Eine Flussreise von Hannover nach Amsterdam - das machen nur die Schweizer. Aber warum nicht mal fremdgehen? Es lohnt sich!

Chrrüüzfahrt. Nein, das ist nicht Mittelhochdeutsch - das ist Schwyzerdütsch! Die Sprache, in der es "ragnet", wenn es regnet. In der man "Weggli" frühstückt und nicht Brötchen. Und in der der Landausflug trotz "Ragens" pünktlich um "halvi nüni" beginnt. Pardon: überpünktlich! Schon wer eine halbe Minute verspätet im Bus sitzt, riskiert Blicke aufs Ührli. Da sage einer, wir Deutschen hätten die Pünktlichkeit gepachtet.

72 Schweizer Gäste also. Und eine Handvoll versprengter Deutscher, einer davon ich. Gemeinsam auf Chrüzfahrt mit der beeindruckend renovierten "Excellence Coral" (die zuvor "Swiss Coral" hieß), unterwegs von Hannover (der Hochdeutsch-Hauptstadt!) nach Amsterdam. Auf einer Route, die keinem deutschen Veranstalter im Traum einfiele. Warum eigentlich nicht? Schon der Auftakt wäre pfadfinderpreisverdächtig, käme einer der Etablierten darauf: von Hannover via Mittellandkanal und Weser nach Bremen über ... Hoya! Wer hat von dem dortigen Grafenschloss jemals gehört? Das Verdienst dieses "Erstanlaufs" gebührt dem Reisebüro Mittelthurgau aus Weinfelden in der Schweiz.

Bremen, der schönen Hanseatin an der Weser, gilt also Tag zwei: dem Roland, den Stadtmusikanten, den romantischen Gassen im Schnoor (könnte Schwyzerdütsch sein, findet einer) - und die Sonne scheint dazu. Scheint auf ein gut aufgelegtes Eidgenossenvölkchen, das einander duzt, wenn es Urlaub hat, das sich an den Waadtländer Tropfen in der Weinkarte und dem Röschti im Mittagsmenü erfreut - und das den verirrten Norddeutschen ohne viel Aufhebens adoptiert.

Bei Elsfleth biegt die "Coral" nun in die Hunte ein (ja, auch die ist schiffbar!), passiert Oldenburg und seine properen Stadtrandvillen am Übergang in den Küstenkanal, dessen tiefbraunes Wasser Rätsel aufgibt: Torf, wie sie ihn hier abbauen, gibt's in den Alpen weniger. Denn als eine damit beladene Schute uns an Backbord passiert, tippt man an der Reling auf "Kohle, oddr was meinscht?". Selbst Cruise Director Patrick, ein Mittelthurgauer Urgestein, zuckt mit den Schultern. Die "Coral" fährt - wie er - diese Route zum allerersten Mal.

Womit eine der wichtigsten handelnden Personen vorgestellt ist: Bei einem Schiff dieser Größe ist der "CD" Mädchen für alles. Er informiert, organisiert, improvisiert, er dolmetscht für die hochdeutsche Minderheit. Und morgens verliest er per Lautsprecher die neuesten Nachrichten - Horoskop gelegentlich inklusive - aus der Schweiz: "Wanderer mit gebrochenem Bein hat Nacht im Freien verbracht", "Bank in Solothurn von Unbekannten überfallen", "Pkw in Bach gestürzt - Fahrer wohlauf". "Syrien oder Euro-Krise", sagt er grinsend, als ich nachfrage, "das willscht im Urlaub doch nicht hören. Oddr?"

Recht hat er ja. Und wichtigere Gesprächsthemen gibt's an Bord ohnehin. Die Dimensionen der Ozeanriesen etwa, denen wir beim Besuch der Meyer Werft in Papenburg gegenüberstehen: Die "AidaStella", deren Rohbau im Dock liegt, wird 30-mal so viele Menschen befördern wie unser Dampferchen. Oder die Weite des Wattenmeers: Von Emden aus geht es im Bus nach Krummhörn, wo man barfuß ein bisschen im Schlick wandern kann. Aber auch das beeindruckt die Bergbewohner: die Sicht, überall, bis zum Horizont, die es zu Hause ja selten mal gibt. Und die Dichte der "Spargel", der Windkraftanlagen, im Tiefland der Energiewenderepublik Deutschland.

All das ist aber nicht anders beim Nachbarn: Über den Ems-Kanal schippern wir, vorbei an Groningen, von Ost- nach Westfriesland - nach "Fryslân", wie es auf Niederländisch heißt. Sneek, Sloten und Hindeloopen sind die Ziele: Orte am Ijsselmeer, so puppenstubenhaft putzig, wie ihre Namen klingen. Mit malerischen Grachten, romantischen Häuschen, kopfsteinernen Gassen und immer irgendwo einer Windmühle zur Zier (nein, kein Spargel, sondern historisch): So stellt man sich Holland vor. Dazu Kaiserwetter: Alles, was irgendwie paddeln, rudern, segeln oder tuckern kann - es muss in Holland mehr Boote als Menschen geben -, ist auf dem Wasser.

Dabei haben sie hier heute gar nicht frei, sondern zu Hause in der Schweiz, wo Nationalfeiertag ist. Die Hymne spielt Alleinunterhalter Istvan dazu am Abend aber nicht. Ein paar Fähnchen am Büfett - Schweizer mögen's nüchtern - müssen genügen. Vorschlag fürs Repertoire: Vielleicht sollten sie hier an Bord einmal jener Dame eine Hymne singen, die die Büfetts und vor allem die allabendlichen fünf Gänge zaubert? Tamara Rust nämlich, die Küchenchefin aus Österreich, ist ein kulinarisches Genie.

Und "ne kölsche Jung" ist Andreas Starke, der Käpt'n. Rheinisch-fröhlich also und immer ansprechbar. Nur als es übers Ijsselmeer geht, dann durch die Außendeich-Schleuse ins Wattenmeer und hinüber zur Insel Texel, da glänzt der Schweiß auf seiner Stirn. Denn der Wind ist kräftig, und die Wolken rasen. Bei so einer Brise mit einem Flussschiff aufs offene Meer, das macht auch er nicht alle Tage.

Wer Texel kennt, weiß, dass es sich lohnt: Die Rundfahrt über die Insel, zu ihren endlosen Stränden und den bizarren Dünenbergen, auf denen das Heidekraut gerade zu blühen beginnt, ist ein Höhepunkt. Trotz "Ragens" zwischendurch.

Doch zurück auf dem Festland ist das "Watter" schon wieder besser, und Alkmaar, unsere vorletzte Station, kann sich in aller Pracht präsentieren: Der Käsemarkt ist trotz touristischen Rummels eine Sensation. Im Laufschritt expedieren die Käseträger die goldgelben Kuller hin und her. Und die Meisjes - sie laufen tatsächlich in Holzschuhen umher, freuen sich nicht nur die Schweizer - liefern Fotos fürs Herz. Nur Patrick hat das wohl verpasst: Er geht lieber zum Denkmal für Rudi Carrell, den berühmten Sohn dieser Stadt. Ein Vorbild? Fast meint man, dass er abends noch besser gelaunt als sonst ins Mikrofon spricht.

Sicher war er auch ein bisschen erleichtert. Weil diese Reise, trotz Verspätungen und Verzögerungen hier und da, gut verlief. Was bei Premieren ja nicht immer der Fall ist. Deshalb meinen wir Schnuppergäste: mehr davon!