Jede vierte Frau wurde habe Gewalt in einer Beziehung erlebt, ein Drittel von ihnen wurde mehrfach Opfer. Aktionstag soll Bürger aufklären.

Buxtehude. Er war immer lieb und verständnisvoll. Er hatte sie zum Lachen gebracht, ihre Wünsche erfüllt, ihr Geborgenheit geboten. Letzten Monat hatten sie aber einen Streit. Eigentlich ging es um nichts. Seine Hand war ihm dabei ausgerutscht, die Ohrfeige ein Versehen. Und sie war ja auch mit Schuld, hatte mit ihm gestritten, anstatt klein beizugeben. Eine Woche später hatte er bei einer Feier zuviel getrunken und sie hatte eine unbedachte Äußerung gemacht. Ja, sie weiß, sie hatte ihn provoziert. Das blaue Auge, der geschwollene Wangenknochen - ein unglücklicher Unfall. Gestern verprügelte er sie wieder - die stressige Arbeit war schuld. Ihr reichte es aber. Sie packte ihre Sachen und flüchtete, um sich vor ihm zu schützen.

Im Jahr 2009 gab es im Kreis Stade 112 gemeldete Fälle sexueller Gewalt

Szenen wie diese kennen auch heutzutage noch Millionen Frauen. Gewalt gegen sie ist immer noch ein alltägliches Problem - auch im Landkreis Stade. Die Gewalt betrifft ausnahmslos alle Frauen, deutsche wie ausländische, und sie hat viele Facetten. Oftmals sind es schleichende Prozesse, die Frauen in die Rolle eines Opfers drängen. Das weiß Ursula Reinke vom Gleichstellungsbüro der Stadt Buxtehude. "Deshalb müssen wir weiter aufklären", sagt sie. Jede vierte Frau habe Gewalt in der Beziehung erlebt, ein Drittel von ihnen wurde mehrfach zum Opfer, ein weiteres Drittel erlebt regelmäßig massive, schwere Gewalt.

Dass Handlungsbedarf besteht, belegen auch die Zahlen der Gewaltdelikte gegen Frauen des Jahres 2009 für den Kreis Stade. Insgesamt 112 Fälle von sexueller Gewalt wurden offiziell bei der Polizei gemeldet. Im Schnitt sind es jeden Monat fast zehn Vergehen. Laut der Lichtblick-Beratungsstelle gegen sexuelle Gewalt ist die Dunkelziffer aber deutlich höher und sei um mindestens den Faktor 20 höher. Nicht alle Frauen hätten den Mut, zur Polizei zu gehen und Anzeige zu erstatten. Alleine die Beratungsstelle hat im vergangenen Jahr in 160 Fällen von sexueller Gewalt beraten, deutlich mehr als die 112 zur Anzeige gebrachten Vergehen.

Zwangsverheiratungen sind weiterhin ein Problem

Nicht nur körperliche und sexuelle Gewalt sind ein Problem. Auch psychische Gewalt und Zwangsverheiratungen sind ein Thema, das die Beratungsstellen im Landkreis Stade immer wieder beschäftigen. "Im vergangenen Jahr gab es alleine in Buxtehude zehn uns bekannte Fälle von Zwangsehen", sagt Reinke. Die oftmals noch zu geringe Aufklärung von Frauen und Männern über die Rechte der Frau spiele hierbei mit eine Rolle. Und es werde sicherlich noch Jahre dauern, bis das Problem gesellschaftlich in Griff bekommen werden kann. Aufklärungsarbeit braucht Zeit, um sich zu entfalten, die positiven Auswirkungen sind oft erst nach Jahren zu sehen.

"Eines der Hauptprobleme, mit denen wir immer noch kämpfen, ist, dass die Zeitspanne von Frauen, ehe sie verstehen, was da vor sich geht und dann etwas unternehmen oftmals viel zu lang ist", sagt Renate Bergmann von "Lichtblick". Mit einem Filmabend wollen das Gleichstellungsbüro Buxtehude, Lichtblick, die Arbeiterwohlfahrt (AWO), die Beratungsstelle BISS und das Frauenhaus Stade nun die Aufklärungsarbeit intensivieren. Am 25. November, dem internationalen Gedenktag "Nein zu Gewalt an Frauen!", zeigen sie daher mit der Kommunalen Initiative Kino (KIK) von 19 Uhr an im Kulturforum am Hafen in Buxtehude (Hafenbrücke 1) den Film "Die Fremde" mit Sibel Kekilli. Der Film, der das problematische Leben der 25-jährigen Türkin Umay in ihrer Familie thematisiert, soll zu einem Gespräch anregen, Frauen und Männer für das Thema Gewalt gegen Frauen sensibilisieren und Multiplikatoren schaffen. Zudem wird rund um den Aktionstag zum siebten Mal die "terre des femmes"-Fahne mit der Aufschrift "frei leben - ohne Gewalt" gehisst. In Buxtehude wird sie am Rathaus wehen, um auf den Aktions- und Gedenktag hinzuweisen.

Die Pläne der niedersächsischen Landesregierung, den Frauenhäusern und Beratungsstellen in Niedersachsen vom kommenden Jahr an 280 000 Euro weniger für die Unterbringung, Beratung und Begleitung von Gewaltopfern zur Verfügung zu stellen, wird von BISS, dem Frauenhaus Stade und der Beratungsstelle Lichtblick mit Sorge betrachtet, auch wenn der Bestandsschutz für die kleineren Einrichtungen im ländlichen Bereich wohl nicht angetastet wird. Der Bestandsschutz wird derzeit verhandelt.

Geplante Kürzungen stellen Frauenhäuser vor Probleme

Vor allem für die Frauenhäuser größeren Städten stelle die geplante Mittelkürzung, so die Überzeugung, ein echtes Dilemma dar. Denn die Mitarbeiterinnen müssten einen Teil ihrer Beratungszeit opfern, um Fördergeld oder andere Finanzhilfen für den Unterhalt der Einrichtungen einzutreiben. "Es wird für die Frauenhäuser jedenfalls nicht einfacher", so Bergmann. Dabei bestehe nachweislich ein dringender Bedarf an Frauenhäusern und der dort angebotenen Opferberatung. Im Jahr 2009 flüchteten 39 Frauen und Kinder im Kreis Stade aus ihrem Zuhause und suchten Schutz vor körperlicher oder seelischer Gewalt im Stader Frauenhaus.