Die deutliche Erhöhung des Beitrags für die Berufs- haftpflichtversicherung sorgt bei vielen Geburtshelferinnen für Existenzangst.

Es war ein magischer Moment, als die Hebamme Ricarda Sitan den kleinen Ayen Ravi Pientka am 22. Mai 2011 in ihren Händen hielt. Diesen Jungen und andere winzige Wesen auf die Welt zu holen und darauf das unendliche Familienglück in knisternder Atmosphäre erleben zu dürfen, ist es, was für die 33 Jahre alte Hebamme und die Kollegin Anna Zahn, 29, ihren Job zum Traumberuf macht.

Oft entwickeln sich aus diesen intimen Minuten oder auch Stunden zwischen Hebamme, Mutter und Vater Freundschaften. Narmin Pientka, 28, die Mutter von Ayen Ravi aus Wilhelmsburg möchte Ricarda Sitan und Anna Zahn, die Gründerinnen des Geburtshauses Elbhebammen in Harburg, jedenfalls nicht mehr missen. Sie schaut regelmäßig bei den Elbhebammen vorbei und lädt sie auch zu den Geburtstagen ihres Sohnes ein.

Doch jetzt, da der Beitrag für die Berufshaftpflichtversicherung zum 1. Juli deutlich erhöht wird, befürchten die Hebammen, das Wunder der Geburt bald nicht mehr zu erleben, die Geburtshilfe nicht mehr leisten zu können. Das Geburtshaus an der Neuen Straße in Harburg ist in seiner Existenz bedroht. Die Hebammen stehen vor einer schwierigen Entscheidung. Sollen Sie die Geburtshilfe, das Kernstück ihrer Arbeit, aufgeben? Sollen sie das, was sie emotional so bewegt, anderen überlassen und sich lieber auf die Wochenbettbetreuung, auf Babymassage und Rückengymnastik beschränken?

+++ Mehr als Geburtshelfer: Hebammen suchen Hilfe +++

Beim Gedanken an ein solches Zukunftsszenario steigen Ricarda Sitan Tränen in die Augen. "Ich möchte die Geburtshilfe nicht aufgeben. Mir würde dann der wichtigste Teil meiner Arbeit fehlen. Aber irgendwann geht es auch nicht mehr", sagt sie. Die Frau mit den blauen Augen und den kurzen blonden Haaren schiebt den Gedanken an ein Ende der Geburtshilfe in ihrer Hebammenpraxis lieber weit von sich und klammert sich an den Förderverein "Gesunder Start", den die Hebammen vor zwei Jahren gegründet haben. Ricarda Sitan hofft, über den Verein finanzielle Unterstützung zu finden.

4242 Euro müssen die freiberuflichen Hebammen pro Jahr für ihre Berufshaftpflichtversicherung, die auch das Risiko von Geburtsschäden abdeckt, zahlen. 1992 waren es noch 179 Euro. Allein im Vergleich zur Prämienhöhe im Jahr 2003 ergibt sich eine Steigerungsrate von 249 Prozent für Hebammen, die im Geburtshaus tätig sind. Das Iges-Institut macht in ihrer Studie, in der sie im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums rund 3600 Hebammen befragt hat, erhöhte Schmerzensgeldaufwendungen als Grund für die Erhöhung aus. Zudem seien Therapie- und Pflegekosten sowie Kompensationszahlungen für den zu erwartenden zukünftigen Verdienstausfall von geschädigten Kindern gestiegen.

Der Deutsche Hebammenverband führt zudem die Haftungszeit von 30 Jahren als einen Grund für die hohen Beiträge an. "In dieser Zeit können die Krankenversicherungen der Geschädigten noch Nachforderungen erheben und das erschwert die Kalkulation", sagt Edith Wolber, Pressesprecherin des Deutschen Hebammenverbandes.

Während sich die Haftpflichtprämie seit 2003 mehr als verdreifacht hat, ist die Gebührenzahlung an die freiberuflichen Hebammen in der gleichen Zeit lediglich um 6,2 Prozent gestiegen. Beleghebammen erhalten 237,85 Euro für die bis zu elfstündige Betreuung einer Geburt.

Eine solche Gebühr ist weit davon entfernt, die hohe Haftpflichtprämie ausgleichen zu können. "Eine Beleghebamme müsste allein 95 Geburten im Jahr mehr betreuen, um mit dieser geringen Erhöhung der Vergütung die Steigerung der Haftpflichtprämie zu erwirtschaften", sagt Edith Wolber vom Hebammenverband. Wenn dabei eine Arbeitszeit von elf Stunden pro Geburt zugrunde gelegt wird, ergibt sich daraus eine Arbeitsstundenmehrbelastung von 26 Wochen à 40 Stunden.

+++ Weniger freiberufliche Hebammen +++

Auch die Hebamme Ricarda Sitan fordert bei der drastischen Erhöhung der Haftpflichtprämie eine deutliche Anhebung der Gebühren. Die Forderung des Hebammenverbandes, die Gebühren um 30 Prozent zu erhöhen, sei nicht übertrieben. "Es ist ja jahrelang nichts geschehen. Das muss jetzt nachgeholt werden."

Derzeit hat eine freiberufliche Hebamme ein durchschnittliches Bruttoeinkommen von 23 300 Euro pro Jahr. Davon muss sie Betriebsausgaben und Sozialversicherungsbeiträge sowie Steuern bestreiten. Danach bleiben nach Angaben des Deutschen Hebammenverbandes rund 14 000 Euro Einkommen übrig - macht einen durchschnittlichen Stundenlohn von 7,50 Euro. Die Putzfrau, die das Geburtshaus "Elbhebammen" in Harburg reinigt, verdient mehr.

Bleibt eine Gebührenerhöhung zugleich aus, stehen viele Hebammen vor ihrem beruflichen Ende und womöglich ein ganzer Berufsstand vor seinem Aus. Seit 2009 haben nach Angaben des Hebammenverbandes mindestens 15 Prozent der freiberuflich tätigen Hebammen in Deutschland die Geburtshilfe aufgegeben. Im niedersächsischen Landesverband hat sich die Zahl der Hebammen, die Hausgeburten betreuen, innerhalb von fünf Jahren sogar fast um die Hälfte von 97 Hebammen auf heute 52 Hebammen reduziert.

Der Verband geht davon aus, dass mit der Haftpflichtprämienerhöhung zum 1. Juli noch deutlich mehr Hebammen die Geburtshilfe aufgeben werden. "Wenn die Politik nicht endlich für bessere Rahmenbedingungen sorgt, werden die Menschen bald nur noch aus historischen Hebammenromanen wissen, was eine Hebamme ist. Ein Jahrtausende alter Beruf droht für immer zu verschwinden", sagt Susanne Schäfer, Vorsitzende des Bundes freiberuflicher Hebammen Deutschlands (BfHD).

Denn wer will sich den Stress noch antun? Mitten in der Nacht aufstehen, um Kinder auf die Welt zu holen, ständig in Rufbereitschaft zu sein - und all das für einen Hungerlohn?

Die Hebamme Sigrid Peek, 57, aus Rosengarten beispielsweise hatte den Stress satt. Sie wollte nicht mehr ständig unter Strom stehen und hat schon vor 22 Jahren, als die Versicherungsprämie noch lange nicht in die Höhe geschnellt war, die Geburtshilfe aufgegeben. Aber auch wenn diese wegfällt, lässt es die Arbeitsbedingungen der Hebammen in keinem besseren Licht erscheinen.

In der Wochenbettbetreuung bekommt die Eigentümerin der Hebammenpraxis im Rosengarten 27 Euro brutto für einen Hausbesuch. Das sind netto oft weniger als zehn Euro. "Schließlich kann eine Hebamme eine Erstgebärende mit Stillberatung nicht innerhalb einer Stunde aufgeklärt haben. Dafür muss sie sich mehr Zeit nehmen", sagt Sigrid Peek.

+++ Mehr Hausgeburten in den letzten zehn Jahren +++

Mal ganz abgesehen davon, dass eine große Verantwortung auf den Schultern der Hebammen lastet: Sie müssen jedwede Pathologie erkennen und dürfen sich keine Fehler erlauben, besuchen also Fortbildungen, um auf dem neuesten Wissensstand zu sein. "Und die Hebammen leisten in ihrer achtwöchigen Betreuung von Mutter und Kind einen beachtlichen Teil an Präventivmedizin", sagt Sigrid Peek. Wie die Elbhebammen liebt die Hebamme aus Rosengarten ihren Beruf. Die Eltern zu erleben, wie sie an ihrer Aufgabe wachsen und bereits einen großen Rucksack voll Wissen erworben haben, macht sie vollauf zufrieden in ihrem Job. "Und ich kann am Ende meines Lebens sagen, dass ich zwar einen anstrengenden aber dafür einen sehr sinnerfüllten Job hatte."

Dennoch: Die Hebamme hat schon viel zu oft erlebt, dass ihre Kolleginnen aufgrund der schlechten Bezahlung nichts für ihre Altersvorsorge tun konnten und manchmal auch an ihrem Job erkrankten. Auch dafür macht die Hebamme die schlechte Bezahlung verantwortlich. "Wir bekommen einfach nicht das, was wir wert sind."

Der Deutsche Hebammenverband malt ein düsteres Szenario, sollte die Geburtshilfe der Hebammen tatsächlich bald der Vergangenheit angehören: eine höheren Kaiserschnittrate, mehr medizinische Interventionen und schlechte psychosoziale Betreuung der Eltern. Eine mangelhafte Betreuung während der Geburt aufgrund von Personalmangel im Krankenhaus könne dazu führen, dass die Familienbindung leide, weil dafür die Zeit, Ruhe und die entspannte Atmosphäre fehle, sagt die Pressesprecherin des Hebammenverbandes, Edith Wolbers. "Und ungebundene Kinder können eine ganze Kaskade an Gewalt auslösen."