Riederalp. Die Schweizer Aletsch-Arena ist in der Hand von Skifahrern. Aber abseits der Pisten finden Wanderer ruhige und zauberhafte Plätze.

„Wer wandern kann, der kann auch mit Schneeschuhen gehen!“, sagt Ed. Mit ihm geht’s nach oben. Anders als mit Schneeschuhen kommt man abseits der Pisten ohnehin nicht vorwärts. Die sind für den Skisport präpariert, wer abgelegen unterwegs sein will, muss sich seinen Weg selbst suchen. Eine Gondelbahn bringt die Leute hinauf auf die Kante; nach oben auf die Aletsch-Arena. Der Blick reicht auf die Viertausender der Alpen im Schweizer Kanton Wallis und auf die Gipfel des ­Berner Ober­landes. Also: Schneeschuhwandern mit dem Matterhorn im Blick.

Hohfluh, Moosfluh oder Bettmerhorn, auch Eggishorn, so heißen die Bergstationen im Liftbetrieb der Aletsch- Arena; gelegen oberhalb des Tals der jungen Rhone, dann stürzt der Bergrücken auf der anderen Seite hinab ins Tal des mächtigen Aletschgletschers. Die Aletsch-Arena ist fest in der Hand von Skifahrern, eine Handvoll Leute fährt mit den Bergbahnen hinauf, um auf bis zu 3000 Höhenmetern in der Sonne zu sitzen, ein wenig spazieren zu gehen und eine grandiose Aussicht zu genießen.

Oder um zu wandern. Am besten mit einem Wanderleiter wie Ed und mit Schneeschuhen, dann kann man gehen, wohin man will.

Ein tiefes Blau von Gipfel zu Gipfel

Fast kann man gehen, wohin man will. Aus Sicherheitsgründen gesperrte Gebiete dürfen natürlich nicht betreten werden, und die Warnungen des Lawinenwarndienstes sind selbstverständlich zu beachten. Dann steht einem Wintervergnügen nichts mehr im Weg. Und überhaupt: Wer mit Führung geht, ist gut aufgehoben. Edelbert „Ed“ Kummer, ­pensionierter Lehrer und ehemaliger Tourismusdirektor dieser Gegend, Skilehrer und bald 80 Jahre alt, kennt die ­Gegend wie wohl kaum ein Zweiter.

So oft es ihm möglich ist, schnallt er seine Schneeschuhe unter und geht los. Er bietet Touren an und hat eine Idee: „Hier oben vom Bettmerhorn gehen wir über den Gratweg hinunter zur Riederfurka. Vielleicht auch in den Aletschwald.“ Ein tiefes Blau spannt sich über den wolkenlosen Himmel von Gipfel zu Gipfel, der Himmel ist so klar, dass die Berge zum Greifen nah auf dieser Bühne stehen.

Stille – nur der Schnee knirscht wie Styropor, das man reibt

Vom Weg auf dem Grat reicht der Blick auf eines der schönsten Panoramen der Alpen: linker Hand also die Walliser Alpen mit ihren Viertausendern wie dem Dom und eben dem Matterhorn, das als Wegmarke den gesamten Tag die Route weist, sowie dem ebenfalls schönen Weisshorn. Rechter Hand der Blick auf die Berge des Berner Oberlandes. Die Gipfel rundherum gehören zu den höchsten der Alpen, und es ist ein erhabenes Gefühl, unter ihrer Ansicht zu wandern.

Sobald die Bergstation mit all den Skifahrern aus dem Blickfeld verschwindet, herrscht eine tiefe Stille. Der Schnee knirscht wie Styropor, das man reibt. „Daran kann man sogar die ungefähre Temperatur des Schnees erkennen“ sagt Ed, „… je kälter, gefrorener der Schnee ist, desto mehr knirscht er – das ist die Musik der Schneeschuhe.“

Auch ohne Übung geht es schnell voran

Schneeschuh-Tour am Aletsch.
Schneeschuh-Tour am Aletsch. © picture alliance / prisma | Sonderegger Christof

Immer wieder kreuzen Tierspuren den Weg, den Schneeschuhwanderer vor uns gespurt haben. Nur wenige Menschen scheinen hier auf diese angenehme, entspannende Art unterwegs zu sein. Weite Flächen sind unberührt, wir haben das Feld für uns. Das bedeutet aber auch: Wir müssen im tiefen Schnee unseren Weg neu suchen, und mancher Schritt sinkt bis zum Knie ein – trotz der Schneeschuhe, die mit ihrer großen Fläche ein Absinken verhindern sollen.

Auf eine andere Art fortkommen, das geht hier ohnehin nicht. Zumeist aber ist es ein angenehmes, gutes Gehen mit den Schneeschuhen. Und Ed hat recht, es geht auch, ohne vorher groß geübt zu haben. Auf Schneeschuhen kommt man an Stellen, zu denen andere Wanderer nicht gelangen – viel zu tief ist der Schnee. Und mit Langlaufski ist man mindestens an die Loipe gebunden. Der Schneeschuhwanderer aber kann in aller ­Ruhe winterliche Natur genießen.

Ed liest die Tierspuren aus dem Schnee

Spuren vom Hasen erkennt Ed, ein Fuchs ist diesen gefolgt; auch das liest Ed heraus. Die Tiere selbst wird man kaum sehen, gewiss auch deshalb, weil manch ein Schneehase im Winter ein weißes Fell trägt. „Mit Glück kann man Gämsen und Birkhühner sehen“, sagt Ed, „mit viel Glück sogar Schneehühner und Schneehasen – aber nur wenn sie sich bewegen!“ Ed, roter Anorak, Rucksack, geht voraus. Rund 400 Höhenmeter hinab werden es am Ende sein, eine recht entspannte Geschichte.

Nun führt der Weg zwischen Felsen. Nach dem flutenden Licht auf der freien Fläche folgt ein Zwielicht, ein beinahe düsteres Blau. Schimmernder Schnee im Schatten. Die Felsen stehen hochkant und sind haushoch, es ist eine abwechslungsreiche Folge von Licht und Schatten, von Schönem und Schroffem, ein kurvenreiches Vortasten ins Staunenswerte. Man mag sich gern verlieren in diesem Labyrinth und sollte doch die Spuren von Ed im Auge behalten, denn manch Schneeverwehung hängt über dem Weg.

Wer entspannt genug ist, hat die Zeit, genauer hinzusehen

Je weiter wir hinabsteigen, desto öfter ragen Bäume aus dem Schnee. Hauptsächlich Zirbelkiefern, die Arven, seltener Lärchen und vereinzelte Tannen; robustes Zeug, Pioniere an der Baumgrenze. Fast stolpere ich über einen Baumwipfel, der fast verborgen aus dem Schnee lugt. Um halbwegs groß zu werden, muss es hier oben ewig wachsen – knorrig, bisweilen verbogen ins Skulpturale, manche uralt.

Und nicht nur deshalb ist der Wald am Aletsch ein zauberhafter: einsam, verwunschen und unberührt, dicke Mützen aus Schnee auf den Zweigen und immer wieder rieselt was runter, das glitzert im Sonnenlicht wie millionenfach hingeworfene Diamanten. Tierspuren führen kreuz und quer, von irgendwo nach nirgendwo, und nur die Tiere selbst wissen, woher und wohin. Die Fährte eines Marders verschwindet in einer Schneehöhle – ist er einer Maus gefolgt? Ganz gewiss haben die Tiere ihre verborgenen Tunnel und Wege unten im Schnee.

„Die Langsamkeit, die Muße“

Überhaupt, das Verborgene. Das, was man auf den ersten Blick nicht sieht; das dann Überraschende – die Tierspuren, das Felsenlabyrinth, einen Iglu. Solche Momente, dieser Blickwinkel, sind das Schöne am Gehen mit Schneeschuhen. „Die Langsamkeit, die Muße“, sagt Ed, und wer entspannt genug ist, hat die Zeit, genauer hinzusehen. Wer kann schon auf Skiern den Spuren von Birkhühnern folgen oder hat auf der Abfahrt Gelegenheit dazu. Auch Schneeschuhwanderer brauchen eine Menge Glück, neben den Fährten und Pfotenabdrücken ihre Verur­sacher zu sehen oder zu hören.

Aber es ist eben nicht ausgeschlossen. Und das Potenzial, allein die Möglichkeit und Chance, das Verborgene zu sehen, ihm im wahren Wortsinn auf die Spur zu kommen, auf die Schliche im stillen Wald, macht diese Art der Fortbewegung zu einer sehr besonderen und schönen. Und eben das fantastische Panorama.

Wege beschreiten, die andere nicht gehen können

Für sportliche Naturliebhaber ist Wandern mit Schneeschuhen vielleicht die sinnvollste Art des Wintersports. „Das Gehen mit den Stöcken – und damit musst du, wenn du es richtig machst, arbeiten – fordert den ganzen Körper. Das ist Stressabbau. Wenn ich unterwegs bin, geht es mir gut; das hält gesund. Hier kann ich abschalten und Kraft tanken!“ Das sagt Ed und spurt einen Weg zwischen den vereinzelt stehenden Bäumen.

Er schaut hin, geht vorsichtig und überlegt, und gewiss freut sich auch Ed über den Blick auf das ferne Matterhorn. Dies hier ist auch eine Form der gewollten Langsamkeit, der Entschleunigung; hier geht nichts schnell, hier geht es bewusst. Und Wege zu beschreiten, die andere nicht gehen können, ist eine große Freiheit. Aus Sicherheitsgründen gesperrte Gebiete natürlich ausgenommen.

In den Mulden und zwischen den Bäumen steht die Luft eiskalt

Murmeltiere und Steinböcke bleiben verborgen, auch ihre Spuren. Die ersten ruhen fest, die zweiten sind weiter ins Tal hinabgezogen. Und wer Gämsen sehen möchte, muss auf Hänge achtgeben, die nach Süden zeigen. Später, unterhalb der Felsen am Hohfluh, könnte es mit Glück etwas werden. Nun ist die Riederfurka erreicht, das Gasthaus lädt mit der Sonnenterrasse zur Rast.

An den Dachrinnen der Nordseite, dort im Schatten sitzt niemand, hängen gewaltige Eiszapfen, die Wegweiser stehen bis zur Spitze im Schnee. Es ist bereits Nachmittag, und die Schatten werden länger. In den Mulden und zwischen den Bäumen steht die Luft eiskalt und ist erfüllt von einem feinen Glitzern staubzarter Eiskristalle. Die Luft scheint von innen her zu strahlen.

Ed hat sich verabschiedet, und ich ­gehe den Wanderweg hinauf auf den Grat zurück. Es ist still, ­alle Leute sind längst fort. Sitzen vielleicht am Feuer, dessen Duft noch leise zu erahnen ist. Dann ist nur noch Eishauch und Abendblau, der Schnee glitzert in der letzten Sonne und färbt sich rosa, apricot, schließlich violett.

Die Spitzen von Hohstock und Sparrhorn färben sich wie Kupfer. Kein Windhauch weht, und es raschelt ganz leise unten im Schnee – ein verborgenes Tier. Es senkt sich allein die Nacht. Schleicht sich heran; blau und eiskalt. Und es wird mir warm ums Herz, als die Berge langsam im Abend aufleuchten; mystisch und voller Magie. Ich habe das Matterhorn im Blick, und es kribbelt nicht wegen der Kälte allein. Über allen Gipfeln ist Ruh.

Tipps & Informationen

Anreise mit der Bahn: Fernverkehr bis Brig, Lokalbahn vom Bahnhofsvorplatz bis Mörel, mit der Gondelbahn auf die Riederalp. Mit dem Auto: auf der A12 Richtung Genfersee, dann A9 ins Wallis über Montreux und Martigny weiter nach Brig, weiter bis Mörel.

Unterkunft z. B. Hotel Walliser Spycher auf der Riederalp. Traditionelles, gehobenes Hotel mit sehr guter Küche; DZ Ü/F im Winter ab 220,- CHF

Schneeschuhwanderung mit „Ed“ Kummer bis ein, zwei Wochen nach Ostern, inkl. Schneeschuhe und Stöcke 35,- CHF. www.wandersport.ch

Auskunft www.aletscharena.ch, www.myswitzerland.com

(Die Reise erfolgte mit Unterstützung durch Schweiz Tourismus/Frankfurt.)