Norderstedt/Hamburg. Fünf Gründe, warum das Shopping-Quartier an der Grenze zwischen Norderstedt und Hamburg weniger Probleme hat als andere.

Vielerorts hat der Einzelhandel schwer zu kämpfen. Bei den Kunden ist das Geld knapp – und nicht wenige sind in Corona-Zeiten zu Online-Bestellern geworden, die zuerst im Netz Preise vergleichen und sich dann alles nach Hause bestellen. In Einkaufszentren wie dem CCU in Henstedt-Ulzburg, in Pinnebergs Innenstadt und selbst in Teilen der Hamburger City führt das zu Leerständen.

Gegenbeispiele gibt es aber auch – wie das Einkaufsquartier Schmuggelstieg, gelegen an der Grenze zwischen Norderstedt und Hamburg. Hier ist das Bild viel intakter als anderswo. Leerstände sind selten und meist nicht von Dauer. Kunden, aber auch Einzelhändler sprechen fast liebevoll von „ihrem Schmuggelstieg“. Was läuft hier anders als anderswo? Wir haben uns bei einem Ortstermin auf Spurensuche gemacht.

Grund Nr. 1: Ärzte, Friseure, Gemüseläden – alles da, in einem Quartier

„Erstmal sind wir einfach ein ziemlich gut ausgestattetes Nahversorgungszentrum“, sagt Bettina Weidemann. Und zählt auf: „Bäcker, Friseure, Schuster, Gemüsehändler, Restaurants, Reinigungen, Buchläden, Supermärkte, Apotheken, Ärzte... Sie finden fußläufig eigentlich alles, was Sie brauchen.“

Weidemann ist Mitinhaberin des Goldschmiede-Geschäfts „Tendenzen“ am Schmuggelstieg, das auch eine Filiale in Hamburg-Eppendorf hat. Und sie leitet derzeit übergangsweise mit einem Team, die Interessengemeinschaft Ochsenzoll, ein Zusammenschluss von Händlern, die auch am Schmuggelstieg ansässig sind.

Einer der wichtigen Kundenmagneten am Schmuggelstieg ist die Filiale der Bio-Supermarktkette „Alnatura“. Tobias Biedermann leitet den Markt seit zwei Jahren. Er sagt: „Hier kann man parken und dann eigentlich alles zu Fuß ablaufen. Außerdem ist da die U-Bahn-Station Ochsenzoll als Knotenpunkt. Viele können hier gut aussteigen, um etwas zu erledigen.“

Verkehrsknotenpunkte gibt es natürlich viele – und Einkaufsquartiere, die alles für den täglichen Bedarf bieten, auch. Aber etwas macht den Schmuggelstieg darüber hinaus besonders, sagt Biedermann, der zuvor unter anderem in der Hafencity gearbeitet hat. Biedermann: „Es ist schon auffällig, dass es hier sehr, sehr viele Stammkunden gibt. Die halten den Läden die Treue, auch uns. Der Umgang ist sehr freundschaftlich.“

Grund Nr. 2: Viele inhabergeführte Geschäfte – viele seit Jahren vor Ort

Regina Dieske, Inhaberin des Blumengeschäfts „Stilblüte“.
Regina Dieske, Inhaberin des Blumengeschäfts „Stilblüte“. © FMG | Claas Greite

Ein besonderer Umgang zwischen Kunden und Geschäftsleuten, herrsche hier – das betont eigentlich jeder Ladeninhaber, mit dem man spricht, aber auch Kunden sagen es. Einen Grund dafür nennt Regina Dieske, Inhaberin des Blumengeschäfts „Stilblüte“: „Hier sind sehr viele inhabergeführte Geschäfte. Unsere Kunden schätzen das sehr.“

Viele seien schon seit Jahrzehnten vor Ort. Dieske führt die „Stilblüte“ seit 35 Jahren, ähnlich lange ist auch Bettina Weidemann mit ihrer Goldschmiede vor Ort. „Da entstehen einfach besondere Beziehungen zu den Kunden, wenn die schon vor Jahren bei uns ihre Verlobungs- und Hochzeitsringe ausgesucht haben“, sagt sie.

Ganz ähnlich ist es bei der Elatus-Buchhandung am Ochsenzoll, die es schon seit 70 Jahren gibt. „Hier ist der Menschenkontakt eng, es ist eine gewachsene Gemeinschaft. Manche meiner Kunden haben hier mit ihren Großeltern ihre ersten Bücher gekauft“, sagt Aaltje Süthoff, die die Buchhandlung leitet. Früher war sie bei der Kette „Thalia“ tätig, sagt aber: „Der große Laden war mit etwas zu unpersönlich. Einen Umgang wie hier hat man in einem Einkaufszentrum nicht.“

Aaltje Süthoff von der Elatus-Buchhandlung am Ochsenzoll.
Aaltje Süthoff von der Elatus-Buchhandlung am Ochsenzoll. © FMG | Claas Greite

Die besondere Loyalität der Kunden zu den kleinen Läden habe sich etwa in der Coronazeit bemerkbar gemacht. „Wir hatten natürlich große Einschränkungen. Aber die Kunden kamen trotzdem. Die wollten offenbar ganz gezielt ihre lokalen Geschäfte unterstützen. Manche haben mir sogar gesagt, sie hätten früher bei Amazon bestellt, kämen jetzt aber zu mir!“

Kleine, inhabergeführte Läden brauchen Solidarität nicht nur von Kunden – auch faire Vermieter sind wichtig, die nicht den letzten Groschen aus einer Immobilie herauspressen wollen. Zu diesem Thema sagt Bettina Weidemann: „Ich glaube, da haben wir hier Glück am Schmuggelstieg.“

Grund Nr. 3: Besondere Auswahl und persönliche Beratung

Annette Kurt vom Modegeschäft „Level One“.
Annette Kurt vom Modegeschäft „Level One“. © FMG | Claas Greite

Inhabergeführte Läden haben gewisse Nachteile gegenüber großen Ketten, besonders, was den Einkauf anbetrifft. Aber es gibt eben auch Vorteile. Und die sind es vielleicht auch, die ihnen in Zeiten des Internets das Überleben sichern können. Dazu Annette Kurt, die das Modegeschäft „Level One“ zusammen mit ihrer Tochter betreibt: „Wenn man eine Filiale einer Kette gesehen hat, kennt man alle.“

Da sei es kein Wunder, wenn Kunden die Ware vor allem online bestellen. Bei „Level One“ hingegen sei das Sortiment sehr individuell, ändere sich außerdem laufend. „Wir sind immer in Bewegung, bekommen zwei, dreimal die Woche neue Ware.“ Für viele Kundinnen sei das ein Grund, immer mal hereinzuschauen.

Noch eine Besonderheit: Weil mit Mutter und Tochter zwei Generationen die gut sortierte Boutique betreiben, kann man auch ein breites Spektrum abdecken. „Wir haben Kundinnen zwischen 20 und 90“, sagt Annette Kurt. Und viele seien auch hier Stammkundinnen. Eine von ihnen ist Margret Göde aus Norderstedt. Sie sagt: „Ich mag kleine Läden. Da wird mehr auf meine Person geachtet.“ So sei es auch bei „Level One“: „Hier kann man ganz langsam durchgehen und wird immer persönlich beraten.“

Grund Nr. 4: Der Schmuggelstieg als Treffpunkt und Gastro-Meile

Aber wenn sie zum Schmuggelstieg kommt, dann geht es eigentlich um mehr als Einkaufen – das betont auch Margret Göde. „Das hier ist der tägliche Anlaufpunkt für meine Spaziergänge. Man trifft hier Leute. Mit vielen, die auch gerne bei Level One einkaufen, habe ich mich persönlich angefreundet“, sagt sie.

Ähnlich formuliert es eine Rentnerin aus Garstedt, die an diesem Tag am Schmuggelstieg einkauft. „Ich komme immer wieder gerne hierher, das ist attraktiver als Garstedt. Hier gibt es nette Geschäfte, man geht hier gerne Kaffee trinken, die Leute sind nett.“

Die Gewerbetreibenden haben das Glück, dass der Schmuggelstieg mit dem alten Baum und dem Flüsschen Tarpenbeck ein Ort ist, den man gerne ansteuert. Außerdem ist da die Gastronomie, die italienische Restaurants oder etwa das Schnellrestaurant „Vegan City“ bietet, das erst am 30. Oktober neu eröffnet hat. Inhaber Fatih Bicer betreibt auch das „Kapadokya“ am Schmuggelstieg, lobt die „freundliche Ecke“ Schmuggelstieg, in der es ihm „top“ gefalle. Deshalb sei er nun expandiert mit dem „Vegan City“, in dessen Räumen sich vor Kurzem noch eine Schlachterei befand.

Der Imbiss „Vegan City“ hat am 30.10. neu eröffnet, in den Räumen einer ehemaligen Schlachterei.
Der Imbiss „Vegan City“ hat am 30.10. neu eröffnet, in den Räumen einer ehemaligen Schlachterei. © FMG | Christopher Mey

Dafür, dass der Schmuggelstieg auch ein Treffpunkt ist, sorgt nicht zuletzt der Wochenmarkt, der hier jeden Donnerstag aufbaut. Und dann versuchen die Händler auch mit besonderen Events dafür zu sorgen, dass der Schmuggelstieg ein „Ort für die Seele“ ist, wie Bettina Weidemann es formuliert. Einmal im Jahr gibt es ein Weinfest, bei dem auch der „Schmuggler des Jahres“ gekürt wird. Und demnächst ist es wieder Zeit für den Weihnachtsmarkt.

Grund 5: Behutsame Modernisierung – Internet plus Stammkundschaft

Trotz der gewachsenen Struktur, trotz der jahrzehntealten Kundenbeziehungen: Auch am Schmuggelstieg gehen die Händler durchaus mit der Zeit. Und das bedeutet, auch sie setzen auf das Internet. Ein Beispiel dafür ist das Blumengeschäft Stilblüte. „Wir sind im Internet vertreten, haben deshalb ein großes Einzugsgebiet“, sagt Inhaberin Regina Dieske. Die Kunden kämen teilweise aus weiter entfernten Teilen Hamburgs, „zum Beispiel dann, wenn eine Hochzeit ausgestattet werden muss.“

Bettina Weidemann und Thomas Weidemann von der Goldschmiede „Tendenzen“.
Bettina Weidemann und Thomas Weidemann von der Goldschmiede „Tendenzen“. © FMG | Claas Greite

Ähnlich ist es bei der Goldschmiede Tendenzen. Mitinhaber Thomas Weidemann sagt: „Social Media ist mittlerweile ein ganz wichtiger Aspekt für uns. Viele junge Paare sehen sich zum Beispiel Verlobungs- und Trauringe erstmal auf unserem Instagram-Account an, bevor sie zu uns ins Geschäft kommen.“

Aber so gelinge es eben, neue Kunden zu gewinnen – über familiäre Verbindungen und Mundpropaganda hinaus. Manchmal werde dann wiederum etwas Langfristiges daraus: „Manche Leute, die bei uns ihre Eheringe gekauft haben, kommen dann zum Beispiel wieder, wenn ein Erbstück umgearbeitet werden soll.“

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