Sommer, Sonne, Superjob? Das Abendblatt testet in der Serie “Eine Stunde als...“ verschiedene Berufe. Heute: Schwimmmeister.

Hollern-Twielenfleth. Die Trillerpfeife kann ich mir abschminken. Dabei hatte ich mir das so schön ausgemalt: Endlich mal die Halbstarken am Beckenrand zusammenpfeifen, so wie ich früher zusammengepfiffen wurde. Damals, als ich noch halbstark war und des Öfteren den Satz hörte: "Noch ein Mal - und du fliegst raus!" Doch das Instrument der Freibad-Autorität ist aus der Mode gekommen. Kein ernst zu nehmender Schwimmmeister benutzt heute noch eine Trillerpfeife. "Aber wenn man auf zwei Fingern pfeifen kann, schadet es auch nicht", sagt Rolf Stehrenberg.

Der Mann ist seit 17 Jahren Schwimmmeister, seit vier Jahren in Hollern-Twielenfleth. "Eigentlich heißt es ja Fachangestellter für Bäderbetriebe", lächelt der 42-Jährige, aber das sage kein Mensch. Stehrenberg, der auch schon im Hamburger Kaifu-Bad gearbeitet hat, reicht mir ein orangefarbenes T-Shirt. Meine Arbeitskleidung für die nächsten 60 Minuten.

Schäfchenwolken, blauer Himmel, türkis schimmerndes Wasser: Wenn das Wetter stimmt, gehört das Freibad in Hollern-Twielenfleth zu den schönsten Arbeitsplätzen der Welt. Das liegt vor allem an der Aussicht. Die ist nämlich gigantisch. In welchem Freibad kann man sonst die Freundin mit Sonnenöl einbalsamieren und gleichzeitig freien Blick auf die großen Pötte genießen? Eben. Immer mal wieder schiebt sich ein riesiges Containerschiff durchs Bild. Die Elbe ist nur 200 Meter entfernt.

Heute habe ich für eine Stunde diese wundervolle Aussicht. Mein Job: Schwimmmeister. Mein Auftrag: Leben retten! Dachte ich zumindest. Die Realität sieht jedoch anders aus.

Rolf Stehrenberg weist mich ein. Wir gehen auf die Brücke. Vor mir erstreckt sich das typische Sommergewusel eines Freibades. Senioren ziehen ihre Bahnen, Kinder tollen auf Gummimatten durchs Wasser, ein paar Jungen drehen waghalsige Pirouetten vom Sprungturm. Für mein ungeübtes Auge ist alles im grünen Bereich. Aber auch nur, weil ich in diesem Meer aus Menschen keine Gefahr sehe. Der echte Schwimmmeister guckt anders.

"Ich achte auf Kinder. Haben sie Schwimmflügel dabei? Ist ein Erwachsener in der Nähe?", so Stehrenberg. Während wir das Schwimmerbecken überblicken, hat er auch den Sprungturm im Auge. Dieser "Risiko-Blick" entwickele sich im Lauf der Zeit, schließlich trägt der Schwimmmeister große Verantwortung. Und die wiegt schwer: "Ich habe schon im Hamburger Hafen gearbeitet und muss sagen - oft ist der Job hier anstrengender", sagt der Berufsretter. Man müsse stets in Hab-Acht-Stellung sein.

Mir fällt es hingegen schwer, diese Hab-Acht-Stellung einzunehmen. Ich trage ja nur das Schwimmmeister-T-Shirt, nicht die Verantwortung.

Dennoch reicht das schon, um als Respektsperson angesehen zu werden. "Wie viel Meter hat das Schwimmerbecken", fragt eine grauhaarige Dame. Ich muss passen. "50 vielleicht?" Mein Gestammel verwirrt die Frau. "Aber Sie sind doch Schwimmmeister, Sie müssen es doch wissen", lautet ihr Einwand. Ich grinse verlegen, Rolf Stehrenberg hilft mir aus der Patsche.

Mittlerweile befinden wir uns auf Kontrollrunde. "Hier, auf die Kerle müssen wir ein Auge haben", flüstert der Schwimmmeister und meint: Halbstarke, die am Beckenrand auf Krawall gebürstet sind. Spritzen, Springen, Pöbeln - das sollten die Jungen unterlassen, um keinen Ärger zu bekommen. Denn dann, so Stehrenberg, "muss man nett aber bestimmt sein" und notfalls auch mal den Rausschmiss praktizieren. "Eine gewisse Ordnung muss sein", so der Schwimmmeister.

In meiner Stunde bleibt alles in Ordnung. Ich gehe eine Runde und mache nur nette Erfahrungen. Ein Ehepaar aus Harsefeld erzählt mir, dass sie das Bad lieben und im Sommer Stammgäste sind. Danach geht's zum Babybecken, wo die ganz Kleinen ganz großen Spaß haben. Die übrigen Aufgaben des Schwimmmeisters (Desinfektion, Reinigung, Heckenschneiden, Schwimmbrillen ausleihen, Toilettenpapier wechseln) bleiben mir erspart. Aber sie gehören dazu. Genauso wie das Aufschließen des Bades in aller Herrgottsfrühe, weil die Queen Mary 2 vorbeikommt. "Dann steigen die Leute auf den Drei-Meter-Turm - und haben die beste Aussicht", sagt Rolf Stehrenberg stolz.

Die "Toplage" des Bades sei ein Reiz, der Umgang mit Menschen der andere. Wegen der "netten Frauen in Bikini" mache er den Job jedenfalls nicht.

Ich musste nicht ins Wasser hechten, keinen Menschen retten, habe auf relativ wenig Bikinis geschaut. Und dennoch war eine Aufsicht mit Aussicht.