in Hamburg 16 000 Menschen nur zum Spaß einen Marathon laufen?

Kigen:

Das wäre in der Tat bei uns in Kenia nur schwer vorstellbar. Laufen als Freizeitbeschäftigung kommt in den Großstädten erst allmählich auf. Es gibt zwar auch große Marathonläufe: in Nairobi, Mombasa, Kisumu. Aber die wenigsten, die dort starten, laufen zum Spaß, sondern streben eine Karriere an. Sie wollen entdeckt werden. Das Problem besteht darin, einen Manager zu finden, dem man vertrauen kann.

Warum ist er so wichtig?

Kigen:

Um in Europa starten zu können, braucht man eine Registrierung des Verbandes. Sie kostet den Manager pro Jahr 2000 bis 3000 Dollar. Nur wer gute Beziehungen zu Rennveranstaltern hat, kann seine Karriere selbst organisieren.

Einige Ihrer Landsleute gehen der großen Konkurrenz aus dem Weg und starten für Ölstaaten wie Katar. Können Sie sich das auch vorstellen?

Kigen:

Nein. Soweit ich weiß, sind diese Jungs inzwischen alles andere als glücklich und würden am liebsten zurückkommen. Katar wollte Athleten haben, um damit seine Bewerbung um die Olympischen Spiele zu befördern. Aber nachdem Doha für 2016 gescheitert ist, haben sie das Interesse an den Athleten verloren. Katar richtet seine Aufmerksamkeit und seine Anstrengungen jetzt vor allem auf die Fußball-WM 2022.

Wie viele Athleten in Kenia haben derzeit Ihr Niveau im Marathon?

Kigen:

Meine aktuelle Ranglistenposition kenne ich nicht. Ich schätze, ich liege so um Platz 50.

In Deutschland wären Sie mit großem Abstand die Nummer eins. Haben Sie einen Tipp für die deutschen Athleten?

Kigen:

Sie sollten nach Kenia kommen und mit uns trainieren. Ich habe auch viele Athleten aus den Niederlanden zu uns kommen sehen, die sich extrem verbessert haben. Aber man muss bereit sein, sich ganz dem Sport zu verschreiben und die Regenerationszeiten einzuhalten. Du hast dort starke Jungs, die mit dir trainieren. Diese Konkurrenz beflügelt. Die brauchst du aber auch, um schneller zu werden. Es ist ein harter Weg, den nur wenige Europäer bereit sind zu gehen.

Woran denken Sie während eines Marathons?

Kigen:

An mein Rennen. Der größte Fehler wäre, die Konzentration zu verlieren. Aber natürlich bekommt man die Atmosphäre mit. Und ich behalte die anderen Jungs im Auge.

Sie sind jetzt 36. Welche Karriereziele haben Sie noch?

Kigen:

Alles ist möglich - auch die Teilnahme an den Olympischen Spielen 2012 in London. Die Entscheidung fällt bei uns im nächsten Frühjahr. Wenn man eine gute Zeit vorlegt, kann es passieren, dass der Verband kommt und sagt: Wir wollen dich! Auf jeden Fall plane ich, noch vier Jahre zu laufen. Danach will ich mich um die Sichtung junger Talente kümmern und sie meinem Manager vermitteln.