Beim Entzug von Drogen setzt die Fachklinik in Bokholt-Hanredder auf Akupunktur. Patient Benjamin erzählt, wie ihm die Therapie geholfen hat.

Bokholt-Hanredder. Mit zwölf Jahren begann Benjamins Drogenkarriere. Er war gerade von Süddeutschland in den Norden gezogen. Er ließ alles hinter sich, auch seine Freunde. Alles war neu. Er suchte Anschluss und fand die falschen Freunde. Wer zur Clique im Dorf gehören wollte, musste trinkfest sein. "Mit 18 Jahren gestand ich mir ein, dass ich ein Problem hatte", sagt der heute 48-Jährige, der im Kreis Pinneberg lebt und anonym bleiben möchte. Er wendete sich an eine Hamburger Suchtberatung. Dort wies man den Teenager zurück. "Sie sagten mir, ich müsste erst mal härter drauf kommen, damit sie sich um mich kümmern können", erinnert sich Benjamin.

Damals trank und kiffte er "nur". Die Beratungsstelle, in der er um Hilfe bat, kümmerte sich allerdings um die "harten Fälle" wie Heroinabhängige. Benjamin passte nicht in ihr Konzept. Also fiel er durchs Netz. Das ist nun bald 30 Jahre her. Seitdem hat sich in der Drogenpolitik viel getan.

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In der Fachklinik Bokholt in Bokholt-Hanredder spielen junge Männer im Foyer Tischkicker und Tischtennis. Auf einem Tischchen liegen Zeitschriften mit Klatsch aus der Promiwelt. Die Teenager sind hier, um einen Entzug zu machen. Die meisten sind abhängig von Cannabis, aber auch Alkohol und harten Drogen wie Heroin, Ecstasy oder Koks. Die Jüngsten sind erst zwölf.

Die 18 Behandlungsplätze sind belegt. "Zu uns kommen Studenten aus gutem Hause, die ihren Haschischkonsum nicht mehr unter Kontrolle haben, aber auch Jugendliche aus zerrütteten Familienverhältnissen, die sich betäuben", sagt Dagmar Schreyer, Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie. Neben der Station für Jugendliche gibt es hier 17 Plätze für Erwachsene. In dieser Abteilung werden, anders als bei den jüngeren Patienten, keine Opiat-Ersatzmittel verordnet. Die Jugendlichen dürfen sich nicht bei den Erwachsenen und in der Reha-Abteilung aufhalten.

Beim Entzug setzt die Klinik auf Nadeln. Die Patienten werden mehrmals am Tag mit Akupunktur gestützt. Hier hat die Fachklinik Bokholt, die 1991 eröffnete, Pionierarbeit geleistet. "Es war eine der ersten Einrichtungen, die konsequent auf traditionelle chinesische Medizin gesetzt hat", sagt Dagmar Schreyer. Begleitet wird der Entzug von Therapie- und Gesprächsangeboten. Zugleich wurde eine wirksame Kurzzeittherapie entwickelt. In den 90er-Jahren waren 18 Monate Aufenthalt üblich. Wolfgang Weidig, stellvertretender Klinikleiter und Sozialpädagoge, hatte damals mit dem Therapeuten Gustav Reissmann das bundesweite Modellprogramm "Kompakttherapie" in Agethorst (Kreis Steinburg) umgesetzt, dem ursprünglichen Standort. Besonders für Menschen mit Kokainproblemen ist die dreimonatige Kurzzeitrehabilitation gedacht.

Als es in Agethorst zu eng wurde, zog die Fachklinik 1998 nach Bokholt-Hanredder. Die Klinik liegt in einem ruhigen, parkähnlichen Gelände am Rande des Dorfes - 30 Kilometer von Hamburg entfernt, fernab von Dealern, Großstadtlärm, Stress oder anderen schlechten Einflüssen. Auf dem Rasen hinter dem Haus ist ein Volleyballnetz gespannt. Sport lenkt ab, schafft neue Ziele. Damit die Patienten lernen, sich zu entspannen, wird Qigong unterrichtet. Kräuterbäder sollen die starke Unruhe in den ersten Tagen dämpfen, den Entgiftungsprozess verbessern und schlaffördernd wirken. Ähnlich wirken Teemischungen. Rücken-, Bein- und Kopfschmerzen werden mit chinesischen Ölen behandelt.

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Niemand sollte sich von den sanften Methoden täuschen lassen. Wer es hier schaffen will, muss sich an harte Regeln halten. "Der Aufenthalt beruht auf Freiwilligkeit", sagt Wolfgang Weidig. Die Teilnahme an den gemeinschaftlichen Aufgaben, einigen Freizeitaktivitäten und dem Therapieprogramm ist allerdings Pflicht. Der Besitz von Drogen ist selbstverständlich verboten und das Gelände darf nicht allein verlassen werden. Besuch ist nur nach Absprache erlaubt. Handys und eigene Musik sind auf der Jugendstation Tabu. Pro Tag dürfen lediglich drei Euro ausgegeben werden. Mahlzeiten werden gemeinsam eingenommen.

"Drogen werden häufig genommen, wenn man sich einsam fühlt", erklärt Weidig. Eine innere Leere solle ausgefüllt werden. Mangelnde Konfliktfähigkeit, instabiles Selbstwertgefühl, Störungen in der Beziehungsfähigkeit, geringe Frustrationstoleranz - die Gründe für eine Sucht seien vielfältig. Zudem beeinflussten äußere Faktoren wie das soziale Umfeld, ob jemand abrutscht.

Benjamin, der seit 36 Jahren süchtig ist, hat das Angebot der Klinik seit 2000 viermal in Anspruch genommen. "Ich bin mehrfach abhängig", sagt er. Heroin, Alkohol, Methadon, Kokain - Benjamin ist bei jeder Art von Drogen suchtgefährdet. 2006 platzte der Knoten. "In meiner Einstellung hatte sich nach dem damaligen Entzug etwas geändert", sagt Benjamin. Er änderte sein Umfeld, ließ den alten Drogensumpf hinter sich und gründete eine Selbsthilfegruppe. Dennoch gibt es immer wieder Momente, die ihn aus der Bahn werfen, in denen er sich mit Alkohol oder Kokain betäubt. Dann ist es wichtig, dass er schnell einen Platz in der Fachklinik Bokholt bekommt. Lediglich zwei Tage hat es nach seinem Anruf gedauert, dann konnte er vorbeikommen.

Benjamin hat gelernt, die Notbremse zu ziehen: "Ich weiß, dass ich mir nach einem Rückfall schnell Hilfe suchen muss." Die letzten Male war er immerhin zwei Jahre am Stück clean - ein riesiger Fortschritt für den Ex-Junkie. Vor neun Wochen hatte er einen Rückfall. Bei seinem jüngsten Entzug hatte er keine Schmerzen. "Die Akupunktur hilft mir sehr", sagt er. In den 90er-Jahren hätte er ohne die Akupunktur nicht einmal den Entzug geschafft. Heute arbeitet er in den begleitenden Gesprächen mit den Ärzten nach und nach seine Probleme heraus. "Das ist wie bei einer Zwiebel", sagt Benjamin. Schicht für Schicht wird freigelegt, damit man den Kern allen Übels erkennen kann.