Sommer, Sonne, Superjob? Das Abendblatt testet in der Serie “Eine Stunde als...“ unterschiedliche Berufe. Heute: Erzieherin.

Estebrücke. Niederschmetternd ist mein Arbeitszeugnis nach einer Stunde als Erzieherin in der DRK-Kindertagestätte "An der Este". "Wenn Sie eine echte Erzieherin wären, hätte ich Sie gerügt", sagt Leiterin Kerstin Jeske. Böse ist mir die Kindergartenleiterin, die über rund 145 Schützlinge wacht, glücklicherweise trotzdem nicht und findet tröstende Worte.

Kerstin Jeske nennt mein Verhalten das "Praktikantensyndrom". Denn normalerweise hätte ich als Erzieherin von außen das Treiben der Kinder beobachten müssen, die Augen überall haben sollen, um jederzeit allen Kindern gerecht werden zu können. Immerhin müssen zwei Erzieherinnen im Kindergarten "An der Este" rund 25 Kinder betreuen - ganz individuell. Bei Spielen und Aktionen hätte ich mich idealerweise nach einiger Zeit auf den Beobachtungsposten zurückziehen müssen. "Die Kinder sollen sich mit sich selber oder mit anderen Kindern beschäftigen", sagt die Kindergartenleiterin, "und sich nicht nur auf die Erzieher fixieren."

Doch ich stürze mich mitten ins Getümmel und amüsiere mich dabei zugegeben bestens. "Sie haben mitgespielt wie eine große Schwester, aber nicht aufgepasst wie eine Erzieherin", sagt Kerstin Jeske. Recht hat sie. Ich bin mittendrin: Grabe mit 20 jungen Spielkameraden in der überdimensionierten Sandkiste einen Flusslauf und flute ihn anschließend. Bauleiter Johann (5) überwacht unsere Arbeiten und gibt strikte Order: "Hier muss der Fluss breiter und tiefer werden", lässt er mich wissen. Da er zuvor meine Kompetenz ("Erwachsene können wir überhaupt nicht gebrauchen") in Frage gestellt hat, gebe ich mir besonders viel Mühe. Mit der roten Plastikschaufel hieve ich große Ladungen Matsch auf die Seite. Johann scheint, seine Meinung über Erwachsene geändert zu haben und guckt zufrieden, selbst ein Lächeln hat der gestrenge Chef parat. Währenddessen ist Franzi besonders aufmerksam. "Ist warm, nech?", konstatiert die Vierjährige. Ich nicke und bekomme prompt eine Dusche aus ihrer Gießkanne - die Hose ist nass, mir aber auch nicht mehr so heiß: Das muss eine Erzieherin abkönnen.

Und von einer solchen erfahre ich, welchen pädagogischen Hintergrund die Matschaktion hat. "Die Arbeit mit Schaufel und Wassereimer ist gut für die Feinmotorik der Kinder", sagt Ellen Thomas. Zudem könne es die Einstimmung in ein geplantes Projekt sein, verrät Kerstin Jeske. "Wir planen, ein Musical auf die Beine zu stellen", sagt sie. "Thematisch soll es etwas mit Wasser zu tun haben." Der Arbeitstitel laute "Regenbogenfisch", sagt sie.

Nach fünfzehn Minuten Schaufeln und Wasserschleppen, lasse ich mich ablenken. Mika (4) hat ein Buch ausgesucht. Auf einer Wolldecke lese ich ihm, Franzi, Emily, Milena und Pascal aus "Josi bekommt einen Schwubbel" vor. Eine echte Erzieherin hätte nicht einfach so den Schauplatz gewechselt. "Wir möchten den Kindern beibringen, eine Sache zu Ende zu machen", sagt Kerstin Jeske. Vorbildfunktion hin oder her, wir haben unseren Spaß mit dem grünen Plüschmonster "Schwubbel" und dem Mädchen Josi.

Danach lasse ich mich von Emily, Mika, Pascal und Milena zum Klettern überreden. Emily und Milena überbieten sich gegenseitig mit waghalsigen Stunts an der Turnstange. Ich gebe derweil Hilfestellung. Niemand wird verletzt und damit siegt das Gefühl, die Sache - wenn auch sprunghaft - gut zu machen. Auch beim anschließenden Versteckenspielen haben wir einen Heidenspaß.

Nach einer Stunde Buddeln, Lesen und Toben bin ich ziemlich kaputt und frage mich, wie eine echte Erzieherin das den ganzen Tag aushält, dabei auch noch die Entwicklung der Kinder genauestens im Auge hat. "Wir müssen das Verhalten der Kinder dokumentieren", sagt Kerstin Jeske."Nur so können wir die Stärken und Schwächen der Kleinen am besten sehen."

Und dementsprechend würde die Entwicklung der ganz Kleinen individuell gefördert werden können.

Mit der Erkenntnis, dass der Beruf einer Erzieherin viel mehr mit Entwicklungspädagogik, Organisationstalent und einem wachsamen Auge zu tun hat, als mit Basteln und Singen, verlasse ich mit nasser Hose und matschigen Füßen die Kindertagesstätte "An der Este".