In dem schweizerischen Skiort wurde 1984 das Video zu “Last Christmas“ gedreht. Noch heute erzählen Zeitzeugen darüber manche Anekdote.

Hoppelnder Synthesizersound, bimmelnde Schlittenglöckchen: "Last Christmas I gave you my heart", so schmachtet eine samtene Männerstimme. Ihr Besitzer fährt im Jeep vor, steigt mit blond zementierter Föhntolle und Zahnpastalächeln aus. Winke, winke hoch zu Freunden in quietschbunten, sackartigen Daunenmänteln an einer Gondelbahn. So beginnt das Video zu "Last Christmas", dem größten Hit des britischen Popduos Wham!. Philippe Zurbriggen sieht es sich auf dem iPhone seiner Tochter an und lächelt versonnen: "Lackschuhe trug einer von denen, der ist beim Aussteigen dauernd in den Schnee geplumpst - leider haben sie's rausgeschnitten." Der heute 57 Jahre alte Inhaber des Souvenirladens Woodpecker in Saas-Fee hatte damals, im November 1984, den einzigen Jeep im Ort und wurde deshalb von der Filmcrew gleich für die ganze Drehwoche gebucht - auch als Chauffeur von George Michael: "Der fläzte seine Füße immer aufs Armaturenbrett und rauchte merkwürdig süße Zigaretten", raunt Zurbriggen: "Wahrscheinlich hat er mich deshalb morgens beim Abholen nie erkannt ..."

Rein in die Gondel, rauf zum Berg geht's im Video für Wham! und Freunde - zu einem Chalet zwecks gemeinsamer Weihnachtsfeier. "Stimmt nicht", sagt Charly Schmidt, damals Kabinenführer der Bergbahn, heute Chef der örtlichen Bowlingbahn: "Die Felskinn-Gondel führt auf 3000 Meter, direkt ins Gletscher-Skigebiet - Chalets gibt's da oben nicht." Dafür aber inzwischen Pisten wie aus dem Straßenatlas: Breite Autobahnen für Genusscarver. Steile, buckelige Abfahrten für Freunde des gepflegten Muskelkaters. Oder Tiefschnee-Prärie für Offroader. Skiläufer und Boarder müssen allerdings Geduld beweisen auf dem Weg dorthin. Nur alle 15 Minuten zuckelt eine der beiden Felskinn-Riesengondeln los. An deren Gipfelstation mutiert man zum Untergrundkämpfer, stapft mit Skiern auf der Schulter zu Fuß durch Hunderte Meter lange Felstunnel zur Piste oder zur Metro, einer Standseilbahn, die durch den Berg ganz oben auf den Gletscher führt. Dort laufen - im Zeitlupenmodus - die in Saas-Fee noch reichlich vorhandenen Schlepplifte, denn für Sessellifte oder Gondelbahnen können keine Stützpfeiler verankert werden - sie würden im Eis nicht halten.

"Unser Ort hat viel Potenzial, aber zu wenig Potenz", kommentiert Beat Anthamatten vielsagend. Der Tourismus-Chef von Saas-Fee kann offenbar nicht so schnell verändern, wie er möchte, spricht auch von "Bremsern", die es hier gebe. Eine zusätzliche Bergbahn, Anfang 2011 angekündigt, ist bislang nicht gebaut. Aber das pfiffige, neue Marketingkonzept steht: "Freie Ferienrepublik Saas-Fee" - jeder Gast kann sich pro forma einbürgern lassen, mit eigenem Pass und augenzwinkernd gewährten "Bürgerrechten": Essen im höchsten Drehrestaurant der Welt, 300 Sonnentage und 42 Wochen Schnee. Wegen dieser Frau-Holle-Garantie kam schon Wham! nach Saas-Fee - in einer Stretchlimousine. "Die haben wir auf den Parkplatz abgeschoben, denn unser Ort war schon damals autofrei", sagt Beat Anthamatten. Durch die engen Gassen mit teils wunderschönen, jahrhundertealten Holzhäusern surren bis heute nur Elektrobusse und -autos. Einzige Ausnahmen mit Knattermotor: Krankenwagen und Schneeräumer.

Immerhin, Fünf-Sterne-Luxus konnte Saas-Fee den verwöhnten Popstars damals schon bieten - im kurz zuvor eröffneten Walliserhof, dem heutigen Hotel Ferienart. George Michael bezog die Adlerhorst-Suite mit eigener Sauna und Whirlpool. An der Rezeption schwärmte die damals 20-jährige Sybille Meyer sofort für den smarten Beau. "Bis ich ihn auf dem Flur traf - ungeschminkt", erinnert sich die heutige Betreiberin des Hotels Elite: Komplett Make-up-frei war er dann doch nicht mehr ihr Traumtyp. Andrew Ridgeley, zweiter Wham!-Mann, wollte im Hotel möglichst weit von George Michael entfernt wohnen. Gemeinsame Fotos der beiden aus Saas-Fee gibt es nicht. "Die hatten sich zwei Jahre vor der Trennung schon verkracht", ist sich Beat Anthamatten sicher. Pikant - angesichts der damals zu drehenden Video-Handlung: "Last Christmas" verschenkte George Michael sein Herz an eine Frau, sie jedoch hatte tags darauf schon einen anderen - gespielt von Andrew Ridgeley. Mit diesem Lover taucht sie nun - ein Jahr später - zur Gruppenweihnachtsfeier in Saas-Fee auf. Diese Geschichte garantierte im Video reichlich Schmacht- und Schmoll-Blicke, Knistern nicht nur im Kamin, sondern auch zwischen den toupierten Schulterpolster-Schönlingen.

Gedreht wurde all das vor einem Chalet und im heutigen Kulturzentrum am Ortsrand. Dorthin kommt, wer auf den Spuren eines anderen Promis wandelt: Schriftsteller Carl Zuckmayer lebte seit 1957 hier und wurde nach seinem Tod 1977 mit einem Wald-Wanderweg geehrt. Der bietet Spaziergängern einen Eins-a-Panoramablick auf das verschneite Saas-Fee und ist Teil einer Rodelstrecke, die jeden Hobby-Hackl-Schorsch begeistert. Für die Wham!-Crew war 1984 die Dorfstraße schon Herausforderung genug. Denn beim Transport vom Hotel zum Drehort verschwand die Brosche, die George Michael seiner Angebeteten "Last Christmas" schenkte und die im Video groß zu sehen sein sollte. Stefan Zurbriggen fegte und harkte mit fünf Helfern jeden Quadratzentimeter des Weges ab: "Alle im Dorf haben uns ausgelacht, gefunden haben wir die Brosche - angeblich ein Erbstück von George Michaels Oma - nach Stunden vor dem Hotel."

Eine solche Aufregung hat der heutige Inhaber eines Sportgeschäfts nie wieder erlebt, obwohl reichlich Promis nach Saas-Fee kommen: Tina Turner, Michael Schumacher, Michelle Hunziker, Nena oder Seal. Sie alle genießen den zwischen reichlich Viertausendern wie hingegossen daliegenden Gletscher, sie kommen gern in urige Hütten wie die Gletschergrotte, wo man draußen auf ausrangierten Motorrädern mit Schaffell-Bezug Weißbier schlürft. Vor allem aber schätzen Promis die Diskretion und Abgeschiedenheit des Ortes. Die musste Wham! noch etwas rustikal durchsetzen lassen: Philippe Zurbriggen wollte nach Tagen des Chauffeur-Daseins beim "Après-Dreh" mit George Michael & Co. anstoßen. Das taten zwei Bodyguards, aber nicht mit Gläsern, sondern breiten Schultern: "Kein Zutritt, zieh Leine!", bekam Zurbriggen zu hören. Robert Anthamatten hatte mehr Glück: Der damals 15-Jährige schleppte George Michael die Koffer in die Suite und fuhr Gulasch zum Set. Er ergatterte ein Autogramm des Sängers - auf seiner Skiweste. Die jedoch expedierte Mutter Anthamatten wenig später beherzt in die Altkleidersammlung ...