Die 39-Jährige muss am Essen für sich und ihre drei Kinder sparen. Es reicht auch nicht für Schwimmbad-Besuche oder fürs Kino.

Bad Oldesloe. Die Hartz IV-Regelsätze verstoßen gegen das Grundgesetz. Das hat das Bundesverfassungsgericht am Dienstag entschieden. Vor allem für Familien mit Schulkindern könnte es bald mehr Geld geben. Zurzeit bekommen Erwachsene 359 Euro und Kinder je nach Alter 215 bis 287 Euro. Wie schwer es ist, davon zu leben, hätte Silke Moor (Name geändert) bis vor einem Jahr nicht gedacht.

Das Wort "Hartz IV" hat die alleinerziehende Mutter so lange wie möglich vermieden. Zu sehr fürchtete sie den gesellschaftlichen Stempel, die Enttäuschung ihrer Kinder. Mit ihrer 16-jährigen Tochter und ihren Söhnen (acht Monate/14 Jahre) lebt sie in Bad Oldesloe. Vor knapp einem Jahr gab die Krankenpflegehelferin ihre Stelle und ihre Nebenjobs auf, weil sie schwanger war. Erst habe sie das Kind nicht bekommen wollen, erzählt die 39-Jährige mit dem langen blonden Haar, die ihren richtigen Namen lieber nicht in der Zeitung lesen möchte. Dreimal vereinbarte sie einen Abtreibungstermin. Dreimal sagte sie ab. Sie entschied sich für ihr Kind. "Ich dachte, dann muss ich eben eine Zeit lang sparsam leben. Ich dachte, das wäre nicht so wild. Das war blauäugig."

Ein Urteil und seine Folgen: Was man wissen muss

Heute, ein Jahr später, hat sich eine schmale Sorgenfalte in ihre Stirn gefurcht. Sie sagt leise, aber bestimmt: "Hätte ich gewusst, wie schlimm es mit Hartz IV wird, hätte ich den Termin nicht abgesagt." Schlimm ist, dass sie Freundinnen um Geld bitten muss. Dass sie die Fleischgerichte, die ihr älterer Sohn so liebt, rationieren muss. Dass sie ihren Kindern sagen muss, dass sie nicht mehr so oft Freunde mit "durchfüttern" kann. Dass das früher Selbstverständliche nicht mehr geht. Das alles ist Silke Moor an diesem Tag nicht sofort anzumerken. Während sie erzählt, neckt sie ihren Sohn liebevoll. Sie gibt ihm einen Kuss auf die Nase, entlockt ihm ein fröhliches Giggeln. Ihr natürliches, offenes Lachen hat sich die Alleinerziehende erhalten. Obwohl sie seit 1. März 2009 nicht mehr viel zu lachen hat. Seitdem gehört sie zu den 7032 erwerbsfähigen Stormarnern, die Hartz IV beziehen. "Als Familie bekommen wir 1448 Euro", sagt Silke Moor. Kindergeld, Elterngeld und Unterhalt werden auf den Hartz IV-Satz angerechnet. Das Elterngeld fällt bald weg. "Aber Kinder werden mit der Zeit immer teurer."

Schon jetzt fehlt für viele Dinge das Geld. "Ich rede nicht vom jährlichen Urlaub, den gab es bei uns auch vorher nicht", sagt Silke Moor. Es seien vielmehr die Kleinigkeiten, die plötzlich nicht mehr selbstverständlich seien. "Am meisten schmerzt es, dass ich meinen Kindern viele Wünsche nicht erfüllen kann." Markenkleidung sei nicht drin, auch Nutella oder Exquisa-Quark stünden nicht mehr auf dem Frühstückstisch. Ein Ausflug ins Freizeitbad ist Luxus, Kino ist gestrichen. Der Sportverein, in dem der Sohn trainiert, ist nur mit großer Mühe zu bezahlen. Beim Friseur war Silke Moor schon lange nicht mehr. "Obwohl meine Tochter neulich sagte: Mama, du siehst gar nicht mehr aus wie du." Auch die 16-Jährige spürt, dass weniger Geld da ist. Die Neuntklässlerin will gerne Abitur machen. Doch die Nachhilfe kann ihre Mutter nicht bezahlen. "Da habe ich den Eindruck, Bildung bekommen nur die, die es sich leisten können", sagt sie hilflos. Mit traurigen Augen guckt die sonst so optimistische, stark wirkende Frau aus dem Fenster. Es scheint, als suche sie dort draußen eine Lösung, wie sie ihren Kindern eine bessere Zukunft ermöglichen könne.

Sie habe auch depressive Phasen gehabt, erzählt Silke Moor leise. Doch dann schaut sie auf, streckt den Rücken wieder durch und wischt die düsteren Themen mit einer schnellen Handbewegung vom Tisch. Ihr Blick ist entschlossen. "Aber noch denke ich, dass ich wieder aus Hartz IV rauskomme. Meine Grundeinstellung ist positiv." Sie will stark sein. Will ihren Kindern nicht mehr peinlich sein. Will nicht mehr hören: "Mama, warum gehst du nicht wieder arbeiten?" Noch stärker als die finanziellen Sorgen aber belaste sie die Abhängigkeit, sagt Silke Moor. "Ich fühle mich fremdbestimmt."

"Ich fühlte mich als Mensch dritter Klasse"

"Ich kann nicht mehr selbst über mein Leben entscheiden, vieles schreibt das Amt vor", sagt Silke Moor. Oft wünscht sie sich, dass die Arge individueller auf die Hilfeempfänger eingehen würde. "Es ist furchtbar, dass alle über einen Kamm geschert werden." Die Beratung sei stark vom Sachbearbeiter abhängig, sagt die Oldesloerin, deren Ansprechpartner dreimal gewechselt haben. "Manche geben Tipps, wo man weiteren Rat bekommt. Andere vermitteln einem das Gefühl, man nehme ihnen persönlich Geld weg."

Das Vier-Zimmer-Häuschen, das die Familie gegen ihr 300 Quadratmeter großes Zuhause getauscht hat, bekam Silke Moor erst nach monatelanger Suche. Auf rund 50 Inserate habe sie sich gemeldet, jede Anfrage dokumentiert. Aber kein Vermieter habe sie gewollt: "Ich fühlte mich wie ein Mensch dritter Klasse. Ich bekam sogar zu hören: 'So ein Pack wollen wir nicht'", erzählt sie, noch immer fassungslos. Vor kurzem hat Silke Moor erfahren, dass die Stadtwerke den Gaspreis erhöhen. "Ich weiß nicht, wie ich das stemmen soll." Die Erhöhung des Kindergeldes ist dagegen nicht bei der Familie angekommen. Das bereits überwiesene Geld musste sie zurückzahlen, es wird auf den Hartz IV-Satz angerechnet. Silke Moor überprüft regelmäßig ihre Kontoauszüge. Eine falsch abgebuchte Versicherungsprämie, eine überhöhte Telefonabbuchung - für andere Menschen seien solche Fehler ärgerlich, sagt sie. "Für uns sind sie lebensbedrohlich." Sehr dankbar sei sie deshalb für die unbürokratische Hilfe vom Kinderschutzbund, sagt Silke Moor. Dort könne sie sich immer mal wieder kleine Beträge leihen. "Ohne diese Unterstützung und ohne die Ehrenamtlichen, bei denen ich den Kram auch mal verbal loswerden kann, wäre ich aufgeschmissen."

Als Silke Moor Anfang Februar ihr Konto überprüft, ist das zusätzliche Kindergeld schon wieder weg, der Unterhalt für ihre Kinder aber wie so oft noch nicht da. Schwarz auf weiß steht dort, was sie besitzt: 50 Cent. Sie kann nicht verstehen, dass manche Jugendliche Hartz IV für eine Berufsperspektive halten. "Wenn denen vorgelebt wird, dass es angenehm sei, vom Amt zu leben, ist was schief gelaufen. Da müsste mehr Druck gemacht werden." Silke Moor will sobald wie möglich wieder arbeiten. "Ich hätte dann vielleicht nicht mehr Geld. Aber ich würde mich nicht mehr so minderwertig fühlen, müsste mich nicht als Schmarotzer beschimpfen lassen." Als Reinigungskraft könnte sie vielleicht 800 Euro verdienen, würde dazu Wohngeld beantragen. Das wäre nicht viel zum Leben. Aber genug, um das hässliche Wort Hartz IV loszuwerden.