Wegen der Eurokrise investieren derzeit viele Menschen in solide Dinge wie etwa ihre Häuser. Doch dem Handwerk fehlt der Nachwuchs.

Kreis Pinneberg. Familie Krause aus Pinneberg wollte sich vor einem halben Jahr in Küche und Bad neue Armaturen einbauen lassen. Die alten waren verkalkt, die Hähne tropften. Also riefen sie Klempnerbetriebe aus der Region an, um Preise zu vergleichen und den Auftrag zu vergeben. Womit die Krauses nicht gerechnet hatten: Die meisten Handwerker hatten so viele Aufträge, dass es schwierig war, einen zeitnahen Termin zu bekommen. "Ein Handwerker meldete sich sogar erst nach fünf Monaten zurück", sagt Claudia Krause. Da waren die Armaturen allerdings schon ausgewechselt.

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Das Beispiel zeigt, dass es dem Handwerk derzeit gut geht. Auch die Handwerkskammer Lübeck zieht ein positives Fazit für das vergangene Jahr. 2011 sei ein Rekordjahr gewesen, heißt es im Jahresbericht, der auf der Mai-Vollversammlung der Handwerkskammer vorgestellt wurde. 15,5 Milliarden Handwerksumsatz allein in Schleswig-Holstein, das sind 0,4 Milliarden mehr als im Vorjahr. Zum Vergleich: 2006 waren es 10,4 Milliarden. Die Zahl der Beschäftigten stieg landesweit um 2000 auf 150 000. "Für viele Betriebe war die wirtschaftliche Lage so gut wie schon lange nicht mehr", sagt Ulf Grünke von der Handwerkskammer. "Die Eurokrise ist in aller Munde. Wir stellen fest: Die Menschen investieren wieder in solide Dinge."

In ihre Häuser zum Beispiel. "Betongold" nennt Grünke das. Stark nachgefragt sei etwa Wärmedämmung gewesen. Hausbesitzer hätten das Dach oder Badezimmer sanieren, Parkett oder Teppich verlegen lassen oder Maler mit einem neuen Anstrich beauftragt. "Auch haben wir gemerkt, dass die Menschen zu Gold- und Silberschmieden gehen, um hochwertigen Schmuck zu kaufen. Sie investieren in echte Werte, nicht in Papierwerte", sagt Grünke.

Das merkt auch Thomas Dohrn. Ihm gehört ein Malerbetrieb in Uetersen. "Wir arbeiten hauptsächlich für die Privatkunden", sagt der stellvertretende Kreishandwerksmeister und Obermeister der Maler- und Lackierinnung in Pinneberg. "In den vergangenen zwei Jahren war die Auftragslage für ihn und seine drei Mitarbeiter sehr gut. Die Leute stecken ihr Geld ins Haus, auch aus Angst vor einer Inflation." Häufig handele es sich nicht um reine Verschönerungen, sondern um energetische Sanierungen, mit denen die Hauseigentümer Energiekosten einsparen. In finanziell unsicheren Zeiten ziehen viele Menschen Investitionen vor.

"Es muss aber niemand fürchten, dass er keinen Handwerker mehr bekommt", beruhigt Andreas Katschke, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Lübeck. Auch die Preise blieben stabil. "Dafür sorgt die Konkurrenz." Katschke erwartet auch für 2012 eine leichte Steigerung des Umsatzes und der Beschäftigtenzahlen. "Unsere Konjunkturumfrage zeigt, dass 90 Prozent der Handwerker mit dem ersten Quartal zufrieden waren." 97 Prozent blicken positiv auf das laufende Quartal.

Allerdings fehlt dem Handwerk der Nachwuchs, wie aus dem Jahresbericht der Handwerkskammer hervorgeht. 2011 konnten nicht alle Ausbildungsplätze besetzt werden. Es wurden 4237 neue Ausbildungsverträge gezählt. Insgesamt gab es 11 363 aktive Lehrverhältnisse, im Vergleich zum Jahr 2010 sind das 3,8 Prozent weniger. "Das liegt auch am demografischen Wandel", sagt Ulf Grünke. "Wenn es weniger junge Menschen gibt, können auch weniger ausgebildet werden. Dieses Problem haben alle Wirtschaftsbereiche."

Um möglichst viele freie Stellen besetzen zu können, gibt es neben anderen Maßnahmen eine bundesweite Imagekampagne. Es laufen Werbespots, es werden Plakate geklebt. "Am Anfang waren Himmel und Erde. Den Rest haben wir gemacht", heißt es da. Oder "Selbst bei einem 0:0 haben wir zwei Tore gemacht" - passend zur Fußball-Europameisterschaft.

Zudem können Jugendliche im Berufsorientierungsprogramm des Bundesministeriums für Bildung und Forschung zwei Wochen praktische Erfahrungen in verschiedenen Ausbildungswerkstätten sammeln. In die Ausbildung zu investieren, ist eine Kernaufgabe der Zukunft. Ein Projekt der beiden Handwerkskammern in Schleswig-Holstein, "Handwerk ist mehr", hat das Ziel, mehr Lehrlinge mit Abitur oder Fachhochschulreife in die Betriebe zu holen. Zwei Mitarbeiter sollen bis zum Jahr 2013 alle Gymnasien und Schulen mit gymnasialem Teil in Schleswig-Holstein besuchen. Und im vergangenen Jahr gab es erstmals eine Informationsveranstaltung zur Fachkräftesicherung für Handwerksbetriebe. "Viele wollen einstellen, aber der Markt für gute Kräfte ist leer gefegt", sagt Ulf Grünke. Dabei sei das Handwerk attraktiv, auch wegen der Möglichkeit, sich selbstständig zu machen. "Der Weg vom Lehrling zum Chef ist relativ schnell machbar."