Wacholder, Birken, Erlen und unendliche Heide. Der 105 000 Hektar große Naturschutzpark ist ein Paradies für Wanderer und Pferdefreunde.

Prinz ist unzufrieden. Immer wieder wiehert er laut und schüttelt dabei seine mächtige Mähne, während Rocky brav über den Sandweg läuft. "Sein Kumpel, mit dem er sonst zusammen ist, hat heute Pause", erklärt Jürgen Hillmer, "und das passt Prinz nicht." Gelassen fügt er hinzu: "Aber er macht ja seine Arbeit." Diese Kutschpferde würden oft "als gemütliche Trottel angesehen", sagt der erfahrene Kutscher, aber das würde nicht stimmen. Die Tiere, eine Kreuzung aus Warm- und Kaltblut, registrierten beispielsweise Veränderungen in der Landschaft ganz genau. Und eben auch, wenn der gewohnte Partner nicht dabei ist.



Den 53-jährigen Niederhaverbecker hat es nie fortgezogen aus dem kleinen Heideort. Seit 1971 zuckelt er mit seinen Gespannen über die Heide, durch jenen 105 000 Hektar großen Naturpark zwischen Winsen im Norden und Soltau im Süden, zwischen Schneverdingen im Westen und Amelinghausen im Osten. Hillmer ist einer der zertifizierten Heidekutscher, bei denen man sicher sein kann, dass sie nicht nur den schnellen Euro machen wollen. Während früher pro Hof nur zwei Kutschen pro Bauerhof erlaubt waren, als Zubrot für die Altenteiler, gab es in den vergangenen Jahren regelmäßig Beschwerden über ortsunkundige Kutscher, die kaum Bescheid wussten über die Region. "Es war sehr kommerzialisiert", sagt Mathias Zimmermann, Geschäftsführer des Vereins Naturschutzpark e.V. (VNP), einer der ältesten privaten Naturschutzorganisationen Deutschland, die in diesem Jahr 100 Jahre alt wird.

Nun heißt es im Kutschergewerbe wieder Klasse statt Masse - das Gütesiegel steht für feste Preise, TÜV-geprüfte Kutschen, gesunde Pferde sowie Kutscher, die ein Seminar besucht haben und sachkundig über die größten zusammenhängenden Heideflächen Europas zu erzählen wissen.


Hillmer hat das Seminar auch besucht. "Aber das wusste ich alles schon", sagt er und lächelt ein bisschen verächtlich. Schließlich lebt er von Geburt an hier, kennt die Geschichte der Region und der meisten Familien und ihrer Höfe.


Wer sich den typischen Heidebesucher mit Kniebundhosen und Wanderstock vorstellt, wie er mit Rucksack durch die Lande zieht, ist nicht mehr auf dem Laufenden. "Viele Ältere wandern nicht mehr, sie fahren heute Fahrrad", sagt Hillmer. Während die Kutsche langsam von Niederhaverbeck Richtung Wilsede rollt, mal über Sandwege, dann wieder über Kopfsteinpflaster, fahren immer wieder Autos vorbei. Dabei ist das kleine Heidedorf mit seinen 32 Einwohnern eigentlich so gut wie autofrei. Und Wilsede ist ein Muss. In die Heide zu fahren und Wilsede auszulassen, sei wie nach Paris zu fahren und den Eiffelturm nicht zu sehen, heißt es unter Heideliebhabern. Während der Eiffelturm aber mit der Metro zu erreichen ist, muss man sich in das pittoreske Dorf, das höchstgelegene im nordwestdeutschen Tiefland, zu Fuß, per Fahrrad, Pferd oder Kutsche aufmachen.


Das Auto kann man auf einem der Großparkplätze, beispielsweise in Niederhaverbeck, Oberhaverbeck oder in Undeloh (Parkgebühr 3 Euro für den ganzen Tag) stehen lassen. "Die Bewohner von Wilsede dürfen aber reinfahren und auch der Lieferverkehr ist erlaubt", erklärt Hillmer. Allerdings komme es auch vor, dass Ortsfremde in einem Sandweg stecken bleiben: "Auf schlechten Navigationsgeräten ist die Zufahrt nach Wilsede nämlich erlaubt."


In dem Ort, der aussieht wie vor 100 Jahren, endet die Kutschfahrt. Das 1907 gegründete Heidemuseum "Dat ole Hus" zeigt, wie ein Heidehof damals aussah. "Dass Menschen so leben konnten!", denkt man beim Verlassen des im Innern rauchgeschwärzten Gebäudes bei sich - allerdings mit einem amüsierten Lächeln. Dieses zaubert ein alter Speiseteller auf das Gesicht, der in einer Glasvitrine ausgestellt ist. Auf dem Schild daneben steht: "Gestohlen im Heidemuseum zu Wilsede." Schon immer verpflegte der angeschlossene Gasthof "Zum Heidemuseum" die müden Wanderer. Weil das blumenbemalte Geschirr vielen als Souvenir gefiel, wurde es oft geklaut.. Den Gasthof gibt es immer noch, hier kann man den ganzen Tag über regionale Spezialitäten kosten, Heidschnucken- und Wildgerichte. Das Hausservice ist aber inzwischen ein anderes. "Geschirr wird nicht mehr gestohlen", sagt der Wirt Rolf Krug, "aber das Klopapier". Rucksack oder Tasche auf, Rolle rein und ab in die Heide, das scheint für viele den Reiz des Ausflugs zu erhöhen.


Dabei ist die Natur selbst reizvoll genug. Wacholder, Birken, Erlen stehen mal wie Solitäre in der Landschaft, mal formieren sie sich zum Wäldchen. Und es gibt Tage, da glitzert der Morgentau im Spinnennetz. Denn in den Senken steht morgens oft noch leichter Nebel. "Jede Jahreszeit hat hier ihren Reiz", sagt VNP-Chef Zimmermann, "nicht nur die Zeit der Heideblüte."


Im Totengrund, südlich von Wilsede, ist das Beste der Heide vereint. Der Totengrund verdankt seinen Namen der Tatsache, dass er für die Heidebauern nicht nutzbar war - extreme Hanglage und viel zu viele Steine. Tatsächlich ist es ein Tal wie von einer anderen Welt, von oben blickt man in die Senke, die die Sonne in ein mystisches Licht taucht. Schöner geht es nicht.


Wer noch nie in der Heide war, bekommt von Mitte Juli an im neuen Naturinformationszentrum in Undeloh kostenlos eine Einführung in die Region. Und mit diesen Informationen ausgerüstet, kann man gleich in die Heide starten.