Prof. Christian Martin, Politikwissenschaftler der Uni Kiel: Um Bürgermeister zu werden, muss man Wähler ansprechen, um es zu bleiben, erfolgreiche Sachpolitik machen

Hamburger Abendblatt:

Hauptamtlicher oder ehrenamtlicher Bürgermeister: Wer von beiden hat eigentlich mehr Macht?

Christian Martin:

Es handelt sich um unterschiedliche Arten von Macht, weil sie unterschiedlich legitimiert sind. Den ehrenamtlichen Bürgermeister wählt die Gemeindevertretung, der hauptamtliche wird vom Volk gewählt. Das stärkt die Stellung des hauptamtlichen Bürgermeisters gegenüber der Gemeindevertretung. Zudem leitet er die Verwaltung, was für ehrenamtliche Bürgermeister nur in amtsfreien Gemeinden gilt. Insgesamt also darf man dem hauptamtlichen Bürgermeister die größere Macht zusprechen, was natürlich auch mit der Größe der Gemeinde zu tun hat.

Hat sich die vor 16 Jahren eingeführte Direktwahl hauptamtlicher Bürgermeister bewährt?

Martin:

Sie hat zumindest keinen Schaden angerichtet. Die Spaltung der Legitimationsgrundlage von Gemeindevertretung und Bürgermeister ist aus politikwissenschaftlicher Sicht zunächst nicht unproblematisch. Die Direktwahl des Bürgermeisters widerspricht der Konstruktionslogik anderer Institutionen auf der kommunalen Ebene; man kann die Direktwahl als systemfremdes Element kritisieren. Außerdem hat sich die Hoffnung nicht erfüllt, dass die Wahlbeteiligung ansteigt. Aber die Bürgermeister leisten gute Arbeit, daran hat die Direktwahl nichts geändert.

Hat die Direktwahl das Amt gestärkt oder geschwächt?

Martin:

Sie hat das Amt verändert. Der Bürgermeister muss mehr Politiker sein. Das kann man gut finden, weil es die Rückbindung an die Bevölkerung stärkt. Andererseits sind Entscheidungen schwieriger geworden, weil der Bürgermeister die Unterstützung der anders legitimierten Vertretung benötigt. Das schafft für beide Spielräume, die zu Blockaden führen können.

Wie hat sich das Profil der Amtsinhaber seitdem verändert?

Martin:

Die Anforderungen haben sich teilweise verändert, heute ist mehr politisches Geschick gefordert. Aber im Großen und Ganzen wird in den Gemeinden vor allem Sachpolitik gemacht. Pointiert gesagt: Um Bürgermeister zu werden, muss man den Wähler ansprechen, um Bürgermeister zu bleiben, ist erfolgreiche Sachpolitik gefordert.

Sollte ein hauptamtlicher Bürgermeister ein Verwaltungsfachmann sein?

Martin:

Ein Fachmann hat gegenüber der Verwaltung, der er ja vorsteht, sicher eine stärkere Position. Andererseits kann nicht alles nur nach Verwaltungsgrundsätzen entschieden werden. Politik, die gestalten will, muss auch politische Entscheidungen treffen, da unterscheidet sich die kommunale Ebene nicht von anderen Ebenen. Ich würde die Antwort auch von den Anforderungen abhängig machen – welche Verteilungsspielräume existieren, welche Herausforderungen gilt es zu bewältigen? Kreative Politik kann zuweilen wichtiger sein als die Kompetenz des Verwaltungsfachmannes, die sich der Bürgermeister ja auch zuliefern lassen kann. Das setzt natürlich voraus, dass der Politiker auf die Fachleute hört.