Mit riesigen Maschinen werden Bäume in einem Wald gefällt, der offiziell eine Ruhezone für freilebendes Wild sein soll.

Stade/Oldendorf. Getöse durchfräst die Waldesruhe. Maschinenlärm wie auf einer Großbaustelle, Krachen, Kreischen, Rumpeln, Quietschen. Rehwild flüchtet mit großen Sätzen, Waldvögel flattern auf. Alle 90 Sekunden erzittert der Waldboden, wenn wieder ein Baum donnernd fällt. Eine Woche lang, zwölf Stunden pro Tag, bebt die sonst so friedliche Naturlandschaft im Sunder Wald unter dem Höllenlärm. Und zwar genau dort, wo der Landkreis Stade Schilder aufgestellt hat, auf denen steht: "Ruhezone für freilebende Tierwelt. Betreten verboten".

Heimlich, aber gar nicht leise hat der Landkreis Stade, Eigentümer des Waldes, unzählige Bäume in einem sensiblen Landschaftsschutzgebiet fällen lassen. Auf Abendblatt-Anfrage begründen Stades Erster Kreisrat Eckart Lantz und Helmut Bergmann vom Naturschutzamt des Landkreises Stade die Großaktion damit, dass sich dort der Borkenkäfer ausbreite.

Bergmann erklärt das damit, dass eine Wiegerser Firma, die dort vor zwei Jahren tätig war, nicht ordentlich gearbeitet habe: "Die haben nur die Stämme herausgeholt, Kronen und Gezweig aber als Schlagabraum im Wald liegen lassen. Darin vermehrt sich der Borkenkäfer so extrem, dass man nun nachbessern muss."

Jahrzehnte alte Bäume werden nun massenhaft zu Geld gemacht

Doch Otto Fricke, der Leiter des Niedersächsischen Forstamtes in Harsefeld, bestreitet Bergmanns Borkenkäfer-Begründung: "Wir hatten dank des nasskalten Frühjahrs so günstige Witterungsbedingungen, dass die erste Generation der Borkenkäfer nicht rechtzeitig ausfliegen konnte und somit auch die zweite ausbleibt. Borkenkäfer befallen ohnehin nur geschwächte Bäume."

Dennoch werden die Jahrzehnte alten Bäume nun mit schwerer Technik zu Geld gemacht. Wo die alte Füchsin ihre Jungen das Mäusejagen lehrte, sind die Eingangsröhren zum Fuchsbau zugepresst. Das Ringelnatterrevier im Blaubeerfeld ist ebenso plattgewalzt wie etliche Haufen der streng geschützten Waldameisen. Baumkronen, in denen Waldvögel wie Grün-, Schwarz- und Buntspecht, Kleiber und Fichtenkreuzschnabel ihre zweite Brut fütterten, liegen am Boden. Die halbflüggen Küken der Waldohreule, die im Wipfel einer etwa 30 Meter hohen Fichte ihr Nest hatte, sind ein schnell gefundenes Fressen für die Eichelhäher. Lediglich knapp drei Minuten dauert es, wenn die Harvester (Baumerntemaschinen) Fichten, Douglasien, Eichen, Buchen oder Kiefern abscheren, von Krone und Gezweig befreien und dann auf Transportlänge zersägen.

Kreisrat Eckart Lantz sagt, man wolle den Wald dadurch "attraktiver machen"

Brachial fressen sich die mächtigen Maschinen, die eigentlich in den Weiten der Taiga oder Skandinaviens eingesetzt werden, durch das Waldstück zwischen Oldendorf und Heinbockel. Bloß ist das ist mit nur 80 Hektar etwa 15 Millionen Mal kleiner als die Taiga.

Entlang des "Naturlehrpfades", den der Landkreis Stade einst selbst ausgewiesen hat, ziehen sich Schneisen der Verwüstung. Dabei werden Wanderer und Spaziergänger dort mit Hinweistafeln eindringlich belehrt, wie sie sich zu bewegen haben, damit sie nicht zum Störfaktor werden.

Doch was der Landkreis Stade von seinen herumspazierenden Bürgern verlangt, gilt offensichtlich nicht für ihn selbst. Und auch nicht für die von ihm beauftragten Unternehmen, denn bei der Holzernte geht es um Geld. Zwischen 25 und 90 Euro liegt derzeit der Holzpreis pro Festmeter je nach Holzqualität und Verwendungszweck. Schon 2008 erntete ein Mega-Harvester einer Firma aus Wiegersen die größten und stattlichsten Bäume im Sunder Wald. Anschließend gaben schwere Geräte zum Abtransport des Holzes dem weichen Boden den Rest.

Nun, nur zwei Jahre später, fast das gleiche Bild. Nur, dass diesmal der Harvester eine Nummer kleiner ist. Dabei wissen Forstexperten, dass solche Eingriffe das Ökosystem Wald schwer schädigen und man deshalb nach einer Holzernte die betreffenden Waldflächen mindestens zehn Jahre schont.

"Ja, die großen Maschinen wirken auf den sensiblen anmoorigen Böden sehr brutal, deshalb ist dieses Thema noch in forstfachlicher Diskussion", sagt selbst Helmut Bergmann vom Naturschutzamt des Landkreises Stade.

"Aber wir wollen dort die Fichten-Monokulturen in Mischwald wandeln, um mehr Artenvielfalt zu bekommen", so Bergmann. Anmoorig nennt man Böden zwischen trockener Geestlandschaft und feuchten Mooren. Auch Eckart Lantz sagt: "Wir wollen das gesamte Waldbild mit modernen Maschinen attraktiver gestalten. Zudem habe man alle Vorgaben für nachhaltige Waldwirtschaft und des Waldgesetzes berücksichtigt. So hätten bis zu 60 Festmeter Holz pro Hektar geschlagen werden können. Man sei mit 25 Festmetern weit unter dem Limit der Nachhaltigkeit geblieben, so Lantz.

Der BUND-Landesvorsitzende hält das Vorgehen für "völlig unangemessen"

Als "völlig unangemessen und unprofessionell unter heutigen Erkenntnissen in der Waldwirtschaft" bezeichnet Heiner Baumgarten, Kreis- und Landesvorsitzender des BUND den Einsatz der riesigen Maschinen in Sunde in so kurzem Zeitabstand. "Allein ihr Gewicht und die enorme Arbeitsbreite zerstören den Boden und beschädigen den verbleibenden Baumbestand."

Die Folgen einer solchen Durchwühlung seien viele neue Probleme. Wer Wald umbauen wolle, müsse vorsichtig und mit Augenmaß vorgehen, um die wenigen Waldflächen in der Region zu erhalten. Zumeist stehe jedoch im Vordergrund, kostbares Holz herauszuholen, weil es Geld bringt, so Baumgarten. "Privatpersonen wird verboten, Eingriffe in die Natur vorzunehmen, wenn Gefahren für den Artenschutz zu fürchten sind. Lohnunternehmen, die kostenbewusst arbeiten müssen, setzen ganz andere Maßstäbe", sagt der BUND-Landeschef.

Vielerorts habe man das Problem längst erkannt. "So setzt man zum Beispiel in Hamburg an Hanglagen und an der Alster wieder bodenangepasste Geräte und Rückepferde ein, die die Stämme schonend abtransportieren", sagt Baumgarten.