Die archäologische Schatzkammer an der Harburger Schloßstraße wird zur Grabungsstätte. Archäologen graben und schaufeln.

Harburg. Für das Neubauprojekt "Wohnen am Kaufhauskanal" sind während der vergangenen Wochen an der Harburger Schloßstraße bereits mehrere alte Häuser abgerissen worden. Doch bevor neu gebaut werden kann, müssen erst einmal Archäologen ran, um mit Spaten und Schaufeln, Kellen, Schabern und Pinseln den Baugrund Stück für Stück bis etwa vier Meter Tiefe auszuheben. Die Harburger Schloßstraße ist Harburgs archäologische Schatzkammer. Hier siedelten erste Bewohner vor mehr als 1000 Jahren.

"Wir wissen, dass hier im Untergrund viele Hinterlassenschaften der damaligen Bewohner schlummern", sagt der aus Kiel kommende Archäologe Dr. Philip Lüth, 37. Er arbeitet als Projektleiter im Auftrag der Bodendenkmalpflege des Helms-Museum. Neben ihm ist der aus Bremen kommende Diplom-Ausgrabungsingenieur Jan Geidner, 34 für den technischen Teil der Arbeiten zuständig. Die Archäologen graben nur dort, wo künftig neue Häuser stehen werden. Alle anderen Flächen bleiben unberührt und werden ihr historisches Geheimnis weiter hüten.

Noch kratzt ein Bagger vorsichtig mit seiner Spezialschaufel über die Oberfläche des Grundstücks Harburger Schloßstraße 23 bis 27, schiebt Asphaltbrocken und Betonsteine zusammen. Noch bis vor kurzem wurden hier Autos geparkt. Gut 300 Quadratmeter zählt die Fläche des ersten Baufelds. Die Archäologen werden von nun an fast jeden Tag auf der Baustelle sein, um die Arbeiten des Baggers zu beobachten. Es ist nicht auszuschließen, dass bereits in oberen Erdschichten die Zeugen der Vergangenheit ans Licht geholt werden. "Wir müssen deshalb genau hinschauen", sagt Geidner. Anfang April soll mit den Ausgrabungen in Handarbeit begonnen werden. Die Ausgrabungen im ersten Feld werden etwa sechs Monate, bis zum Herbst, dauern. Die gesamten archäologischen Grabungen im Gebiet des Neubauprojekts "Wohnen am Kaufhauskanal" werden voraussichtlich zwei Jahre dauern. Die Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (BSU) steht hinter dem Neubauprojekt, das ursprünglich bei der Internationalen Bauausstellung 2013 gezeigt werden sollte. Die Suche nach Investoren und in Folge notwendige Umplanungen hatten für Verzögerungen gesorgt.

Projektleiter Dr. Philip Lüth ist Harburg nicht fremd. Vor zwölf Jahren war er als Student dabei, als auf der anderen Straßenseite, Harburger Schloßstraße 30, vor dem Bau eines Geschäftshauses, ebenfalls archäologische Ausgrabungen notwendig waren. Damals war ein Holzbohlenweg freigelegt worden, daneben Balken von Häusern, die im Überflutungsgebiet der Elbe zum Schutz vor Wasser auf kleinen Wurten oder Warften standen. Unter anderem wurde auch eine Münze von 1392 gefunden. Damals war die Ausgrabungsstelle der Archäologen mit einem Zeltbau überdacht. "Ein Zeltbau ist zum Schutz der Ausgrabungen auch für unsere kommenden Arbeiten erforderlich", sagt Lüth.

Er geht davon aus, dass die Menschen schon vor mehr als 1000 Jahren per Boot oder Fähre die Elbe bei Harburg überquerten, um nach Hamburg zu gelangen. "Hier verlief ein Handelsweg von der Geest durch die Marsch", schätzt er. Gegen feindliche Übergriffe beispielsweise der Wikinger, die um 800 nach Christus auch die Hammaburg überfallen hatten, war in Harburg die Horeburg gebaut worden.

Aus der Burg wurde später das Harburger Schloss. Entlang des mit Holzbohlen befestigten Handelswegs siedelten die ersten Bürger - Handwerker, Bauern, Markthändler. Wenn beispielsweise durch Feuer ihre zumeist einfachen Häuser zerstört wurden, kam Erde drüber und es wurde darauf wieder neu aufgebaut.

"Wir gehen von Siedlungsschichten bis vier Meter Tiefe aus", sagt Geidner, "der feuchte Boden sorgt dafür, dass vieles erhalten geblieben ist." Lüth: "Wir vermuten, dass Hausgrundrisse noch deutlich zu erkennen sein werden, gepflasterte Fußböden oder auch Flechtwandkonstruktionen. Wir werden sicherlich auch Brunnen finden. Ein besonderes Highlight für Archäologen ist allerdings das Auswerten der Kloaken. Den Menschen ist früher so einiges ins Klo gefallen, darunter Werkzeuge, Schmuck und Geld. Und das haben sie da natürlich nicht wieder rausgeholt. Die Fäkalien haben sich über die Jahrhunderte nicht zersetzt und es lässt sich heute noch feststellen, was die Menschen damals gegessen haben. In wohlhabenden Gegenden wurde vor 800 Jahren beispielsweise schon Reis verspeist."

Die Ausgrabungen an der Harburger Schloßstraße sollen während der kommenden zwei Jahre von Jedermann verfolgt werden können. Jan Geidner: "Im Gebäude der TuTech an der Harburger Schloßstraße 6 bis 12, ist eine begleitende Ausstellung mit aktuellen und früheren Fundstücken geplant. Und die Museumspädagogik des Harburger Helms-Museums will einmal pro Woche mit öffentlichen Führungen direkt an den Ausgrabungsstellen über die Erkenntnisse des früheren Lebens in Harburg informieren."

An den Ausgrabungen werden wie früher wieder Archäologie-Studenten beteiligt sein. Damals waren Erdschichten bis zum zwölften Jahrhundert freigelegt worden. Bereits vor 15 Jahren, als an der Harburger Schloßstraße 1, Ecke Karnapp, das damalige Ision-Geschäftshaus gebaut worden war, waren Pfahlgründungen alter Häuser freigelegt worden. Damals schätzten die Archäologen, dass an der heutigen Schloßstraße etwa 60 Häuser, voneinander getrennt mit schmalen Bohlenwegen, gestanden hatten.