Die Flensburger Förde bietet einen perfekten Mix aus Naturerholung und Geschichtsunterricht und ist schnell aus Hamburg zu erreichen.

Von der Flensburger Förde ist unter Hamburgs Ausflüglern eher selten die Rede, Städte wie Sønderborg oder Aabenraa können Hamburger kaum astrein buchstabieren. Flensburg, bei dem Namen denken die meisten an Bier und Straßenverkehrsdelikte. Das reicht.

Dass die Förde, dänisch Flensborg Fjord, mit ihren verschlungenen Buchten und den insgesamt rund 50 Kilometern Küstenlinie in zwei Ländern bislang nicht zu den Top-Destinationen der Hanseaten zählt, hat aus Sicht des Ankömmlings vor allem Vorteile. Die Region ist selbst am Wochenende nicht so vollgepackt wie St. Peter, nicht so exklusiv wie Sylt, nicht so gesetzt wie Timmendorf. Dabei ist sie leicht erreichbar. Und bietet ein Flair, in dem sich Ostseeidyll und deutsch-dänische Grenzmentalität aufs Reizvollste verbinden. Sei es das kernige Wetter mit seinen mitunter "grauräudigen Wolken", die Wolf Biermann (ein Dauergast in der Gegend) 2006 in seinen "Heimat"-Gedichten beschwor. Sei es das Essen, dem Siegfried Lenz (ein anderer Dauergast) in seiner Erzählung "Jütländische Kaffeetafeln" ein Denkmal setzte. Siegfried Matlok nennt es schlicht "die maritime Natur von Land und Leuten".

Matlok, 65, ist Chefredakteur der Tageszeitung "Nordschleswiger" in Aabenraa, der Zeitung der deutschsprachigen Minderheit in Nordschleswig, seit 32 Jahren schon. Kaum jemand kennt die Küstenseele der hiesigen Nordlichter besser als er. Über die Schönheit der romanischen Stadtkirche von Broager (deutsch: Broacker), des Gendarmenpfads, des Yachthafens von Dyvig kommt er schnell ins Schwärmen. Was ihm aber am meisten liegt, ist die Natur der Leute. "Wissen Sie, wir Nordschleswiger sind ja eher gelassen", sagt er. "Die Demut vor dem Leben und der Natur spielt für uns eine große Rolle."

Weniger gelassen war bis vor Kurzem das Verhältnis von Deutschen und Dänen. Über viele Jahrhunderte rangen sie um Schleswig, die Dänen wollten das seit dem 12. Jahrhundert selbstständige Herzogtum ihrem Königreich einverleiben, die Deutschen wollten es mit Holstein vereinen. Im 19. Jahrhundert schien die Entscheidung zugunsten Deutschlands zu fallen. In zwei Kriegen (1848-51 und 1864) wurde Dänemark vernichtend geschlagen. Nach dem Ersten Weltkrieg aber setzten die Dänen ein Referendum über Schleswigs Zukunft durch, der Norden votierte für Dänemark, der Süden für Deutschland. Seit dem 15. Juni 1920 ist Schleswig entlang der "Clausen-Linie" geteilt.

Die Geschichte der Kriege und Rivalitäten kann man im Museum der Düppeler Schanze ausführlich begutachten - dort, wo preußische Truppen den dänischen Widerstand im Sturm brachen und einen bis heute viel frequentierten Ort nationaler Identität für die Dänen hinterließen. Die Geschichte des heutigen deutsch-dänischen Verhältnisses ist trotz der neuen Grenzkontrollen weit erfreulicher, allerdings noch nicht lange, wie Siegfried Matlok erläutert. "Früher sollte ich oft Vorträge halten zur Frage 'Wie lässt sich die Zahl der Deutschen bei uns begrenzen?' Heute bittet man mich um Vorträge zum Thema 'Wie schaffen wir es, dass mehr Deutsche kommen?' Deutsche sind in Nordschleswig hochwillkommen, das Verhältnis ist so gut wie nie zuvor." Das merkt man auch an den vielfältigen Aktivitäten der deutschen Minderheit, die vom dänischen Staat unterstützt werden, sowie an erfolgreichen Projekten wie der Wirtschaftsplattform Grenznet oder www.vimu.info , einem sehr sehenswerten Internet-Museum für deutsch-dänische Grenzgeschichte.

Was bleibt, ist ein bis heute spürbarer Unterschied im Wesen der beiden Schleswigs. Die deutsche Südseite der Förde ist dichter besiedelt, teils auch gediegener, exklusiver. Die dänische Seite ist volkstümlicher, landschaftlich reizvoller, der Zugang zum Meer ist fast durchweg für jeden möglich. Schon die Autofahrt am Nordufer des Flensborg Fjords entlang der B 8 macht das deutlich. Sønderborg, die größte Stadt der Region, ist malerisch am Alsensund gelegen. Ein Gang über die Hafenpromenade, verbunden etwa mit einem Besuch im Eiscafé Frydendaal, lohnt sich. Je mehr man sich der Insel Alsen (dänisch: Als) nähert, umso kleiner die Dörfer, umso unaufgeregter die Stimmung. Im Örtchen Guderup hat Emil Nolde von 1902 bis 1916 sommers gewohnt. Die ruhige, dünige Wiesenlandschaft seiner nordschleswigschen Heimat hat der ruhmreiche deutsche Expressionist in zahlreichen Gemälden verewigt, seine Liebe zu ihr ging sogar so weit, dass er - der eigentlich Hans Emil Hansen hieß - sich nach seinem Heimatdorf Nolde nahe Tønder benannte. Manch farbenfrohes Alsen-Aquarell kann man übrigens im Emil-Nolde-Museum von Seebüll betrachten, eine knappe Autostunde westlich von Flensburg.

Den Gipfel windumwehter dänischer Entspanntheit, wie Nolde sie liebte, markiert Kekenis (dänisch: Kegnæs), sicher einer der hübschesten Ostseeflecken überhaupt. Hier gibt es viele Felder, einige Bauernhöfe, wenig Wald und noch weniger Menschen. Wer mag, besichtigt die Dorfkirche von Sønderby - Herzog Johann der Jüngere ließ sie 1615 zur Buße bauen, da er im Jahr zuvor zehn unschuldige Bauern hatte hinrichten lassen - oder besteigt den Leuchtturm, von dem aus man einen prächtigen Blick auf die südliche Fördeseite nebst den Inseln Ærø und Langeland hat. Alle anderen lassen sich einfach treiben. Um in den Genuss voller Förde-Idylle zu kommen, muss man aber nicht unbedingt so weit fahren. Der viel gepriesene Gendarmenpfad oder auch der Golfclub nahe Kolding bieten Naturerlebnisse unweit der deutsch-dänischen Grenze. Oder aber die Ochseninseln, dänisch Okseøer, nicht umsonst die populärste Tagesausflugs-Destination.

Etwa acht Kilometer hinter der Grenzstadt Kruså, ziemlich genau gegenüber von Glücksburg, liegt nicht nur Annies Kiosk, wo man - je nach Gusto - Nordschleswigs oder der Welt beste Hotdogs bekommt, sondern auch ein kleiner Anleger, von wo aus sommers etwa im Stundentakt ein kleines Fährschiff ablegt. Nur 900 Meter oder sieben Fährminuten trennt die Große Ochseninsel vom Rest Dänemarks, doch gefühlt ein Vielfaches. Bettina Ingwersen wohnt hier seit sieben Jahren.

2004 war es ein großes Thema im Umland, dass die Nordfriesin mit drei Freunden die Insel pachten durfte - die dänische Kommune hatte den Deutschen den Zuschlag gegeben, wegen ihres Konzepts, gegen einige Widerstände. Heute betreibt die 46-Jährige auf dem 7,5 Hektar großen, buschigen Eiland ein Restaurant, etwas Landwirtschaft, organisiert Kulturveranstaltungen, Bootsbau und Restauration der alten Gebäude laufen nebenbei. Drei Leute schmeißen den Betrieb auf der Insel - dort, wo über Generationen die dänische Bootsbauerfamilie Issack gewohnt hatte. Neben Holzbildhauerin Ingwersen noch ein Architekt und ein Schiffstechniker. Wenn es warm ist, bewirten sie die vielen Gäste im Restaurant gemeinsam. In der Nebensaison genießen sie die Stille und schwärmen, so Ingwersen in nordfriesischer Untertreibung, von der "Karibik vor unserer Haustür".

Solcherart Flensburger Südseegefühl am nächsten kommt man als Reisender wohl, wenn man es macht wie die vielen Norddeutschen, die an lauen Sommerwochenenden die Segel ihrer hier vor Anker liegenden Boote hissen - die Region zählt wegen ihrer verwinkelten Buchten, in denen man sich nicht selten wie in einer schwedischen Schäre wähnt, unter Seglern zu den reizvollsten im gesamten Ostseeraum.

Wer keinen Bootsschein hat, aber eine strandhungrige Familie, ist mit einem Besuch in Vemmingbund bestens bedient. Weiter, feiner Sandstrand! Die Einheimischen sind naturgemäß in der Überzahl, aber als Deutscher fühlt man sich wie Siegfried Matlok, der in der Nähe ein Ferienhaus hat: als eine sehr willkommene Minderheit.

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Anreise
Das Buch zur Serie

Lesen Sie Montag: In der letzten Folge der Ausflugs-Serie stellen wir Friedrichstadt vor. Wer dort ankommt, könnte denken, er sei in den Niederlanden. Am besten erlebt er das schmucke Holländerstädtchen deshalb bei einer Grachtenfahrt.