Generalsekretärin fordert, alle Bürger in Vorwahlen über Kandidaten abstimmen zu lassen

Stade/Berlin. Es brodelt in der SPD. Heute will der Bundesvorstand erstmals über die Pläne von Generalsekretärin Andrea Nahles beraten, künftig auch Nichtparteimitglieder über die Wahllisten der Partei in einer Urwahl mit abstimmen zu lassen. Doch bei vielen SPD-Politikern im Landkreis Stade stößt der Vorschlag schon jetzt auf Unverständnis. Nahles will mit der Öffnung der Partei erreichen, dass die SPD attraktiver und flexibler wird und verkrustete Parteistrukturen aufgebrochen werden. So sollen die Bewerber für Landratsposten, Bundestags- und Landtagabgeordnete auch von jenen Bürgern mitbestimmt werden, die nicht Mitglied in der SPD sind. Lediglich die Wahlen für die Parteiämter würden laut Nahles' Plänen künftig den SPD-Mitgliedern vorbehalten bleiben.

Die SPD-Landtagsabgeordnete Petra Tiemann saß am Dienstag in Berlin in einer Konferenz der Parteispitze mit Nahles und Parteichef Sigmar Gabriel, wo lange und kontrovers über den Reformvorschlag diskutiert wurde. "Wir sind gerade mitten in der Debatte, ob wir das wollen und wenn ja, wie wir das umsetzen wollen", sagt Tiemann. "Im Dezember werden wir auf dem Bundesparteitag darüber entscheiden, wohin die Reise gehen wird", so die Landtagsabgeordnete. Sie werde die jetzt in Berlin diskutierten Vorschläge nun mit der Parteibasis im Kreis Stade beraten.

Die Landesverbände und die Parteibasis im Landkreis Stade sind von dem Vorschlag von Andrea Nahles offensichtlich nicht sonderlich begeistert. Niedersachsens SPD-Chef Olaf Lies steht den Plänen skeptisch gegenüber, ähnlich Ralf Stegner, Chef der Genossen in Schleswig-Holstein.

Stades SPD-Fraktionschef Kai Holm sagt, er habe nichts gegen eine Öffnung der Partei, diese dürfe aber nicht in die falsche Richtung gehen. "Ich finde es gut, wenn wir externe Experten als Kandidaten reinholen. Das hilft uns und den Bürgern. Die Partei aber generell für alle zu öffnen, ist für mich ein Widerspruch in sich. Dann wird die Existenz einer Partei sinnfrei", sagt Holm. Zudem könnte die Reform die Partei vor arge finanzielle Probleme stellen. "Wenn jeder auch ohne Parteizugehörigkeit über die Kandidaten abstimmen darf, dann gibt es auch immer weniger Gründe für Bürger, in die SPD einzutreten", sagt Holm. Die Konsequenz wäre, dass der Partei mehr und mehr Mitgliedsbeiträge fehlen würden und damit jegliche Parteiarbeit und auch die Organisation von Wahlen finanziell erschwert würde.

Petra Tiemann sieht das ähnlich. "Ich finde, dass es auch Exklusivrechte für eine Parteimitgliedschaft geben muss, wie etwa das Wahlrecht. Ansonsten brauche ich auch nicht in eine Partei einzutreten", sagt Tiemann. Mitglieder würde man nur über Exklusivität, nicht Beliebigkeit gewinnen. "Das ist alles nicht ausgegoren", sagt Kai Holm, der Nahles' Vorstoß als "blinden Aktionismus" bezeichnet.

Eine gewisse Sympathie für den Reformvorschlag hegt dagegen die stellvertretende SPD-Kreistagsfraktionsvorsitzende und Buxtehuder Ratsfrau Astrid Bade. "Ich bin für eine Öffnung der Partei, aber man muss darauf achten, dass die Parteimitgliedschaft weiterhin eine wichtige Rolle behält", sagt Bade. Die Öffnung der Partei mit der Bedeutung der Parteimitgliedschaft in Einklang zu bringen, sei eine schwere Aufgabe. "Wir müssen abwarten, wie die Pläne aus Berlin am Ende aussehen werden. Aber ich finde es wenig sinnvoll, so weiter zu machen, wie in den vergangenen Jahrzehnten", sagt Bade.

Die Zeiten, in denen ein Parteidiktat Usus war, seien vorbei. Eine zeitgemäße Struktur sei notwendig, um Parteien generell für Bürger wieder attraktiver zu machen. "Die Bürger müssen hineinschnuppern können, ohne gleich in die Partei eintreten zu müssen. Viele haben Angst vor einer Bindung an eine Partei und brauchen Zeit, um für sich herauszufinden, ob ein Parteieintritt für sie das richtige ist", sagt Bade. Sie geht davon aus, dass auch andere Parteien dem Vorschlag von Nahles gezwungenermaßen folgen würden. Bade betont aber, dass trotz der Öffnung der SPD das Selbstbestimmungsrecht der Partei nicht in Gefahr geraten dürfe.

Heiko Sudwischer, SPD-Fraktionschef in Harsefeld, glaubt, dass die Idee von Nahles ein "Irrweg" ist und die Partei vor arge Probleme stellen könnte. "Externe Kandidaten zu holen, das ist in Ordnung. Aber die Listen von Bürgern aufstellen zu lassen finde ich problematisch. Dann müssten in letzter Konsequenz alle Listen bei Wahlen vollständig von den Bürgern aufgestellt werden", sagt Sudwischer. Das würde der Parteitrennung aber nicht mehr entsprechen, die klaren politischen Lager würden aufhören zu existieren. "Eine Aufstellung der Listen sollte primär innerhalb der Partei stattfinden, auch um eine Beliebigkeit in der Partei zu verhindern", so der SPD-Politiker.

Rolf Bredendieck, SPD-Vorsitzender in Stade, findet den Vorstoß aus Berlin kontraproduktiv. "Wenn wir die Partei so öffnen, gibt es immer weniger Gründe für Bürger, in die SPD einzutreten. Wir werden so langfristig nur Mitglieder verlieren", so Bredendieck. Zudem sei es mehr als problematisch, wenn in einem Verein oder einer Partei andere als die Mitglieder über die Kandidaten zur Wahl bestimmen. "Das wäre ja noch schöner, wenn die CDU-Mitglieder zu unseren Wahlveranstaltungen kommen und unsere Kandidaten bestimmen oder umgekehrt, wir die Kandidaten der CDU künftig bestimmen würden", sagt Bredendieck.

Stades CDU-Fraktionschef Karsten Behr ist verwundert über den SPD-Vorstoß in Berlin. "Ich weiß gar nicht, wie das organisatorisch funktionieren soll", sagt Behr. Es sei ein enormer Aufwand, der mit solch einem System und den dazugehörigen Wahlen verbunden wäre. "Ob sich das wirklich lohnt, muss ernsthaft hinterfragt werden", sagt Behr. Das sieht auch Uwe Merckens von den Grünen so. "Das ist nicht sinnvoll. Es sollte einen Anreiz geben, in eine Partei einzutreten. Mit dem Aufweichen der Strukturen erreicht man dieses jedenfalls nicht", so der Stader Grüne.

Kai Seefried, Kreisvorsitzender der CDU, glaubt nicht, dass der derzeitige Vorschlag der SPD zum Erfolg führen könne. Die SPD habe, anders als die CDU, den entscheidenden Schritt zur Einbindung einer breiten Gesellschaft nicht geschafft, in der CDU sei eine Mitentscheidung aller CDU-Mitglieder bei Urwahlen möglich. Bei der SPD werden die Kandidaten von Delegierten gewählt. "Das vorgesehene Verfahren aus Registrierung, namentlicher Abstimmung und Kostenbeteiligung wirkt wie ein bürokratisches Monster", sagt Seefried. "Die Vorschläge der SPD hören sich eher nach einer Mitgliederwerbeaktion über die Erstellung eines Adressenpools an. Ganz ernst kann die SPD ihren Vorschlag bei diesem Vorgehen nicht gemeint haben."