Neues Gema-Tarifsystem am Pranger. Schenefelds Diskotheken-Betreiber Müller wehrt sich mit diversen Aktionen gegen die drohenden Kosten.

Schenefeld. Es ist fünf vor zwölf. In der Schenefelder Diskothek Eberts zieht Wolfgang Müller den Stecker. Bei Hochbetrieb. Statt bummernder Bässe, ratlose Stille. Ist jetzt Schluss mit Feiern? Nicht ganz. Zwar ist dem langjährigen Disco-Chef die Partylaune dank des neuen Gema-Tarifsystems gründlich vergangen, aber in diesem Fall handelt es sich um eine Aktion, mit der sich Müller gegen die Einführung der veränderten Gebührenordnung wehrt. Nach einem eindringlichen Appell an die zahlreichen Nachtschwärmer des Abends, eine Online-Petition gegen diese "Wucher-Tarife" zu unterschreiben, geht's mit dem Feiern weiter. Noch.

Denn Deutschlands Diskobetreiber fürchten angesichts der enormen zusätzlichen Kosten um ihre Existenz. Ab dem 1. Januar 2013 sollen die Änderungen greifen. Für das Eberts bedeuten sie laut Müller eine Steigerung der gebührenpflichtigen Abgabe um satte 900 Prozent. Das Eberts vor dem Aus?

Soweit würde Müller nicht gehen. Aber er spricht von einem tiefen Einschnitt, der die Branche grundlegend verändern könnte. Allein das Eberts müsse pro Jahr 90 000 Euro für die Gema (Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte) erwirtschaften. Bislang flossen 9000 Euro an die Verwertungsgesellschaft, die die Rechte der Musiker vertritt. "Das ist irrwitzig und völlig weltfremd", ärgert sich Müller. Diskothekenbetreiber hätten ohnehin zu kämpfen. Ein verändertes Freizeitverhalten und eine alternde Gesellschaft wirken sich negativ auf die Besucherzahlen aus. Höhere Getränkepreise, mit denen Müller und Co. die Gebühr abfedern könnten, würden dringend benötigte Gäste abschrecken. An der Preis-Schraube in Sachen Eintritt kann auch nicht gedreht werden. Denn die Gema-Gebühr ist daran gekoppelt.

Dabei wollte die Verwertungsgesellschaft mit der neuen Tarifstruktur eine Vereinfachung und Ausgewogenheit erreichen. Einfacher ist es: Statt bislang elf Kategorien gibt es nun zwei Tarife, die zwischen Livemusik und Musik vom Tonträger unterscheiden. Zudem orientieren sich die jeweiligen Gebühren an der Raumgröße, der Höhe des Eintrittspreises sowie die Länge des Veranstaltungsabends. So gibt es nach fünf Stunden Musik vom Tonträger einen Aufschlag von 50 Prozent oben drauf. Damit sollen kleine Veranstalter entlastet werden. Eine Idee, mit der sogar Eberts-Chef Müller einverstanden ist: "Im ersten Augenblick kann ich das nachvollziehen, aber wenn man sich in die Details vertieft, fragt man sich: Was haben sich die führenden Köpfe der Gema bloß dabei gedacht?" Ein Beispiel: Die Gema geht von 100 Besuchern pro 100 Quadratmeter in einer Partynacht aus. "Es hat doch nicht jede Disco bei jeden Abend ein volles Haus. Schön wär's", so Müller.

Die Gema weist in solchen Beispielen auf die Härtefallregelung. Wer nachweisen kann, dass die Annahmen nicht zutreffen, wird auch weniger zur Kasse gebeten. Sprich: Es gibt Einzelfallregelungen. Für Müller ist dieser Kompromiss keine Lösung sondern die Härte: "Wie soll ich mir das vorstellen? Wenn das Wochenende schlecht läuft, beantrage ich bei der Gema Hartz IV, weil ich die zugrunde liegenden Zahlen nicht erreicht habe. Das ist doch absurd." Zudem weist der Betreiber der Kultdiskothek vor Hamburgs Toren daraufhin, dass so doch mehr als 2000 Unternehmer bundesweit Einzellösungen mit der Verwertungsgesellschaft treffen müssten.

Dem Eberts-Chef reicht es. Zusammen mit anderen Diskobetreibern in Deutschland wehrt er sich jetzt vehement gegen das "Gema-Diktat". Nachdem Steckerziehen bei Hochbetrieb am vergangenen Wochenende soll bald ein Disco-Abend folgen, den es im Schenefelder Eberts in seiner 23-jährigen Geschichte so noch nicht gegeben hat: Es wird nur Gema-freie Musik gespielt. Keine Hits, keine Titel aus den aktuellen Charts. Zudem hat Müller seine Gäste per E-Mail angeschrieben.

Insgesamt 13 000 Mal hat er den Aufruf verschickt, die Online-Petition gegen die neuen Gema-Gebühren zu unterschreiben. Genauso sind andere Disco-Betreiber verfahren. Das scheint Wirkung zu zeigen. Bis gestern unterzeichneten rund 112 000 den Aufruf. Pro Tag kommen bis zu 2000 weitere Unterstützer hinzu. Nach Ablauf der First in 121 Tagen wird die Liste an den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages übergeben. Petitions-Initiator Matthias Rauh, der auch die dazugehörige Aktion "Kultur retten" ins Leben rief, wird demnächst den Weg aus Neustadt nach Schenefeld antreten. Geplant ist eine Art Infoveranstaltung mit Fachleuten der Branche.

Angesichts der Rückendeckung ist für Aktionist Müller eines bereits heute klar: Die Gema muss einlenken und "diejenigen, die sich das ausgedacht haben, müssen am Ende zurücktreten." Fakt ist: Gestern gab die Gema bekannt, dass sie den Dachverband DEHOGA, zu dem auch der Disothekenbetreiber zählen, zum runden Tisch geladen hat.