Viele italienische Eisdielenbesitzer aus Deutschland kehren seit Jahrzehnten im Winter in ihre Heimatdörfer in den südlichen Dolomiten zurück.

Vom Dorf her ertönen die hellen Glocken der Pfarrkirche, im Hintergrund ragen gezackte Dolomitengipfel empor, weiß bestäubt und glitzernd unter dem blauen Winterhimmel. Noch ist es still in dem keinen Ort unter dem Staulanza-Pass, erst kurz vor Weihnachten wird hier die neue Saison beginnen. Trotzdem parken in Pecol sowie den anderen Dörfern des Zoldo-Tales viele Autos mit deutschem Kennzeichen. In einem Garten weht eine gebleichte blauweiße Fahne von Schalke. Doch es sind nicht Touristen, die es verfrüht hierher verschlagen hat, sondern zum Überwintern in ihre Heimatdörfer zurückgekehrte Gelatieri.

In Deutschland gibt es etwa 4500 Eiscafés. Ein Großteil wird von Italienern geführt - von denen wiederum die meisten aus einem Dolomitental stammen, dem Val di Zoldo. Warum das so ist, weiß niemand genau. Manche erzählen die Geschichte eines gewissen Giulio Matiuzzi aus Zoppe, der um 1870 in Venedig bei einem sizilianischen Konditor Sorbet herzustellen gelernt hätte. Und dann nach Wien ging, wo er am Ende seiner Laufbahn 60 ambulante Eisverkäufer (natürlich aus dem Heimattal) beschäftigte. "Tatsache ist, dass unsere Vorfahren bitterarm waren, die Zoldani seit je emigrieren mussten", sagt Dario Olivier. Der 54-Jährige betreibt in dritter Generation einen Eisladen an der Bahnhofstraße von Witten, Nordrhein-Westfalen. Als Vizepräsident von Uniteis, dem Bundesverband der italienischen Speiseeishersteller, kennt Olivier jeden Gelatiere im Tal, denn praktisch alle in Deutschland tätigen Zoldani sind auch Verbandsmitglieder. Die Wintermonate verbringt Dario Olivier mit seiner Familie im Bauernhaus bei Fornesighe, einem Weiler unter dem Cibiana-Pass. "Wir machen es wie die Schwalben, nur umgekehrt", sagt Olivier und zeigt hinaus auf die schneebedeckten Berge.

Das alte Haus reparieren, Brennholz hacken, Ski fahren oder Verwandte und Freunde besuchen: So vergehen die Ferienmonate der Gelatieri. Heute besucht Dario Olivier einen Kollegen in seinem Café unter dem Staulanza-Pass. Carletto Piva hat lange als Gelatiere in Deutschland gearbeitet. Vor einigen Jahren kehrten er und seine Frau Violetta endgültig in das Zoldo-Tal zurück, um die betagten Eltern zu pflegen. Für sein Gelato bekam Carletto mehrere Auszeichnungen, stolz zeigt er die Fotos an der Wand des Lokals, wo er mit prominenten Gästen abgebildet ist.

Die beiden Männer bereden, wie es so läuft im Geschäft. Die Lage sei nicht mehr so rosig, sagt Olivier. In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg, als Tausende Gelatieri nach Deutschland zogen und dort Läden eröffneten, die "Dolomiti" oder "Venezia" hießen - um das Heimweh zu stillen und um bei den Nordlichtern Sehnsüchte nach der Sonne und den Genüssen des Südens zu wecken - hätten sie kaum Konkurrenz fürchten müssen. Heute hingegen werden immer mehr italienische Eiscafés von Nichtitalienern übernommen. Und es gilt, sich gegen billiges Industrieeis durchzusetzen.

Von seinen drei Söhnen, erzählt Dario Olivier, werde keiner den Laden in Witten übernehmen. "Viele Kinder von Gelatieri bleiben heute hier." Denn es gibt im Zoldo-Tal mittlerweile eine große Brillenfabrik, manche Talbewohner fahren auch zur Arbeit in die eine Autostunde entfernte Provinzhauptstadt Belluno. Heute, schätzt der Vizepräsident von Uniteis, würden nur mehr etwa 800 Gelatieri regelmäßig zwischen Deutschland und dem Zoldo-Tal pendeln - teils, weil die dritte und vierte Generation inzwischen die Bindung zum Herkunftstal verloren hat, teils, weil man wieder zurückkehrte wie Carletto und Violetta Piva. "Als wir jung waren und bei Bielefeld von Carlettos Onkel die Eisdiele übernahmen, beneideten mich meine Freundinnen", mischt sich Violetta in die Unterhaltung ein. "Und Carletto hatte deutsche Verehrerinnen, sie riefen abends an - obwohl wir bereits verheiratet waren."

Und während die attraktive Mittfünfzigerin Prosecco und selbst gebackenen Kuchen spendiert, die übrigen Gäste sich langsam verabschieden, kommt das Gespräch auf die Zukunft des Tales. Sie liege im Tourismus, sagt Bruno Piva, Präsident des Civetta-Skiverbandes. "Mit der Ausrede, wir seien ein Emigrantental, ist hier viel zu lange nichts geschehen", schimpft dagegen Carletto Piva. "Manche Gastbetriebe müssten dringend renoviert werden." Schließlich einigt man sich darauf, dass das Val di Zoldo inzwischen aufgeholt hat: Im Sommer fänden Kletterer an den senkrechten Felswänden der Civetta und des Monte Pelmo zahlreiche Herausforderungen, Höhen- und Fernwanderwege ziehen Wanderer an. Im Winter böten die hiesigen Aufstiegsanlagen, die zum riesigen Dolomiti-Superski-Karussell gehören, Skifahrern ideale Bedingungen. "Wir werden hier an der Alpensüdseite von der Sonne verwöhnt - und in eineinhalb Stunden erreicht man Venedig."

Weil es viel zu entdecken gibt, brechen wir am nächsten Morgen zeitig auf. Über die Hochebene Palafavera mäandert eine Langlaufloipe, dem Lauf des Wildbaches Rio Canedo entlang. Eingeklemmt zwischen dem Cibiana-, Staulanza- und Duran-Pass, drängen sich die Hauptorte Zoldo Alto und Forno di Zoldo im schattigen Talgrund. An den steilen Hängen kleben verstreute Weiler - mit einem plätschernden Brunnen auf der zentralen Piazza, von dort zweigen krumme Gassen ab, flankiert von steingemauerten Häusern und Heuschuppen aus verwittertem Lärchenholz. Was zum Leben wichtig ist - eine Bar, die Kirche, ein Tante-Emma-Laden -, ist in jedem Dorf vorhanden. Vor dem Geschäft in Pieve bleibt eine Frauengruppe zum Plaudern stehen, unterdessen rollen Autos mit deutschem Nummernschild vorbei. Die Fahrer erheben ihre Hand zum Grüßen, man kennt sich und weiß, wer in welcher Stadt im Norden sein Geld verdient. Anfang März, wenn der Schnee schmilzt und die Kolonne wieder Richtung Norden aufbricht, werden die Gelatieri dort einen Hauch von "Italianita" verbreiten - und im Zoldo-Tal wird es noch einen Takt ruhiger werden.