Roland Krügel aus Tornesch und Ute Ehmke aus Groß Nordende erklären ihr Amt

An der Wand hängt eine Karikatur. Sie zeigt Roland Krügel als König auf einem Sockel. Torneschs Bürgermeister, der in der Stadt oft „König Roland“ genannt wird, muss schmunzeln, wenn er das Bild sieht. König Roland – einerseits schmeichelt es ihm, andererseits zeige das Bild, so Krügel, dass die Menschen ein völlig falsches Bild von seinem Amt haben. „Ich bin alles, nur kein König.“

Der Bürgermeister ist vor allem eines: Verwaltungschef. Als oberster Dienstherr im Rathaus ist er Vorgesetzter der Mitarbeiter in der Verwaltung, also etwa dem Bauamt, der Finanzbehörde und dem Sozialamt. In der Kleinstadt Tornesch sind das 38 Mitarbeiter, die 50 Teil- und Vollzeitstellen besetzen. Darüber hinaus ist der Bürgermeister gemeinsam mit dem Bürgervorsteher Repräsentant seiner Stadt oder Gemeinde. Drittens ist er der gesetzliche Vertreter. Das heißt: Er setzt seine Unterschrift unter Verträge, damit sie rechtskräftig werden, und kümmert sich auch um Eilanträge, etwa wenn kurzfristig ein neues Feuerwehrauto beschafft werden muss, weil das alte einen Totalschaden hat. Solche Anschaffungen muss er verantworten.

„Viele glauben, ein Bürgermeister ist allmächtig. Er hat aber viel weniger Gestaltungsmöglichkeiten, als man glaubt“, sagt Krügel, der zwar seit 28 Jahren die Verwaltung leitet, aber noch nicht einmal die Öffnungszeiten des Rathauses bestimmen kann. Die größte Gestaltungsmöglichkeit habe die Politik. Wie viele seiner Amtskollegen hat auch Krügel ein Parteibuch, er ist CDU-Mitglied. Doch als Bürgermeister muss er möglichst politisch neutral agieren.

„Ich kann nur Ideen einbringen und Vorschläge, etwa für Bebauungspläne machen“, sagt Krügel. Was am Ende herauskommt, das sei Sache der Politik, die in den Fachausschüssen und im Rat über die Projekte diskutiert, manchmal auch streitet. Als Bürgermeister erstellt er mit den Mitarbeitern der Verwaltung sogenannte Vorlagen für die Politiker. Darin wird über den Grund für ein Projekt informiert, weshalb es sinnvoll sein könnte, über Umsetzungsschritte, juristische Probleme und Kosten. Im Jahr sind das 100 und mehr Vorlagen, die in rechtlich einwandfreiem Zustand vorliegen müssen. Dazu kommt der oft mehrere Hundert Seiten dicke Haushaltsplan, in dem genau steht, wofür wie viel Geld ausgegeben wird, welche Einnahmen die Stadt hat und was finanziert werden kann.

Ein guter Bürgermeister, so Krügel, kenne die Politiker vor Ort gut und wisse daher, was sich umsetzten lasse und was nicht. Netzwerken sei wichtig, um Mehrheiten für ein Projekt zu finden. Das klappt zuweilen, manchmal geht es aber schief, auch weil die Tagespolitik einen Strich durch die Rechnung machen kann. Wenn plötzlich die öffentliche Meinung kippt, können auch akribisch geplante Projekte nicht mehr umgesetzt werden und landen in der Tonne – teilweise aber nur vorübergehend. Manche Projekte lassen sich im Sinne des Bürgermeisters umsetzen. Meistens seien aber Kompromisse nötig.

„Es muss genau austariert werden, was wie mit wem gemacht werden kann. Das ist nicht einfach“, sagt Krügel. Auch, weil die Gemeinde manchmal gegen das Land oder den Kreis Stellung bezieht oder umgekehrt. Der Bürgermeister müsse dann die Klaviatur der Diplomatie spielen und die Wogen glätten – oder seinerseits poltern, damit die Interessen der Stadt gewahrt bleiben.

Rund die Hälfte der Arbeitszeit ist politische Arbeit, inklusive Teilnahme an Rats- und Ausschusssitzungen, Fahrten zu Ministerien und Kreisverwaltung sowie Gesprächen mit Landtags- und Bundestagspolitikern. 45 Prozent geht für die tägliche Verwaltungsarbeit drauf, den Papierkram. Anträge prüfen, Rechnungen begutachten, Baupläne, die seit Jahren reifen, auf ihren Stand überprüfen. Telefonate mit Investoren und Amtskollegen führen und schauen, welche Fördermittel von EU, Bund und Land sinnvoll genutzt werden können. Insbesondere das Wissen um Förderung werde wichtiger, meint Krügel. Stimmt die Begründung nicht, fließt später kein Geld. Gerade einmal fünf Prozent der Arbeitszeit ist für repräsentative Aufgaben reserviert. Ein Händedruck, ein Spatenstich, eine Jubiläumsrede, eine Reise zur Partnerstadt.

Viele repräsentative Aufgaben übernimmt inzwischen der Bürgervorsteher, denn für all das, was der Bürgermeister machen muss, hat er nur eine Arbeitszeit von 35 Stunden. Eigentlich. „In der Realität fange ich um acht Uhr morgens an und höre um viertel nach acht abends auf. Der Zwölf-Stunden-Tag ist die Regel, in der Woche sind es schnell 60 bis 70 Stunden“, sagt Krügel. Und selbst danach schwirren ihm oft noch Projekte und Probleme im Hinterkopf. Geistig, so sagt er, sei er 24 Stunden am Tag Bürgermeister.

Das denken auch viele Bürger. Dass jemand um 22 Uhr oder gar um Mitternacht anruft, weil der Bürgermeister schnell helfen müsse – auch das gibt es. „Auf die Stunde gerechnet, bin ich der schlechtbezahlteste Mitarbeiter im ganzen Rathaus“, meint Krügel. „Und eine Wertschätzung für das Amt ist eigentlich nicht vorhanden.“ Aber dennoch mache er den Job gerne. „Man muss es einfach mögen. Wer das alles als Belastung empfindet, sollte es nicht machen.“ Und wer nicht auf Menschen zugehen könne, sei ohnehin fehl am Platz.

Entschädigt wird Krügel auch, wenn er auf die Stadt schaut. „Für das meiste, was hier entstanden ist, bin ich schon verantwortlich.“ Auch wenn die Politik seine Ideen absegnen musste, bevor sie Wirklichkeit wurden. Aber wenn er die gewachsene Stadt sehe, wie der Schulneubau ohne Geld in der Tasche gestemmt wurde, wie sich neue Unternehmen angesiedelt haben, wo Kitas gebaut wurden und wie das Projekt Tornesch am See nach 15 Jahren Verhandlungen Form annimmt, dann ist ihm wohl ums Herz. Dann ist Bürgermeister doch der beste Job, den es gibt.

Neben den hauptamtlichen Bürgermeistern gibt es auch ehrenamtliche. So wie Ute Ehmke in Groß Nordende. Ihr kleines Büro im zweiten Stock des mit Schnitzereien verzierten ehemaligen Schulgebäudes nutzt sie nur selten. „Die meisten Menschen rufen mich auch zu Hause an.“ Auch außerhalb der Sprechzeiten, die sie zweimal im Monat anbietet. Die 56-Jährige leitet seit 2008 die Geschicke der Gemeinde, als erste Frau in diesem Ehrenamt. Zuvor war sie fünf Jahre stellvertretende Bürgermeister – ganz ohne Frauenquote. Die ist in der 780-Seelen-Gemeinde nördlich von Uetersen nicht nötig, fünf der neun Gemeindevertreter sind weiblich.

Die überwiegende Zahl der Gemeinden in Schleswig-Holstein wird von einem ehrenamtlichen Bürgermeister oder Bürgermeisterin geleitet. Die Verwaltung übernimmt ein Amt, das für mehrere Gemeinden zuständig ist. „Das Amt Moorrege unterstützt mich beispielsweise bei Baumaßnahmen oder Ausschreibungen“, sagt Ehmke, die der Wählergemeinschaft Gemeinschaft unabhängiger Bürger angehört. Die ist mit fünf Sitzen in der Gemeinde vertreten, die alte kommunale Wählergemeinschaft mit vier. Die etablierten Parteien haben hier nichts zu melden. „Wir können direkt etwas für unsere Gemeinde tun, sind nicht Parteivorgaben verpflichtet“, sagt Ehmke. Dennoch ist der kommunalpolitische Handlungsspielraum überschaubar. „Es gibt viele Vorgaben vom Land.“

Ehmke setzt sich für den Erhalt der kommunalen Selbstverwaltung ein. „Wir wollen eigenständig bleiben, weil das für uns kostengünstiger ist.“ Die Gemeinde ist schuldenfrei, auch ohne Steuereinnahmen durch Gewerbe. Investitionen sind kaum möglich. Der Großteil der Einkommenssteuer geht für Amts- und Kreisumlagen, Mitglieder- und Schulkostenbeiträge drauf. Der Rest fließt in die Unterhaltung von Gebäude und Wege. Auch das bauliche Wachstum der Gemeinde ist begrenzt, einerseits durch Regularien auf Landesebene, andererseits durch das Naturschutzgebiet der Seestermüher Marsch. Am Ball bleibt Groß Nordende beim Breitbandanschluss.