Heilpädagogin Gabriele Kascha zeigt in Tornesch eine Fotoausstellung über die zweijährige Arbeit mit einem behinderten Kind.

Tornesch. Zuerst war es ein Schock. Bei Jule wurde bereits im Mutterleib festgestellt, dass sie eine Trisomie 21 haben würde. Wenn bei einem Menschen das 21. Chromosom dreimal - statt wie sonst üblich nur zweimal - im Erbgut vorkommt, liegt eine geistige Behinderung vor: das Downsyndrom, auch Trisomie 21 genannt.

Jules Eltern haben sich jedoch nach reiflicher Überlegung entschlossen, ihr das Leben zu schenken und alle Fördermöglichkeiten zu geben. Gabriele Kascha, Heilpädagogin im Frühförderbereich und Lehrkraft im Förderzentrum für geistige Entwicklung in Appen, hat zwei Jahre lang intensiv mit Jule gearbeitet. Die Mutter war fast immer dabei.

Während der Förderstunden entstanden beeindruckende Fotos, von denen Gabriele Kascha 40 Stück mit dazugehörigen Erklärungen für eine Wanderausstellung zusammengestellt hat. Sie sind jetzt täglich im Foyer des Wohn- und Servicezentrums der Awo in Tornesch, Friedrichstraße 2-4, von 8 bis 19 Uhr zu sehen.

Dank der Pränataldiagnostik lässt sich bereits im Mutterleib feststellen, ob ein Kind mit einer Behinderung geboren werden könnte. Offenbar bestehe ein enger Zusammenhang zwischen auffälligem Befund bei Trisomie 21 und darauf folgenden Schwangerschaftsabbrüchen, sagt Gabriele Kascha. Für eine schwangere Frau sei der Erwartungsdruck, sie solle ein gesundes Kind zur Welt bringen, eine enorme Belastung. Häufig komme es zu einer langen Schockphase, wenn ein Kind mit einer Behinderung geboren werde.

Ob die Pränataldiagnostik Fluch oder Segen sei, komme ganz auf die Sichtweise an, so die Heilpädagogin. "Stellen Sie sich vor, die Pränataldiagnostik würde sich gegen alle Erwartungen zum Anwalt des behinderten Kindes machen und eine entsprechende Beratung würde stattfinden.

Dann wäre eine frühe Förderung und Einbindung des Kindes selbstverständlich, und alle Möglichkeiten und Chancen würden ausgeschöpft." Gabriele Kascha weiß aus ihrer langjährigen Erfahrung, wie Menschen mit einer geistigen Behinderung empfinden. Sie seien in der Regel sozialer eingestellt als andere Menschen, kümmerten sich mit weniger Vorbehalten und eigentlich wie selbstverständlich um die jeweils noch Schwächeren ihres Umfeldes. "Was macht sie so anders als uns, die wir alles hinterfragen, fragmentieren, vergleichen und bewerten müssen und die, die ständig auf der Suche nach dem angeblich verlorenen Glück sind?", fragt Gabriele Kascha. Sie liefert die Antwort gleich mit: "Vielleicht haben diese Menschen das, was uns oft fehlt. Sie sind vorbehaltlos ehrlich, sie haben die innere Zufriedenheit, eine selbstlose Fröhlichkeit und einen Glauben daran, von ihrem Gegenüber akzeptiert und geliebt zu werden. Also, eigentlich ein Geschenk für jede Gesellschaft."

Daher sei eine Gesellschaft nur dann akzeptierend und lebensbejahend, wenn sie ihren chronisch kranken, alten, gebrechlichen und behinderten Mitmenschen einen Platz in ihrer Mitte anbiete und sichere, "ohne sich immer an der Normalität zu messen, was auch immer das sein mag." Kascha: "Wir sollten akzeptieren, dass es Unterschiede geben muss, die uns als Gesellschaft ausmacht und uns als solche auch bereichert." Die Forderung könne nur heißen: Förderung, Erziehung, Bildung und Betreuung von Kindern mit Behinderungen. Jule ist heute ein interessiertes und sehr aufgewecktes Schulkind eines Förderzentrums mit dem Schwerpunkt Geistige Entwicklung.

Gabriele Kascha, die Vorsitzende des Vereins Selenogradsk ist, hat im russischen Partnerkreis eine Tagesförderstätte für Menschen mit einer geistigen oder Mehrfachbehinderung aufgebaut, die inzwischen von Betroffenen im Alter von zwei bis 28 Jahren besucht wird. Ehrenamtlich ist sie auch in der Frühförderung Norderstedt tätig.