Hilfe zur Selbsthilfe: Jens Stahmer hat Medizinstudenten in Somaliland unterrichtet. Er nahm dafür einen Monat lang Urlaub von seinem Job.

Reinbek. Einen Monat lang hat der Reinbeker Oberarzt Jens Stahmer Medizinstudenten an der Universität Hargeisa unterrichtet, in Somaliland, das im Nordwesten von Somalia liegt. Für die Zeit hat der 52 Jahre alte Ahrensburger, der seit einiger Zeit in Reinbek lebt, seine privaten Urlaubstage geopfert. Und er will es wieder tun. So begeistert ist er von seinen Erfahrungen, die er dort gemacht hat.

Schon immer wollte er in einem afrikanischen Land arbeiten. Im August stieß Stahmer, der seit elf Jahren die Abteilung für Gastroenterologie im Reinbeker St. Adolf-Stift leitet, auf einen Hilfeaufruf des gemeinnützigen Vereins Afrika aktiv im Deutschen Ärzteblatt. Es handelte sich um einen Artikel über fehlende Fachärzte an der Hargeisa-Universität. Zur Ausbildung der Studenten werden dort dringend Fachärzte verschiedener medizinischer Disziplinen gesucht, die Blockseminare auf Englisch geben können.

Somaliland, das sich vor 21 Jahren, am 18. Mai 1991, für unabhängig erklärt hat, wird international immer noch nicht als eigener Staat anerkannt. "Offiziell ist es ein Teil Somalias. Und das bekommt als Schurkenstaat keine Entwicklungshilfe", sagt Stahmer. Dabei wäre sie dringend notwendig in Somaliland, das an Dschibuti und Äthiopien grenzt und auf dem Gebiet des ehemaligen britischen Protektorats am Golf von Aden liegt. Es gilt heute als vergleichsweise stabil und auch als relativ sicher - demokratische Wahlen wurden schon mehrfach abgehalten.

Dennoch: Auch Somaliland zählt zu den ärmsten Regionen der Welt. Etwa die Hälfte der 3,5 Millionen sind Nomaden oder Halbnomaden, sie können weder schreiben noch lesen. Die Lebenswartung liegt bei knapp über 50 Jahren. Fast jedes fünfte Kind stirbt bereits vor seinem fünften Geburtstag. Die Lebenserwartung ist so gering, dass die Hälfte der Bevölkerung jünger als 18 Jahre alt ist. Und viele Männer sind von der in Europa illegalen Kaudroge Khat abhängig - mit fatalen Folgen für ihre Familien und für die Volkswirtschaft und Entwicklung des Landes.

"Die Patienten sind nicht nur viel jünger als bei uns, sie haben auch andere Erkrankungen als in Deutschland. Zumeist sind es Infektionserkrankungen, die die Patienten zur Klinik kommen lassen", sagt Stahmer, der den afrikanischen Studenten nicht nur in der Uni, sondern auch in der Klinik Unterricht gab. "Wir haben dort Krankheitsbilder studiert und diskutiert. Die Studenten haben nicht nur von mir, ich habe auch von ihnen gelernt."

Und er hat auch viel Erschütterndes gesehen. Weil die Wege für die Erkrankten zu einem Arzt oder zum Krankenhaus in Hargeisa weit sind, seien die Krankheiten oft sehr weit fortgeschritten. "Ich habe Krankheiten gesehen, die wir Deutschen sonst nur aus dem Lehrbuch kennen: Lepra, schwere Hauterkrankungen und Kinderlähmung. Außerdem kamen Minenopfer ins Krankenhaus", erzählt Stahmer. Teure Apparate und Untersuchungsmöglichkeiten wie in Deutschland gibt es nicht in Hargeisa. Auch Medikamente fehlen. Lediglich ein Röntgen- und ein Ultraschallgerät sind an der Universitätsklinik vorhanden.

"Man arbeitet in Somaliland unter einfachsten Bedingungen und ist auf sich und seine Erfahrung gestellt." Und die versuchte Stahmer so gut wie möglich weiter zu geben: an 37 Medizin-Studenten, darunter auch fünf Studentinnen. Sie folgten seinen Erklärungen, saßen gebannt in den Stuhlreihen. "Sie haben alles sehr wissbegierig aufgenommen und sind auch recht fleißig gewesen. Für sie war das keine Selbstverständlichkeit, das hat man sehr gemerkt", berichtet Stahmer mit Begeisterung von den jungen Studenten, die im vierten Jahr ihrer Ausbildung sind. "Es gab eigentlich keinen Unterschied zu den Studenten in Deutschland. Sie waren sehr aufgeschlossen und haben die Abschlussklausur hervorragend gemeistert", schwärmt Stahmer.

Er beschreibt Hargeisa als friedlich. "Man kann sich dort relativ frei bewegen, die Leute sind freundlich und offen", sagt Stahmer. Dennoch, ein Urlaubsland sei es nicht. Seine Frau blieb deshalb auch in Deutschland. Der Bürgerkrieg habe seine Spuren hinterlassen. Zwar sind schon viele der mehr als 500 000 geflohenen Bewohner nach der Unabhängigkeitserklärung Somalilands seit 1991 zurückgekehrt und haben die Hauptstadt Hargeisa wieder aufgebaut. Doch noch immer ist die Sicherheitslage im Land nach wie vor wechselhaft.

Übergriffe aus Süd-Somalia sind nicht ausgeschlossen. Stahmer war daher ständig mit einem Soldaten an seiner Seite unterwegs, wenn er die Stadt verließ. "Er begleitete mich dann auf Schritt und Tritt - mit seiner Kalaschnikow. Das Land versucht seit 15 Jahren friedlich zu leben. Und auf Gäste aus dem Ausland wird ganz besonders geachtet, damit ihnen auch wirklich nichts passieren kann", so Stahmer. Angst hatte er keine. Im Gegenteil, er plant bereits seine nächste Reise. "Ich werde auf jeden Fall wieder hinfliegen, da ich die Zeit in Somaliland als durchweg positiv empfunden habe."

Vorerst aber werden zwei seiner Kollegen aus Afrika Hamburg besuchen, um zu sehen, wie weit die Medizin und wie groß die Möglichkeiten in einem großen westlichen Krankenhaus wie dem Universitätsklinikum Eppendorf sind. "Sie haben sicher keine Vorstellungen, wie das medizinische System hier funktioniert. Das wird völlig neu für sie sein", sagt Stahmer. Zusammen mit dem Verein sollen solche Austausche nun eine feste Institution werden. "Im Herbst könnten zwei Ärzte auch nach Reinbek ans St. Adolf-Stift kommen."

Die medizinische Universität Hargeisa ist noch jung. Sie wurde erst 2003 gegründet. Vor drei Jahren haben die ersten Ärzte ihr Studium abgeschlossen. Der Verein kümmert sich in Ostafrika um die Ausbildung in Gesundheitsberufen, denn dieses ist ein wichtiger Pfeiler der Entwicklung. Aber der Verein kümmert sich auch um materielle Hilfe.

Der Schwerpunkt, so Stahmer, sei die Hilfe zur Selbsthilfe. "So befähigen wir die Menschen vor Ort, selbst ihre Lebensumstände zu verbessern. Und gerade eine gute Ausbildung und Erziehung sind besonders wichtig. Aber auch hierfür benötigen wir finanzielle Mittel, um sie dabei unterstützen zu können."

Wer mehr über den gemeinnützigen Verein Afrika aktiv erfahren möchte, erhält weitere Informationen per E-Mail ( afrika-aktiv@web.de ). Wer den Verein und seine Arbeit in Hargeisa unterstützen möchte, kann auf der Vereinskonto 20 50 21 220 bei der Sparkasse Gießen (BLZ 513 500 25) spenden.