Bordeaux. Bordeaux und die umliegenden Orte liegen in der französischen Region Bordelais. Die jungen Winzer dort arbeiten eifrig am Imagewandel.

Der ständige Vertreter des Weingotts auf Erden, Baron Eric de Rothschild, trägt bestickte Pantoffeln aus Samt, passend zu seinem dunkelblauen Jackett und der weißen Hose, als er im gleißenden Sonnenlicht eines wunderbaren Spätsommertags aus einer Terrassentür seines Anwesens, dem Château Lafite nahe Bordeaux, auf den perfekt gemähten Rasen tritt.

Dort haben sich bereits rund 80 der vermutlich wichtigsten und einflussreichsten Vertriebspartner aus aller Welt mit ihren aufgerüschten Begleitungen versammelt. Sie schlürfen frische Austern aus Arcachon an der Atlantikküste und knabbern an hauchdünn geschnittenen Scheiben des berühmten luftgetrockneten Jambon de Bayonne.

Auch die komplette Führungsmannschaft des Weinimperiums Domaines Baron Rothschild (DBR) ist anwesend sowie ein gutes Dutzend Fachjournalisten, die für die richtige Schmierung des Unternehmens keine ganz unwichtige Rolle spielen. Es sorgt inzwischen an acht Standorten, seit 1999 auch in Argentinien und Chile, ­dafür, dass Weintrinkern und -kennern weder der gute Stoff noch die Gesprächsthemen ausgehen.

Denn über kaum ein Thema lässt es sich wohl so formidabel, aber auch endlos unterhalten, philosophieren und nicht zuletzt auch streiten wie über Wein, der so etwas wie eine angewandte, das heißt zu genießende Religionswissenschaft ist. Und am besten kann man dies hier tun, im Bordelais im Südwesten Frankreichs, dem größten zusammenhängenden Weinanbaugebiet der Welt. Es ist mit seinen über 100.000 Hektar Rebflächen für sich allein größer als alle deutschen Weinanbaugebiete zusammen.

Überall dort, wo Boden brachliegt, baut man Wein an

Über 4000 Châteaus und Weingüter, manche bloß unauffällige Wohnhäuser, andere wiederum prächtige Schlösser wie etwa das Château Margaux, das Château Palmer, das Château La Tour, das Château Lafite sowie das Château Haut Brion bei Pessac lugen aus dem schier endlosen grünen Teppich aus Reben hervor, der über der relativ flachen Landschaft liegt.

Beinahe die gesamte Agrikultur im Bordelais um die Flüsse Dore, Garonne und die trichterförmige, 75 Kilometer lange Gironde hat sich ganz und gar der Produktion von Wein verschrieben. Überall dort, wo Boden brachliegt, und handelt es sich auch nur um ein handtuchbreites Grundstück zwischen zwei Häusern in irgendeinem Dorf, wird Wein angebaut.

Gut 80 Prozent davon schimmern nach dem Herstellungsprozess rot im Glas, der Rest kommt als Weißwein daher, bevorzugt als Sauternes, dieser unverschämt fruchtige Süßwein, der keineswegs nur zum Dessert passt, sondern „selbstverständlich auch zu Austern“, sagt beispielsweise Charles Chevailler, langjähriger Vertriebsdirektor der Domaines Rothschild. Seit seiner Pensionierung hat er die Rolle des internationalen Rothschild-Weinbotschafters inne und residiert auf dem Châteu Rieussec in der Nähe von Graves, südöstlich von Bordeaux.

Geschmacks­variation aus Meerwasser und Traubensaft

Er stellt eine eisgekühlte Flasche des Jahrgangs 2007 sowie zwei Gläser auf den Fassdeckel, auf dem die Austern in einem Bett aus Eiswürfeln ruhen, und fordert mich, den doch eher unbeleckten Zaungast, zum Probieren dieser ungewöhnlichen Geschmacks­variation aus Meerwasser und alkoholhaltigem Traubensaft auf. An die ich mich gern gewöhnen möchte.

Und eben deswegen reist man hierher nach Bordeaux: Um neue Erfahrungen zu sammeln, den eigenen (Wein-)Geschmack weiter­zuentwickeln sowie – im besten Falle als Fan einer bestimmten Weinregion oder -sorte – die persönliche Liebe zu diesem ganz bestimmten Tropfen zu vertiefen oder sich gar neu zu verlieben. Soweit es das Bordelais betrifft, wird gleich von mehreren Seiten seit ein paar Jahren eine ganze Menge dazu getan, um das ziemlich verstaubte, nicht zuletzt aber auch etwas arrogante Image dieses Weltzentrums der Weinkultur aufzupolieren.

Das Château Lafite besann sich als eines der ersten Güter auf seine historische Tugend

Ein Straßenschild in Bordeaux bewirbt den Verkauf von St. Emilion Grand Cru.
Ein Straßenschild in Bordeaux bewirbt den Verkauf von St. Emilion Grand Cru. © Getty Images | Elfi Kluck

Als zum Beispiel Baron Eric de Rothschild Anfang der 80er-Jahre die Leitung des Château Lafite übernahm, begründete sich die Qualität zahlreicher Grand Cru Classé lediglich auf dem ­Mythos, dass diese adeligen, in Schlössern abgefüllten Bordeaux-Weine „erst einmal ergründet werden müssen wie etwa ein Kunstwerk, dem man sich ebenso vorsichtig wie ehrfurchtsvoll zu nähern hatte“, sagt Charles Chevailler.

Schließlich handelt es sich in der Regel um schwere Rotweine mit hohem Tanningehalt, was sie ziemlich kantig und relativ bitter macht. Zum anderen mutierten die meisten dieser Tropfen spätestens seit Mitte der 90er-Jahre zu Spekulationsobjekten, mit denen An­leger hohe Renditen erzielen konnten.

Der Mythos lebt

Der Mythos lebt zwar weiterhin und wird auch durch die Preispolitik aufrechterhalten, aber das Château Lafite besann sich damals als eines der ersten großen Weingüter konsequent auf seine wichtigste historische Tugend zurück – auf die Qualität der Weine, die hier dank der perfekten Bodenbeschaffenheit und des Klimas wachsen können. Baron Eric de Rothschild selbst, der studierte Ökonom, der nicht nur wegen seiner bestickten Pantoffeln vordergründig ein wenig skurril wirken mag, besaß hierfür den richtigen Weitblick – und letztlich auch das notwendige ­Ka­pital und das Know-how, um seinem ­Château Lafite sowie den mittlerweile hinzugekommenen sieben weiteren Standorten moderne Produktionstechniken zu verordnen.

Darüber hinaus ließ er die Türen zu seinen sagenumwobenen Weinkellern öffnen, was angenehmerweise bedeutet, dass auch wir ­Normalsterbliche – allerdings nur nach vorheriger schriftlicher Anmeldung – in den Genuss einer Führung mit anschließender Degustation, einer Weinverkostung, kommen können.

Kleinere Winzer leben den Fortschritt

Parallel zu den großen Häusern bemühen sich seit ein paar Jahren auch kleinere Winzer im Bor­delais, ihren Weinen, genauer Cuveés, mehr Charakter zu verleihen, indem sie versuchen, sich auf ihre Tradition zu ­besinnen und einen gesunden Bezug zu ihren Böden, der Natur und zum Wesen ihrer Weine zu finden. „Es geht uns vor allem darum, neue, vorwiegend jüngere Kunden zu gewinnen und uns so der Konkurrenz der zumeist weicheren und süffigeren Rotweine aus Übersee entgegenzustemmen“, sagt einer der vier Inhaber der Caves des Natures in dem ebenfalls weltberühmten Weinstädtchen Saint-Émilion, östlich von Bordeaux.

Sein Naturweinkeller, übrigens nur eine von rund 110 Weinhandlungen in Saint-Émilion, offeriert ausschließlich Weine aus kontrolliertem biologischen Anbau, und das zu moderaten Preisen. Schon ab sieben Euro beginnt der Einstieg in die Welt des Cru Bourgeois, dem „bürgerlichen Gewächs“, das zwar in der Hierarchie der strengen Qualitätskategorien hinter den Grand Cru Classé eingeordnet ist, doch in puncto Geschmack sowie dem Preis-Leistungs-Verhältnis so manchem berühmtem Château häufig in nichts nachsteht.

La Cité du Vin in Bordeaux vermittelt Weinwissen

Auch von staatlicher Seite wird der Weintourismus gefördert: Maßstäbe setzt dabei das brandneue internationale Weinmuseum La Cité du Vin im Herzen der Stadt Bordeaux, das im Sommer 2016 eröffnet wurde. Wobei dieser futuristische Bau, der sich auf zehn ­Etagen 55 Meter hoch direkt am Flussufer der Garonne erhebt, nach dem ­Willen der französischen Stararchitekten Anouk Legendre und Nicolas Desmazières „die besten Eigenschaften eines Museums und eines Themenparks miteinander vereinen soll“. Die Ver­mittlung des Weinwissens geschieht mithilfe eines spektakulären Multimedia-Parcours, „der alle Sinne anspricht“ – inklusive einer Weinprobe.

Wer jetzt noch immer nicht völlig beduselt ist, sollte mit der hereinbrechenden Abenddämmerung unbedingt durch die Gassen und Straßen von Chartrons, dem alten Kaufmannsviertel, streifen; ein architektonisches Kleinod aus dem 18. Jahrhundert, das dem Besucher sofort klarmacht, dass Bordeaux schon immer eine wohlhabende Stadt war, in der Kultur und Gastronomie zur unvergleichlichen französischen Lebensart harmonisch miteinander verschmelzen konnten.

400-Gramm-Kalbskotelett mit getrüffeltem Kartoffelstampf

Das Restaurant „Le Carré“ zum Beispiel, direkt am Place du Marché Chartrons, ist für sein Kalbsbries und sein 400 Gramm schweres Kalbskotelett berühmt. Dazu gibt es getrüffelten Kartoffelstampf – und natürlich einen standesgemäßen weißen Bordeaux. Aber ja nicht zu viel des Guten trinken, denn morgen Vormittag steht bereits das Château Rieussec in ­Fargues südlich von Bordeaux auf dem Programm.

Ein Besuch bei Charles Chevailler, der mir den Geschmack des Sauternes noch ein weiteres Stückchen näherbringen möchte. „Aber frühstücken Sie bitte nicht all zu viel“, sagte er noch beim Abschied auf dem Château Lafite, „denn ich werde wohl ein kleines Mittagessen vorbereiten lassen ...“

Tipps & Informationen

Anreise von Hamburg z. B. mit KLM über Amsterdam oder mit Air France über Paris nach Bordeaux. Eine Zugfahrt erfordert viel Umsteigen.

Besichtigungen und Weinproben bitte schriftlich anfragen: Château Rieussec, 33210 Fargues, Fax: +33 /5 57 98 14 10, rieussec@lafite.com;
Château Lafite Rothschild, 33250 ­Pauillac, Fax: +33 / 5 56 59 26 83,
visites@lafite.com;
Biodynamische Weine, Les Caves Nature, 28 rue Guadet, Saint-Émilion,
Telefon +33 / 5 57 24 25 73.

Weinmuseum La Cité du Vin, 134 Quai de Bacalan, 33300 Bordeaux, www.laciteduvin.com, täglich von 10–19 Uhr, der Eintritt für Erwachsene beträgt 20 Euro

(Die Reise wurde unterstützt von Domaines Baron de Rothschild.)