Sorge um die Zukunft der sozialen Dienste. Einrichtungen und Betroffene in Stade fürchten um Qualität der Betreuung

Stade/Buxtehude. Die geplante Aussetzung der Wehrpflicht zum 1. Juli, die auch ein Ende des Zivildienstes nach sich zieht, sorgt für große Unsicherheit im Landkreis Stade. Während sich Mitarbeiter in sozialen Einrichtungen fragen, wie bestimmte Arbeiten in Zukunft organisiert werden können, sorgen sich Menschen, die bisher Hilfe von Zivildienstleistenden in Anspruch nehmen, darum, wer an die Stelle der jungen Leute treten wird.

Ein Beispiel ist die Familie Prigge in Fredenbeck. Der 17-jährige Max, der das Stader Gymnasium Athenaeum besucht, hat die sogenannte Glasknochen-Krankheit und bekommt daher Hilfe von einem Zivildienstleistenden. Dieser begleitet ihn in die Schule und auch in der Freizeit, etwa ins Kino.

Zunächst ist diese Betreuung bis zum Ende des Schuljahres gesichert, weil der Zivildienstleistende seinen sechsmonatigen Dienst verlängert hat. Doch Max' Mutter Kerstin Prigge sorgt sich darum, was danach passiert. "Die Zivis waren bisher ganz wichtige, dicke Freunde für Max, zumal es auch vom Alter her zusammenpasste. Aber ich habe meine Zweifel, ob wir nach dem Ende des Zivildienstes noch solche jungen, motivierten Betreuungskräfte bekommen werden", sagt Kerstin Prigge.

Sie bezweifelt, dass sich ausreichend junge Leute zu dem geplanten Bundesfreiwilligendienst entscheiden werden. "Es müsste Anreize geben, etwa Wartesemester an der Uni. Aber darüber ist bisher ja nichts bekannt", so Prigge. Ähnlich sieht es Martina Bredendiek aus Stade. Ihr 21-jähriger Sohn Philipp wurde viele Jahre lang von Zivildienstleistenden betreut, weil er an Muskelschwund leidet. "Die Zivis haben bei uns zur Familie gehört, die waren teilweise wie große Brüder für Philipp. Das waren ganz besondere Bindungen." Martina Bredendiek befürchtet nun, dass diese Art der Betreuung für andere Betroffene wegfällt. Denn auch sie hat große Zweifel daran, ob ein Freiwilligendienst den Zivildienst ersetzen kann. Die Konsequenz, so fürchtet sie, wäre, dass 400-Euro-Kräfte an die Stelle der Zivis treten.

Im Falle der Bredendieks und der Prigges ist es die gemeinnützige Gesellschaft Börne, die die Betreuungsdienste koordiniert. Die Geschäftsführerin der Börne, Susanne Frost, kann die Befürchtungen der beiden Mütter kaum entkräften. Vielmehr seien sie durchaus realistisch. "Im vergangenen Jahr hatten wir noch 35 Zivi-Stellen besetzt, in diesem Jahr sind es noch 15", so Frost. Der Mangel werde jetzt in der Tat mit dem Einsatz von 400-Euro-Kräften kompensiert. Und bei diesem Personal handele es sich eben um ganz andere Betreuungskräfte als die Zivis: "Es sind in der Regel Frührentner oder Menschen, die in Altersteilzeit arbeiten. Manche bekommen auch ergänzend Hartz IV."

Bisher würden diese Kräfte nur für Fahrdienste eingesetzt. Doch wenn erst die letzten Zivis ihren Dienst beendet haben, werde man "im Zweifel" 400-Euro-Kräfte auch für andere Jobs einsetzen, etwa für die Betreuung während der Schulstunden, wie im Falle Max Prigges. Die Chancen, dass sich viele junge Leute für einen Bundesfreiwilligendienst melden, schätzt auch Susann Frost als gering ein, zumal die Konditionen ja noch gar nicht feststehen.

Für die Börne stelle sich dabei nicht nur die Frage nach der Art, sondern auch die nach den Kosten der Betreuung. Reguläre Kräfte kämen die Börne weitaus teurer als die Zivis. Über dieses Thema werde die Gesellschaft "mit dem Landkreis in Verhandlungen treten", der der Kostenträger ist. Wenn dieser aber keine höheren Zuwendungen in Aussicht stelle, gebe es "das Risiko, dass Betreuungsdienste wegfallen müssen."

Eine faktische Verschlechterung der Betreuung befürchtet auch Ulrich Tipke, Mitglied des Leitungsteams der Schwinge-Werkstätten in Stade, in denen Menschen mit Behinderungen handwerklich arbeiten. 30 Plätze für Zivis gibt es in den Werkstätten, 23 davon sind zurzeit besetzt. Die Zivis werden unter anderem in den Gruppen eingesetzt, in denen Schwerbehinderte arbeiten, oftmals zur Einzelbetreuung. Dabei komme es allerdings nicht mehr so auf persönliche Bindungen an, diese seien "nach der Verkürzung des Zivildienstes ohnehin kaum noch möglich".

Nach wie vor seien die Zivis in den Gruppen aber wichtige "helfende Hände". Dass diese fehlen werden, sieht Tipke als nahezu sicher an: "Ein Zivi kostet uns 5000 Euro im Jahr, eine reguläre Kraft 25 000 Euro. Das bedeutet, wir müssen demnächst 600 000 Euro mehr pro Jahr aufwenden. Und das Land hat schon signalisiert, dass es diese Kosten nicht trägt", sagt Tipke. Die Konsequenz sei, dass man wohl den Betreuungsschlüssel verändern müsse.

Die Konsequenz sei, dass man wohl den Betreuungsschlüssel verändern müsse. Die Abschaffung des Zivildienstes hält er deshalb für einen "absoluten Fehler".

Auch für die Elbe-Kliniken in Stade und Buxtehude werde der Wegfall des Zivildienstes vermutlich teuer werden, sagt der dortige Personalleiter Klaus Wawrzyniak. Bisher sind in beiden Häusern 33 Zivis eingesetzt, die dort unter anderem Krankentransporte übernehmen. Wenn die billigen Arbeitskräfte wegfielen, hätten die Kliniken "ein echtes personelles Problem", sagt Klaus Wawrzyniak. Die Konsequenz: "Es werden Mehrkosten entstehen, die an anderer Stelle eingespart werden müssen".