Dijon. Auf der Péniche „Daniele“ warten auf die Passagiere ungewöhnliche Köstlichkeiten, Ausflüge in die Region und ganz neue Perspektiven.

Wer sich frühmorgens nach dem Aufwachen Aug in Aug einem Schwan gegenübersieht, der ist entweder noch nicht ganz wach, heißt Nils Holgersson (ach nein, das waren Gänse) oder er hat an Bord der Péniche „Daniele“ übernachtet und eben den Vorhang aufgezogen, als der Wasser­vogel seinen langen Hals streckt und in die Kabine guckt.

Schiff und Schwan schwimmen auf dem Fluss Saône, der Schwan ist frei, neugierig in alle Bullaugen zu gucken, das Schiff liegt vertäut an der Kaimauer des Örtchens Verdun-sur-le-Doubts. Es ist der vierte Morgen einer achttägigen Tour über den Fluss Saône und den Canal de Bourgogne, den Burgund-Kanal.

Treffpunkt der Reisegruppe war ein Hotel in Dijon, in der Stadt, die so heißt wie der Senf – dabei ist es eigentlich der Senf, der so heißt wie die Stadt. Die Qualität des Dijon-Senfs, dessen Rezeptur auf das 13. Jahrhundert ­zurückgeht, hat die Stadt, die lange ein Monopol auf die Herstellung besaß, zu Wohlstand gebracht. Wer in Dijon in einem Restaurant isst, dem wird vielleicht eine weitere Spezialität französischer Kochkunst angeboten – die Wurst Andouillette, bestehend aus in Naturdarm gefülltem Gedärm von Schwein, Kalb, Kuh oder/und Ente. Ich probiere sie das erste Mal: Angeblich qualitativ besonders hochwertig, ist das Gericht für nichtfranzösische Gaumen gewöhnungsbedürftig.

Die langsame Art des Reisens bietet ganz neue Perspektiven

Bereits das zweite Mal bin ich mit dem Veranstalter G-Adventures in einer Gruppe unterwegs und hätte erwartet, erneut die Älteste zu sein, doch das Gegenteil ist der Fall. Im Schnitt zehn Jahre älter als ich (52) sind die Teilnehmer, die ich am Treffpunkt in einer Hotellobby kennenlerne. Wahrscheinlich ist es Voraussetzung für Flusskreuzfahrten, dass man das 60. Lebensjahr vollendet hat – vielleicht sind viele erst im Alter bereit, sich auf diese langsame Art des Reisens einzulassen, die so wunderliche Dinge in neuer Per­spektive bietet: rückwärtige Grundstücke von Herrenhäusern, Kuhweiden aus Sicht der Tränke, Ruderboote mit Anglern aus dem Blickwinkel des Köders, Straßen hinter Schilfbestand, vorbeipaddelnde Entenfamilien, Brücken von unten, kleine Bootswerften von der Wasserseite.

Nach einstündiger Busfahrt von Dijon ins nahe gelegene Fragnes erreichen wir den Liegeplatz unseres schwimmenden Hotels, jeder erkundet die sehr geschmackvolle Inneneinrichtung und wirft einen Blick in „seine“ Kabine mit Dusche, WC und Klimaanlage.

„Say ,Daniele‘!“, sagt Charlotte, die für diese Woche unser Tourguide ist, wir stoßen mit einem Glas Crémant de Bourgogne an, posieren am Ufer für ein Gruppenfoto und rufen laut den Schiffsnamen: „Daniele!!“ Die meisten der 18 Passagiere fahren paarweise, es sind acht US-Amerikaner, vier Kanadier, eine Engländerin, vier Australier und eine Deutsche. Das kanadische Reiseunternehmen hat viele Kunden im englischsprachigen Raum, in diesem Fall interessieren sich die Gäste für Natur und Weinanbau im Burgund.

Würde das Schiff sinken, bekäme man nicht mal nasse Füße

Es folgen die Sicherheitshinweise. Decksmann Thibaut (24) zeigt die Handhabung der Schwimmwesten, Kellner Oliver (37) wirft ein, dass die inte­grierte Pfeife auch zum Getränkeordern benutzt werden kann, und Kapitän Riad (41) erklärt, wo an Bord bei Alarm der Treffpunkt wäre. Die Funktion der Aircondition in den Kabinen wird erklärt und dass die Fenster nicht geöffnet werden können.

Neben mir steht die Amerikanerin Linda – sie fragt erschrocken, ob die Kabinen gänzlich unter Wasser seien. „Nein, keine Sorge“, antwortet Riad, „außerdem sind die Kanäle und Flüsse sehr flach. Würde das Schiff sinken, bekämen wir nicht einmal nasse Füße. Es gehen einfach alle mit Champagner in den Jacuzzi.“ Das nimmt Linda sicherlich etwas zu wörtlich, denn sie wird auf dieser Bootstour das Sprudelwasser-Bassin an Deck kaum verlassen.

Vielleicht wäre das Radfahren auch nichts für sie. Auf Mietfahrrädern und natürlich behelmt führt uns Fahrrad-Guide Cédric bei Sonnenschein zunächst an einem kanalisierten Teil der Saône entlang, dann geht es stetig bergauf in die Hügel rund um Beaune, wo hiesige Winzer weltbekannte Weine herstellen. Cédrics Kollege Patrick fährt mit einem Kleinbus der Gruppe nach, falls jemand von der Anstrengung ausruhen und ein Stück mitfahren möchte.

Mit Grand Cru sind die besten Wein-Hanglagen gekennzeichnet

Hier und da hält Cédric, der recht gut Englisch spricht, an, um Wissenswertes zum Weinanbau zu vermitteln. Es geht um die verschiedenen Lagen, das Gestein, das Feuchtigkeit speichert, und um die Sonneneinstrahlung an den Hängen – doch Cédric kennt auch kleine Anekdoten. Zum Beispiel dass der Duc Seigneur Montrachet, Herzog und Großgrundbesitzer, von einem Kreuzzug zurückgekehrt, festgestellt haben soll, sein bevorzugter Ritter hätte nicht wie abgemacht auf seine jungfräuliche Tochter aufgepasst – oder eben zu sehr. Statt zu grollen, nahm der Duc seinen neugeborenen Enkel in die Familie auf und benannte einen der weißen Grand Crus Bienvenues-Bâtard-Montrachet: Willkommen, Bastard von Montrachet. Eine besondere Eigenart der Weinregion Burgund sei es, fügt Cédric hinzu, dass die Klas­sifizierung Grand Cru sich nicht auf einen bestimmten Jahrgang oder ein prämiertes Weingut beziehe, sondern damit hier die besten Hang­lagen gekennzeichnet seien.

Auch auf Sehenswertes am ­Weg macht Cédric aufmerksam. „Seht mal, ein Falke!“, alle Blicke folgen dem ausgestreckten Zeigefinger – da kann schon mal der ein oder andere mit dem Fahrrad ins Schlingern kommen. Gut dass Linda an Bord geblieben ist. „Dort Cédric, oben auf der Tanne, ist das auch ein Falke?“, frage ich. „Nein“, sagt der Guide, „das ist ein . . .“ – er kommt nicht auf den englischen Namen des Vogels, sagt „Corbeau“. Da fällt mir ein Gedicht aus der Schulzeit ein: „Le Corbeau et le Renard“ – eine Fabel von Jean de La Fontaine. „Maître Corbeau, sur un arbre perché, tenait en son bec un fromage . . .“, gemeinsam kriegen wir die Worte zusammen. Es geht um einen Raben, der, vom Fuchs bei seiner Eitelkeit gepackt, ein Stück Käse aus dem Schnabel verliert, das der Fuchs stibitzt.

Im Burgund-Kanal sind ganze 22 Schleusen zu durchfahren

„Noch nicht vom Käse naschen, Tom!“, mahnt Timea (30) abends freundlich, aber bestimmt. Sie ist als Cruise-Managerin auf dem Schiff zuständig für das körperliche Wohl der Passagiere – und führt eine Käseverkostung durch. Niemand darf anschneiden, bevor „Timi“ Sorten und Zusammensetzung erklärt hat – und, wichtigste Lektion: Auf keinen Fall von einem „Tortenstück“ einfach das Beste, nämlich die Spitze wegnehmen. Das ist in Frankreich verpönt. Von nun an werde ich nicht anders können und jeden streng angucken, der das an einem Buffet macht.

Für den letzten Teil, den Burgund-Kanal, werden auf dem Sonnendeck alle Liegestühle sowie die Reling zusammengeklappt. Ab jetzt ist dieser Bereich für Kreuzfahrtgäste nicht mehr zugänglich, denn es geht unter sehr niedrigen Brücken durch. Auch passiert die „Daniele“ auf dieser Strecke ganze 22 Schleusen. Der Hebevorgang ist interessant anzusehen. Die körperliche Arbeit hat Matrose Thibaut. „Is he cranking the boat up?“, fragt Linda – „Kurbelt er das Schiff hoch?“ Nein, Linda, so öffnet er das Schleusentor, sodass Wasser hereinströmt und uns anhebt. Bereits in einer Schleuse auf der Saône hat die Amerikanerin besorgt geäußert: „Ich hoffe, sie verwenden das Wasser wieder.“ Als ich ihr das Prinzip von Schleusen in Fließgewässern erkläre und dass kein Wasser verschwendet wird, ist die sehr freundliche Frau beruhigt.

Wer auch mal etwas für sich sein mag, wandert ein Stück zu Fuß neben der „Daniele“ her, denn die Schleusen kosten ihre Zeit. Über weite Strecken sieht der Kanal, rechts und links baumbestanden, aus wie eine Allee. Manche Bäume wurden kürzlich von ganz besonderen Parasiten befreit: Mistelzweige, auf unseren Weihnachtsmärkten teuer zu erstehen, liegen als Grünabfall am Boden. Bis zum Advent ist noch Zeit, aber ich nehme mir ein schönes Exemplar als Andenken mit. Falls mein Schwan am letzten Morgen ans Fenster klopft, darf er von den weißen Perlen kosten.

Tipps & Informationen

Anreise z. B. von Berlin mit Air France oder Easyjet nach Paris und von dort mit der Bahn bis nach Dijon.

Flusskreuzfahrt Im Oktober noch Restplätze auf der „Daniele“: 8 Tage Dijon–Dijon ab 1299 Euro p. P., www. gadventures.de, Tel. 800/037 53 26 47.

Weitere Anbieter www.nicko-cruises.de, www.merkurreisen.de


(Die Reise erfolgte mit Unterstützung durch G Adventures.)