Delegierte feiern gestürzten Landesvorsitzenden und prangern “Mafia-Methoden“ an. Mögliche Direktkandidatin Boenigk zögert.

Kreis Pinneberg. Er stahl allen die Schau. Seinem langjährigen Weggefährten und CDU-Kreisvorsitzenden Ole Schröder ebenso wie seinem Nachfolger als CDU-Landeschef, Jost de Jager. Der Kreisparteitag der Christdemokraten in Rellingen geriet zur großen Christian-von-Boetticher-Show. Nachdem Schröder seinen engen Parteifreund begrüßt hatte ("Schön, dass du wieder bei uns bist"), brandete lauter und lang anhaltender Beifall auf, den von Boetticher sichtlich berührt genoss.

Die hiesige CDU hat ihrem Noch-Landtagsabgeordneten seine Liebesbeziehung zu einer 16-jährigen Internetbekanntschaft vergeben. Es sei ein "christdemokratischer Wert", so Schröder, jemanden, der aus einem Fehler Konsequenzen gezogen habe, nicht ins Abseits oder an den Pranger zu stellen. "Lieber Christian, ich habe Respekt für Deine Entscheidung", sagte der Kreisvorsitzende einen Tag, nachdem von Boetticher (wie berichtet) verkündet hatte, er werde sich mit Ablauf der Legislaturperiode aus der Landespolitik zurückziehen.

Über die "Lolita-Affäre", über die der damalige CDU-Landes- und Fraktionsvorsitzende aus Pinneberg vor gut einem Monat gestürzt war, fiel in Rellingen öffentlich kein Wort mehr.

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Wohl aber zeichnet sich für einen Teil der Christdemokraten im Kreis immer schärfer das Bild der Dolchstoßlegende ab, also vom Verrat innerhalb der eigenen Partei auf Landesebene. Der stellvertretende Vorsitzende der CDU in Elmshorn, Christian Saborowski, wetterte: "Es waren nicht die Sozialdemokraten oder die Grünen oder irgendwelche Chaoten, die von Boetticher zu Fall gebracht haben, sondern es war die CDU selbst." Unter dem lauten Beifall der Delegierten sprach Saborowski von "Mafia-Methoden". Der Sturz des designierten Spitzenkandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten sei "von den eigenen Leuten inszeniert worden".

"Es waren schwierige Zeiten - für die CDU, aber auch für Dich, Christian", resümierte de Jager. Der neue Landesvorsitzende gab die Devise aus, "über den Kampf zurück ins Spiel zu kommen". Das Ziel sei es, am 6. Mai 2012 "die mit Abstand stärkste Partei in Schleswig-Holstein" zu werden - "und das hängt nicht vom Spitzenkandidaten ab".

Von Boetticher selbst gab sich weltmännisch - und fand brave Worte für seinen Nachfolger de Jager. "Ich bin fest davon überzeugt, dass Jost de Jager ein guter Spitzenkandidat ist." Es sei ihm, so der Pinneberger Berufspolitiker, der 2005 schleswig-holsteinischer Landwirtschaftsminister, 2009 CDU-Fraktionschef in Kiel geworden war, mit Blick auf den Posten des Ministerpräsidenten im Norden "nicht um das Amt, sondern um die Aufgabe gegangen". "Ich habe alle Ziele erreicht, die ich mir vorgenommen hatte", so von Boetticher, "das letzte leider nicht."

Nach zwölf Jahren Berufspolitik fast kein Privatleben mehr gehabt

Er habe fast kein Privatleben mehr gehabt, bilanzierte der 40-Jährige. Auch deshalb habe er nunmehr eine "klare Entscheidung für ein Berufsleben außerhalb der Politik" getroffen. Bewegt sagte von Boetticher, er habe in den vergangenen Wochen bemerkt, wie aus Parteifreunden echte Freude geworden seien. Im CDU-Kreisvorstand, dem er seit 1993 angehört, bleibe er "aus Loyalität". Von Boetticher wurde ebenso wie Ole Schröder und alle dessen Stellvertreter im Amt bestätigt (siehe nebenstehenden Text).

Viele seiner Mitstreiter im Kreis hatten bis zuletzt auf von Boetticher als Direktkandidat im Wahlkreis 25 (Pinneberg, Schenefeld, Halstenbek) gesetzt. Das war während des Kreisparteitages immer wieder zu hören. "Er war doch wieder so entspannt, die Stimmung bei den Veranstaltungen so gut", sagte eine Christdemokratin.

Jedoch, die CDU hatte vergeblich auf ihr Zugpferd gesetzt - und muss jetzt in Windeseile umsatteln. Am 4. Oktober soll bekanntlich die Nominierung des Direktkandidaten erfolgen. Kreischef Schröder sieht aber keine Dramatik in der Situation, im Gegenteil: "Wir haben einen unglaublichen Pool fähiger Kandidaten." Allen voran nach Meinung des Bundestagsabgeordneten ist die Pinneberger CDU-Vorsitzende und Bürgervorsteherin Natalina Boenigk, 52, zu sehen. Auf sie, so sagte Schröder im Gespräch mit dem Abendblatt, "könnte es hinauslaufen".

Natalina Boenigk zögert noch, Direktkandidatin zu werden

Die Pinnebergerin hat sich "noch nicht entschieden", ob sie antreten will. Am heutigen Montag will sie ein Gespräch mit den Ortsvorsitzenden aus Halstenbek und Schenefeld führen. "Es wäre eine reizvolle Aufgabe", sagt Boenigk. Als mögliche Direktkandidaten sind auch die Pinnebergerin Kerstin Seyfert und der Vorsitzende der Jungen Union im Kreis, Nicolas Sölter aus Elmshorn im Gespräch.