Das Jugendamt sorgt dafür, dass alle Kinder zu den Untersuchungen gebracht werden. In Schleswig-Holstein erhalten Eltern eine Einladung.

Ahrensburg. Mit großen Augen schaut er den Kinderarzt an: der kleine Maximilian, 14 Wochen alt, bei seiner vierten "U". "U" steht für Vorsorge-Untersuchung. Carsten Behrens, Kinderarzt in Ahrensburg, überprüft Maximilans Reflexe. Er beobachtet, wie sich das Baby bewegt. Ob es gut ernährt ist. Wie viel es gewachsen ist und wie viel es zugenommen hat. Neun Vorsorgeuntersuchungen sind in den ersten fünfeinhalb Lebensjahren für Kinder vorgesehen. Mit fortschreitendem Lebensalter werden die Intervalle größer. Seit der Verabschiedung des Kinderschutzgesetzes vom 1. April 2008 erhalten alle Eltern aus Schleswig Holstein eine schriftliche Einladung zu diesen Untersuchungen.

"Jährlich werden rund 20 000 Einladungen verschickt", sagt Gerald Wunderlich, stellvertretender Leiter des zuständigen Fachbereichs für Jugend, Schule und Kultur in der Kreisverwaltung in Bad Oldesloe. Jeder Einladung ist eine Antwortkarte beigelegt, die vom Kinderarzt nach der Untersuchung abgestempelt und von den Eltern oder dem Arzt an das Amt zurückgeschickt werden soll.

Fälle von Misshandlung sind selten, aber es gibt sie

Das neue Gesetz soll vor allem jene Kinder schützen, die noch nicht schulpflichtig sind und somit nicht unter der Beobachtung eines Lehrers stehen. "Wir wollen, dass alle Eltern ihre Kinder zu den Vorsorgeuntersuchungen bringen, damit die Gesundheit der Kinder überprüft und Fälle von Vernachlässigung oder Misshandlung frühzeitig aufgedeckt werden können", sagt Wilhelm Hegermann, der Leiter des Fachbereichs Jugend, Schule und Kultur in der Kreisverwaltung. Die Eltern, die nicht mit ihrem Kind zur Vorsorgeuntersuchung erscheinen, erhalten zunächst ein Erinnerungsschreiben. Als nächsten Schritt statten Mitarbeiter des Jugendamts den Familien einen Hausbesuch ab. "Das kommt jährlich 50- bis 60-mal vor", sagt Gerald Wunderlich. Wilhelm Hegermann sagt: "Das Land kann die Eltern zwar nicht dazu verpflichten, ihre Kinder zur Vorsorgeuntersuchung zu bringen." Sollte jedoch ein begründeter Verdacht auf Kindeswohlgefährdung aufkommen, werde das Jugendamt Schritte einleiten. Etwa könne es Erziehungsberatung oder sozialpädagogische Familienbetreuung nahelegen.

Wenn die Eltern sich allerdings grundsätzlich weigerten, ihr Kind dem Jugendamt vorzuführen, müsse im Notfall ein Gericht entscheiden, was zu geschehen habe. "So weit ist es bei uns aber noch nie gekommen", sagt Wilhelm Hegermann.

Zu Misshandlungen kommt es allerdings gelegentlich. Kinderarzt Carsten Behrens zum Beispiel hat kürzlich ein Kind untersucht, das so schwere Verletzungen aufwies, dass er es ins Krankenhaus eingewiesen hat. Der Mediziner hat das Jugendamt informiert, das die Familie inzwischen betreut. "So etwas kommt allerdings äußerst selten vor", sagt Behrens. "Ich habe vielleicht einen Fall in fünf Jahren. Misshandlungen sind aber manchmal schwer zu erkennen." Im Jugendamt sprechen die Mitarbeiter von kreisweit zwei oder drei Fällen pro Jahr.

Wilhelm Hegermann sagt: " Eine 100-prozentige Sicherheit gibt es nie. Aber durch das Kinderschutzgesetz wird die Kontrolldichte auf jeden Fall erhöht." Seit dem Erlass des Gesetzes muss seine Behörde allerdings auch den jährlich etwa 1200 bis 1300 Fällen nachgehen, in denen die U-Untersuchungen nicht wahrgenommen wurden. Die allermeisten davon beruhten jedoch auf Irrtümern, so Hegermann. "Da wird das Verschicken der Antwortkarte vergessen, oder sie ist zwar abgeschickt worden, aber nicht innerhalb der Frist eingegangen." Damit das Jugendamt allen Fällen nachgehen kann, sind zwei neue Stellen eingerichtet worden.

Eltern fühlen sich zu Unrecht unter Generalverdacht

Sandra Pfnister, 41, Mutter zweier Kinder, weiß aus eigener Erfahrung, wie schnell fürsorgliche Eltern Kontakt mit dem Jugendamt bekommen können: Sie erhielt ein Erinnerungsschreiben, während sie im Urlaub war, obwohl der Termin für die Vorsorgeuntersuchung ihres Sohnes bereits stand. "Ich fand das schon merkwürdig, wie ich da plötzlich telefonieren und mich rechtfertigen musste", sagt Pfnister. Das Amt für soziale Dienste habe sie danach aufgefordert, die Termine für die nächsten Untersuchungen ab sofort gleich durchzugeben. "Aber das sehe ich gar nicht ein" sagt Pfnister. Andererseits hat sie auch Verständnis: "Ich finde es generell gut, dass das Jugendamt alle Fälle so beharrlich prüft. Man weiß schließlich nie, ob wirklich alles in Ordnung ist".

Die meisten Eltern reagierten laut Wilhelm Hegermann ähnlich wie Sandra Pfnister. Es sei zwar niemand begeistert, wenn das Jugendamt anklopfe, aber im Nachhinein sei doch Verständnis da. "Und jährlich ein bis zwei der Fälle machen tatsächlich auf Kinder aufmerksam, die unter Vernachlässigung oder Misshandlungen leiden." Maximilian hat seine Vorsorgeuntersuchung unterdessen überstanden. Die nächste ist in zwei bis drei Monaten.