Archäologie: Spektakuläre Funde, die die Menschheitsgeschichte geprägt haben. Heute: Goldmünzen aus dem Römischen Reich.

Im Märchen "Sterntaler" von Jacob Grimm fallen Goldmünzen vom Himmel, um die selbstlosen Taten eines jungen Mädchens zu belohnen. "In der Realität fand ein Hausbesitzer aus Eppendorf 1887 bei der Gartenarbeit auf seinem Grundstück am Abendrothsweg eine römische Goldmünze, einen Solidus aus der Zeit des Kaisers Arcadius. Ein weiterer Solidus tauchte 1932, ebenfalls beim Umgraben eines Beets, am Offakamp in Lokstedt auf", sagt Rainer-Maria Weiss, Direktor des Archäologischen Museums Hamburg.

Kaiser Arcadius regierte von 395 bis 408 nach Christus die Osthälfte des römischen Reiches. Und er ließ Geldstücke mit seinem Konterfei in Byzanz, dem heutigen Istanbul, prägen. "Goldmünzen sind sehr besondere Funde, denn sie gingen nicht einfach verloren. Wenn der Kaiser abdankte und ein neuer Regent in Rom ans Ruder kam, wurden die alten Münzen eingeschmolzen - oder in Gräbern und an Opferstätten niedergelegt", sagt der Museumsdirektor. Das Prägen von Goldmünzen war lange Zeit ein kaiserliches Privileg.

Doch weshalb tauchen römische Goldmünzen im damals freien Germanien auf, etliche Kilometer vom Limes, der Grenzlinie zu den römisch besetzten Gebieten im Rheinland? Weiss: "Hier im Norden häufen sich Funde, die einst römische Prestigegegenstände waren. Also zum Beispiel Bronzesiebe zum trinkfertigen Ausschenken von Wein und große Bronzekessel zum Aufbewahren des Rebensaftes - antike Luxus-Gegenstände." Auch feine Rasiermesser und typisch römische Schmuckobjekte haben die Archäologen schon ausgegraben - "manche davon sind auch gekonnte Plagiate, von heimischen Handwerkern kopiert, quasi eine frühe Art der Produktpiraterie. Man wollte hier ganz prestigebewusst auf Römer machen", sagt Weiss.

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Wenn also die Germanen römische Kultur stylish fanden, haben sie wohl eher nicht Krieg gegen die vermeintlich feindlichen Römer geführt, sondern sich von ihnen als Söldner im römischen Heer anheuern lassen. "Als Lohn fürs jahrelange Soldatendasein gab es am Ende einen Beutel mit Goldmünzen - ein Vermögen und zugleich Altersvorsorge", so Weiss. Vom Begriff "Solidus" für jene Goldmünzen leiten sich die Worte Sold, Söldner und Soldat ab. Die 2,8-Gramm-Goldmünze galt als solide Währung. Zwar war sie in Germanien kein Zahlungsmittel. Weiss: "Wer Gold besaß, war auf der sicheren Seite und musste nicht befürchten, arm und obdachlos zu werden."

Dass Rom seine Söldner gut bezahlte, hatte sich in Germanenkreisen herumgesprochen, sodass sich sehr viele Männer dazu entschlossen, in römische Dienste zu treten. Was sie im Römischen Reich erwartete, muss wie ein Kulturschock gewesen sein: mehrstöckige Häuser aus Stein, Wasserleitungen, Bäder, Saunen, ein gut ausgebautes Straßennetz, fremdartige Speisen - alles unbekannt im hohen Norden, wo man in Holzhütten lebte und von den südlichen Tisch- und Trinksitten nicht viel wusste. Auch Sprache und Schrift der Römer lernten die Germanen kennen. "Die haben dort die große Welt gesehen", sagt der Landesarchäologe.

Umgekehrt müssen die Römer auf die staunenden Germanen herabgeblickt haben. "Sie galten als Barbaren", sagt Weiss. Doch einige Gelehrte wie unter anderem Tacitus priesen die Tapferkeit der Germanen - was sie zu begehrten Söldnern machte. Und gegen gutes Geld waren sie sogar dazu bereit, die eigenen Leute zu bekämpfen.

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Roms germanische Fremdenlegionäre hatten viel zu tun: Um 395 nach Christus plünderten Hunnen die Ostprovinzen, und Westgoten drangen tief ins römische Territorium ein. Immer wieder brachen Revolten unter germanischen Hilfstruppen aus, die es zu befrieden galt. Die Germanen kamen herum in Europa. "Die Solidi waren hart verdient", sagt Weiss. Sie ernährten nicht nur den Söldner, sondern auch deren Familien. So wurde Geld nach Hause geschickt, das daheim sehnlichst erwartet wurde. Nach Ende der Dienstzeit zogen die Soldaten gen Heimat und wurden dort bewundernd empfangen. "Hier zeigte man seinen neuen Reichtum und die erworbene römische Lebenskultur gern, lud Freunde, Nachbarn und Verwandte zum Weinzeremoniell nach römischer Art ein."

Zuvor bot es sich jedoch an, den kostbaren Sold, die Goldmünzen, auf ihre Echtheit zu prüfen. Denn manchmal waren die römischen Zahlmeister korrupt und händigten den Soldaten gefälschte Solidi aus. Die hatten meist einen Bleikern. Ein Ärgernis, wenn man das erst jenseits des Limes feststellte. Deshalb schlugen misstrauische Söldner eine kleine Kerbe in den Rand der Münze oder bissen kräftig drauf - ein Brauch, der sich bis heute gehalten hat.

Und die Münzen aus dem Sterntaler-Märchen? "Dabei könnte es sich um keltische Münzen handeln, die im Volksmund Regenbogenschüsselchen genannt worden sind", sagt der Museumsdirektor. Es sind Gold- und Silbermünzen, die in den drei Jahrhunderten vor Christus geprägt worden sind. Sie sind schüsselförmig gewölbt und mit Kugeln, Punkten, Kreisen und Sternen verziert. Weiss: "Sie wurden oft nach Regengüssen von den Bauern auf ihren frisch gepflügten Äckern gefunden. Und wie sie da nach dem Gewitter auf der schwarzen Erde glänzten, glaubten die Menschen, sie markierten den Anfangs- und Endpunkt eines Regenbogens". Deshalb galten sie als himmlische Glücksbringer und boten Stoff für Mythen wie das Sterntaler-Märchen.

Wer die vorangegangenen Folgen verpasst hat, findet sie unter www.abendblatt.de/schaetze . Das Abendblatt-Video zur Serie: www.abendblatt.de/ausgrabungsschaetze

Am kommenden Montag berichtet Museumsdirektor Rainer-Maria Weiss über die Schwierigkeiten der ersten christlichen Missionare in Norddeutschland.