Spektakuläre Funde, die die Menschheitsgeschichte geprägt haben. Heute: eine in Wulfsen bei Winsen entdeckte Kreuzfibel.

Ein kleines goldenes Schmuckstück mit großer Außenwirkung: Rainer-Maria Weiss, Direktor des Archäologischen Museums Hamburg, zeigt eine kunstvoll gestaltete Kreuzfibel, in die einige Schmucksteine eingearbeitet sind.

"Das ist eine christliche Fibel, angefertigt im 9. Jahrhundert nach Christus, gefunden bei Ausgrabungen auf dem Domplatz in der Hamburger Innenstadt. Sie galt als Zeichen, das - als Gewandspange getragen - von Eingeweihten erkannt und verstanden wurde." Solche Fibeln waren besonders in der Übergangszeit vom Heiden- zum Christentum gefragt. Wer sie trug, legte gleichsam das Bekenntnis zum christlichen Glauben ab, zum Glauben an einen einzigen Gott in einer Zeit, als Nachbarn, Freunde und auch nächste Angehörige oft noch auf die nordischen Götter wie Odin und Thor schworen. Die ersten Missionare reisten in den Norden. Geistliche wie Ansgar, der 831 in der Hammaburg eintraf. Er sollte einen starken Stützpunkt für die Kirche am Rande Nordelbiens aufbauen.

"Das war keine einfache Aufgabe", sagt Weiss, "denn die Menschen hatten sich an ihre Gottheiten gewöhnt. Für jedes naturwissenschaftliche Phänomen - Gewitter, Sturmflut oder große Hitze - gab es jemanden in der Mythenwelt, der dafür zuständig war. Teilweise waren es noch Götter, denen schon in der Steinzeit gehuldigt wurde", sagt Weiss. Diese Götter hielten sich sehr hartnäckig in den Köpfen der Menschen, bezweifelten doch viele, dass nur ein Gott quasi für alle Unbill gebündelt zuständig sein könnte.

Germanische Gottheiten hatten jahrtausendelang die Oberhand. An Quellen, Bäumen und Lichtungen wurde ihnen damals geopfert. Christen wie Ansgar stellten also diese allgegenwärtigen Mächte infrage. "Jetzt kam da mal was Neues, das ganze Weltbilder ins Wanken brachte - das war gefährlich für die Missionare", so Weiss. Erst im 12. Jahrhundert zeigten die Bemühungen um die Christianisierung des Nordens nachhaltige Erfolge. 400 Jahre haben Missionare wie Ansgar darum gerungen. Und noch bis ins 19. Jahrhundert hinein hielt sich ursprünglich heidnischer Aberglaube. So hat man auf dem Land steinzeitliche Äxte in Dachstühle gehängt, um den Donnergott gnädig zu stimmen, auf dass nicht der Blitz einschlage. "Dann gibt es ja heute noch an den Küsten im Februar das Biikebrennen, um die Wintergeister zu vertreiben", sagt Weiss.

Kein Wunder also, dass die ersten Missionare dem starke Symbolik entgegensetzen mussten. So ließ Ansgar eine Bischofskirche und ein Kloster bauen, wurde Hamburgs erster Erzbischof. Andere Geistliche weihten kurzerhand vorgeschichtliche Menhire um, schlugen Kreuze in die Steine und machten aus Odins Eiche im Dorf einfach eine Gotteseiche: ein Sakrileg für viele Altgläubige. Mit Folgen für die Christen. Das Leben im Norden war nicht ungefährlich. Und Missionare wie Ansgar müssen viele der Siedlungsbewohner für ketzerische, brutale Barbaren gehalten haben. "Umgekehrt war es aber auch so, dass Geistliche, die in den wilden Norden geschickt wurden, innerhalb der christlichen Gemeinde nicht unumstritten waren und oftmals mit dieser Reise und dem Missionsauftrag von der Kirche bestraft wurden", so Weiss. Nicht selten galt ein solches Unterfangen als sicheres Todesurteil. So wurde 933 nach Christus Papst Benedikt V. zur Strafe für Verfehlungen von der römischen Kirche nach Hamburg verbannt. "Das feuchte Klima und die schwierigen Gegebenheiten für Missionare machten ihm zu schaffen. Er starb nicht lange nach seiner Ankunft und wurde im Mariendom beigesetzt", sagt Weiss. Erst 30 Jahre später wurde sein Leichnam nach Rom zurückgeholt und dort auf heiligem Boden bestattet.

Auch frisch Bekehrte mussten in der Elbsiedlung darum bangen, geschlagen oder verachtet zu werden. "Wer also eine Kreuzfibel trug", sagt Weiss und nimmt das Schmuckstück in die Hand, "bewies sehr viel Mut". Und Gottvertrauen. Weiter im Süden, am Rhein, scheinen die Missionare mehr Erfolg mit ihrer Arbeit gehabt zu haben. Denn dort, so Weiss, fanden die Archäologen sehr viel mehr Kreuzfibeln als im Norden. Diese Schmuckstücke gab es in verschiedenen Ausführungen und für jeden Geldbeutel, also nicht nur aus Gold, sondern auch aus Bronze oder Zinn, oder man trug kleine Kruzifixe, die aus Knochen geschnitzt waren.

"Noch im vierten und fünften Jahrhundert traute sich kaum jemand, sich offen zum Christentum zu bekennen. Damals galt die stilisierte Darstellung eines Fisches als christliches Erkennungssymbol - ein Brauch, der sich bis heute erhalten hat", sagt der Museumsdirektor unter Verweis auf entsprechende Autoaufkleber.

Manchmal fanden Christen erst nach dem Tod den Mut, sich zu ihrem neuen Glauben zu bekennen. So machten Archäologen auf einem Feld in Wulfsen, südlich von Winsen/Luhe, eine makabere Entdeckung. In dem Grab einer Frau, die um 850 nach Christus bestattet worden war, fanden sich nach heidnischer Sitte diverse Grabbeigaben, darunter Ohrringe, eine Perlenkette, ein Halsring sowie ein Schlüssel und Messer. "Man hatte der Verstorbenen aber eine Kreuzfibel in den Mund gelegt - wenigstens nach dem Tod wollte sie sich als Christin zu erkennen geben, was ihr im Leben offenbar zu unsicher war", sagt Weiss. Hier fungiert die Fibel auch als sogenannter Charons-Pfennig. In der griechischen Mythologie wurde der Fährmann Charon mit einer Münze bezahlt, um die Verstorbenen über den Unterweltfluss Styx ins Totenreich zu bringen. "Vielleicht erhoffte sich die Frau, dass sie mittels Kreuzfibel sicher ins Paradies kommt", sagt Weiss.

Für Bischof Ansgar wurde unterdessen die Zeit in der Hammaburg zur Hölle. Die Wikinger stürmten 835 die Siedlung, plünderten die Hütten und brannten alles nieder. Ansgar flüchtete nach Bremen. Dorthin wurde danach auch der Bischofssitz verlegt. Immer wieder wurde versucht, den Bischofssitz zurück nach Hamburg zu verlegen. "Aber die Lage war hier einfach zu unsicher", so Weiss. Es scheint so, als ob die Vision, mit der Ansgar sich Zeit seines Lebens trug, sich am Ende erfüllte. Als Ansgar 20 Jahre alt war, soll eine Stimme ihm zugeflüstert haben: "Gehe hin! Mit der Krone des Martyriums wirst du zu mir zurückkehren". Seine Missionstätigkeit bescherte ihm viele Rückschläge, weshalb man einen Großteil seines Lebens als Martyrium ansehen könnte. 865 nach Christus stirbt Ansgar in Bremen. Als erster Bischof Hamburgs geht er in die Geschichte ein.

"Nachbildungen der Kreuzfibel vom Domplatz sind heute beliebte Souvenirs, die sich im Museumsshop sehr gut verkaufen", sagt Weiss. "Nicht nur zum Kirchentag."

Wer die vorangegangenen Folgen verpasst hat, findet sie unter www.abendblatt.de/schaetze

Das Abendblatt-Video zur Serie: www.abendblatt.de/ausgrabungsschaetze

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