Seit dem Start der Buxtehuder Gesamtschule befinden sich nicht mehr nur die Schüler in einem ständigen Lernprozess, sondern auch die Lehrer.

Buxtehude. Einen Vorteil der Integrierten Gesamtschule (IGS) hat Lennart bereits ausgemacht. "Wir haben keine Hausaufgaben mehr!", schwärmt der Fünftklässler und kann seine Freude darüber kaum verbergen. Der Verzicht auf Hausaufgaben ist jedoch keine Wohltat der Schule an ihre Schüler, sondern liegt in dem Konzept der Buxtehuder IGS begründet. Die Schüler müssen sich nicht mehr nach Unterrichtsende hinter die Bücher klemmen, weil sie das bereits in der Schule erledigt haben. Der Unterricht läuft von 7.55 bis 14.50 Uhr und während dieser Zeit wird alles getan, um den Lernstoff zu verinnerlichen.

Alleine diese Neuerung zeigt, womit sich die 143 Mädchen und Jungen der für Buxtehude neuen Schulform seit dem Beginn des Schuljahres vor knapp drei Wochen auseinandersetzen müssen. Und das ist noch lange nicht alles. Alle, ob Schüler oder Lehrer, müssen in der IGS komplett umdenken.

Frontalunterricht ist Geschichte und wird nur noch in wenigen Fächern wie Naturwissenschaften oder Religion praktiziert. Vorerst zumindest. Langfristig soll diese Art des Unterrichtens aber auch dort verschwinden. Das Hauptaugenmerk liegt stattdessen auf den Lernbüros. In Deutsch, Mathe und Englisch setzen sich die Kinder anhand von sogenannten Kompetenzrastern selbstständig Ziele, erarbeiten sie alleine und bewerten hinterher, wie sie sie realisiert haben.

Niedergeschrieben ist das alles in Logbücher, die die Schüler verwalten und die regelmäßig von den Eltern abgezeichnet und von den Lehrern beurteilt werden. Die Lehrer nehmen somit eher die Rolle des Lernbegleiters an. Klassenarbeiten werden nicht mehr im Verband geschrieben, sondern jeder Schüler teilt dem Lehrer mit, wann er für einen Test bereit ist. Ein Zeitraster garantiert, dass das Pensum in einem bestimmten Rahmen erfüllt wird.

Kompetenzraster, Logbuch, Lernbüro und dann immer diese Selbstständigkeit - man könnte jetzt den Eindruck gewinnen, dass den Schülern nach drei Wochen IGS ordentlich der Kopf schwirrt. Ein Irrtum, wie sowohl Josephine Friede, die kommissarische didaktische Leiterin der Schule, als auch Lehrerin Helga Kopiske betonen. "Ich hab' manchmal das Gefühl, dass die Kinder viel schneller umschalten können als wir", sagt Helga Kopiske.

Die zehnjährige Jule und ihre Sitznachbarin Nele sind ein guter Beleg dafür. Mühelos arbeiten sie in ihrem Workbook die Englischaufgaben durch und helfen sich bei Fragen gegenseitig. "Ich find's toll, dass wir so viel selbstständig machen können", sagt Jule. Und damit meint sie die Besonderheit der Lernbüros, denn ob sie Aufgaben in Englisch, Deutsch oder Mathe lösen, entscheiden die Schüler selbst. Wichtig ist nur, dass sie in einem vorgegebenen Zeitrahmen mit dem Stoff durch sind.

"Hello, my name is ..." sind einige der Sätze, die in Jules und Neles Workbook stehen. Wenn sie selber sprechen wollen, können sie in Zweiergruppen nach draußen auf den Flur gehen, wo ein CD-Player mit CDs steht, auf denen die Sätze vorgesprochen werden und sie sie nachsprechen können. Zusätzlich dazu gibt es einmal pro Wochen einen Konversationskurs Englisch und einen Vokabeltest, zu dem sich die Kinder selbst anmelden.

Auch dort gilt, wie bei den Tests in den anderen Fächern: Haben die Schüler weniger als 50 Prozent der Aufgaben gelöst, ist er nicht bestanden und sie müssen noch einmal ran. Sind es weniger als 70 Prozent, können sie selbst entscheiden, ob sie ihn wiederholen wollen. Zeugnisse gibt es nicht, stattdessen ausformulierte Beurteilungen zu den Leistungen.

Eine gewisse Unruhe ist in der Klasse allen guten Ansätzen zum Trotz dennoch zu spüren. Oft wird es laut im Raum und Helga Kopiske muss zur Ruhe mahnen. Noch nicht alle kommen mit dem eigenständigen Lernen klar und nutzen die Zeit lieber zum Quatschen mit dem Nachbarn. "Wir müssen immer sehen, dass jeder Schüler arbeitet", sagt sie. Sein eigenes Tempo wird ihm aber zugestanden, schließlich sind in der IGS Kinder in einer Klasse, die früher in Förder-, Haupt-, Realschule und Gymnasium unterteilt gewesen wären.

Ein halbes Jahr will sich die Schule noch Zeit geben, bis jeder genau weiß, was zu tun ist. "Wir sind noch in der Anfangsphase, alles ist ein ständiger Lernprozess", sagt Josephine Friede.