Sommer, Sonne, Superjob? Das Abendblatt testet in der Serie “Eine Stunde als...“ unterschiedliche Berufe. Heute: Tierärztin.

Stade/Abbenfleth. Gefühlte Tausend Fliegen schwirren herum, es riecht nach Mist, der Boden ist mit Kuhfladen übersät. Ich stakse mit meinen Gummistiefeln durch den Stall. Die Hose ist nach wenigen Minuten eingesaut. Trotzdem erfüllt sich ein Kindheitstraum: Tierärztin sein, wenigstens für eine Stunde.

Gemeinsam mit Tierarzt Thomas Haak bin ich im Stall von Burkhard Hartlef im Asseler Moor. Haak soll die Trächtigkeit von 23 Kühen kontrollieren. Und das heißt: 23 Mal den kompletten Arm in den Darm der Tiere stecken. In wenigen Sekunden steht fest, seit wie viel Wochen die Kuh trächtig ist. "Bis man das richtig kann, dauert es bis zu zwei Jahre", sagt der 49-Jährige, der lieber auf seinen Tastsinn als auf das moderne Ultraschallgerät setzt. Die Hand sei genauer.

Ich fühle nur Matsch, Wärme und Enge, als ich mit meinem grünen Handschuh über dem Arm bis zur Schulter in "Mäbel" stecke. Die schwarz-weiße Kuh lässt mein Gefummel mit den Fingern artig über sich ergehen. Die Y-förmige Gebärmutter ertaste ich nicht. Immerhin fühlt sich "Mäbel" nicht so von mir belästigt, dass sie uriniert und mistet - das machen die Tiere nämlich, wenn sie gestresst sind, wie ich gelernt habe. Dann geht es mit dem großen Bus, der in den vergangenen fünf Jahren 250 000 Kilometer durch den gesamten Landkreis Stade und Teile Harburgs gefahren ist, zum nächsten Hof. Auf der wenige Kilometer langen Fahrt klingelt unermüdlich das Handy von Haak. Seine Mitarbeiterinnen aus der Praxis in Abbenfleth wollen zusätzliche Termine durchgeben. Immer wieder rufen Tierbesitzer an und bitten um eine Untersuchung ihrer Vierbeiner.

Neben fachlicher Kompetenz ist auch Organisationstalent gefragt. Und Ausdauer, schließlich arbeitet Haak mehr als 70 Stunden in der Woche. Einer der vier Tierärzte aus der Praxis hat immer Notdienst - 365 Tage im Jahr, 24 Stunden am Tag.

Auf dem Hof Petersen im Aschhorner Moor sind gleich vier Tiere zu verarzten. Das kleine Kälbchen erweicht wohl jedes Frauenherz, meines auf jeden Fall. Das zwei Tage alte Tier ist wackelig auf den Beinen, atmet sehr schnell und hat eine Temperatur von 40,3 Grad - normal wären zwischen 38,5 und 39,5 Grad. Es hat mein volles Mitleid. Weil das Kälbchen bei der Geburt Fruchtwasser in die Lunge bekommen hat, hat es eine Lungenentzündung. Zwei Spritzen werden es wieder aufpäppeln.

Der nächste Patient ist ärmer dran. Der Labmagen ist verschoben. Eigentlich gehört der bei einer Kuh in den unteren rechten Bauchraum. Nun sitzt er oben links. Mit dem Stethoskop ist es deutlich zu hören. Haak klopft den Bauch ab, ich höre ein Echo. Es klingt etwa so, als wenn ein Wassertropfen in einen Metalleimer fällt - kein gutes Zeichen. "Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Eine davon: Der Labmagen muss wieder in die richtige Position gebracht werden und wird dort mit einem Faden an die Bauchwand genäht", erklärt der Tierarzt. "Jetzt muss der Bauer entscheiden, was wir machen." Mein Puls wird schlagartig höher. Und dann der erlösenden Satz von Petersen: "Wir operieren." Das heißt, die Kuh landet nicht auf dem Teller - zunächst jedenfalls nicht.

"Das sind Fragen, die immer wieder auftauchen und von den Besitzern beantwortet werden müssen. Bei Landwirten hat das etwas mit Wirtschaftlichkeit zu tun", so Haak. Die OP wird für den Nachmittag angesetzt. Das ist die negative Seite an dem Job. Gut, dass ich heute mit ihm unterwegs bin, denn am darauffolgenden Tag muss ein Pferd eingeschläfert werden. Leider. Da hätte ich bestimmt Rotz und Wasser geheult.

Ein Tierarzt hat für Sentimentalitäten aber keine Zeit. Der nächste Patient auf einem anderen Hof wartet schon. Zunächst muss aber noch eine weitere Milchkuh von Bauer Petersen verarztet werden. Sie lahmt vorne rechts. Kein Wunder. Sie hat sich die linke Klaue aufgerissen. Obwohl sich das Tier heftig wehrt, schneidet Haak die kaputten Stellen aus. Blut tropft, die Kuh zappelt immer mehr. Doch das müsse sein, sagt der Tierarzt, um der Kuh das Gehen zu erleichtern. Ein Druckverband soll die kaputte Klaue entlasten und die Schmerzen lindern. Ich reiche das Verbandsmaterial. Meine letzte offizielle Handlung als Tierärztin auf Probe.

Noch Stunden später rieche ich nach Kuhmist. Aber - und das ist die Hauptsache - ich bin begeistert.