Kreis Segeberg. Jugendorganisation der NPD verteilte Flugblätter am Kalkberg. Verfassungsschutz berichtet über Extremismus im Kreis Segeberg.

Der Fall ist etwas mehr als acht Monate her, wurde damals nicht einmal publik. Doch was Anfang September 2022 bei den Karl-May-Spielen in Bad Segeberg beobachtet wurde, wirft ein Licht auf die Aktivitäten von Rechtsextremisten in der Region und wie sie auf lokaler Ebene versuchen, anknüpfungsfähig zu werden. Im Bericht des schleswig-holsteinischen Verfassungsschutzes für das Jahr 2022 wird detailliert beschrieben, wie die Jungnationalisten – also die Nachwuchsorganisation der rechtsradikalen NPD – Propaganda vor Ort betrieben.

„Volkskultur statt Cancel Culture! (...) Diese radikale Minderheit platziert ihre gestörte Ideologie in Medien, Schulen und Popkultur. Sie treibt Konzerne und Parteien vor sich her, die sich ebenfalls für jede Form der Absurdität starkmachen. Cancel Culture macht es möglich: Eine Form der Zensur, die Meinungen aus der Öffentlichkeit verdrängen soll, die linken Ideologien widersprechen.“ Worum es ging? Rund um die Figur des „Winnetou“ und die Festspiele wurde öffentlich – nicht zum ersten Mal – über die Darstellungsform amerikanischer Ureinwohner diskutiert, unter anderem in Zusammenhang mit der strittigen „kulturellen Aneignung“.

Verfassungsschutz: Neonazi-Propaganda bei Karl-May-Spielen

Die Jungnationalisten verteilten Flugblätter am Eingang zur Aufführung von „Der Ölprinz“, veröffentlichten Fotos in sozialen Medien. Allerdings ohne nennenswerten Widerhall. Laut Verfassungsschutz zeige der Begriff „Volkskultur“, der inhaltlich auf einer Stufe mit „Volksgemeinschaft“ – einem Begriff aus dem Dritten Reich – stehe, die Nähe zum Nationalsozialismus. „Die JN lehnen ethnische Vielfalt und eine pluralistische Gesellschaft ab und beziehen damit eine eindeutig verfassungsfeindliche Position“, lautet die Einschätzung.

Dennoch seien die JN „personell und organisatorisch weiterhin sehr schwach, sodass größere öffentlich wahrnehmbare politische Aktivitäten nicht zu erwarten sind. Ähnlich wie bei der Mutterpartei, sind auch die JN abhängig von einzelnen Protagonistinnen und Protagonisten“, so der Verfassungsschutz.

Neonazis: Aryan Circle nicht mehr öffentlich in Erscheinung getreten

Im Kreis waren in den letzten Jahren auch andere Gruppierungen in Erscheinung getreten. Eine ist der „Aryan Circle“. Doch öffentlich ist dieser nicht mehr sichtbar – was auch damit zu tun haben könnte, dass es mehrere Razzien gegeben hat und Mitglieder in jüngerer Vergangenheit zu Haftstrafen verurteilt worden sind. Mit den „Nationalsozialisten Bad Segeberg“ war in der Kreisstadt ein zweiter Zusammenschluss aufgetreten, doch auch von diesen sind keine Aktionen registriert worden.

Und in der Tat, wie die „Lübecker Nachrichten“ berichten, sagte der Leitende Polizeidirektor für den Kreis, Andreas Görs, kürzlich im Polizeibeirat, dass die Probleme „nicht mehr spürbar“ seien. Es gebe fast eine „Null-Lage“.

Polizeichef: Man stand Neonazis „regelrecht auf den Füßen, permanent und mit Absicht“

Seine Erklärung: Es habe viele Kontrollen auf Veranstaltungen gegeben, man habe den Personen „regelrecht auf den Füßen gestanden, permanent und mit Absicht“. Das habe wohl Wirkung erzielt, sodass „oberflächlich gesehen“ Ruhe herrsche.

„Nicht anschlussfähig in der breiten Zivilgesellschaft“, heißt es passend dazu in dem Verfassungsschutzbericht, sei die Neonazi-Szene. Dafür fördere sie „den Zusammenhalt und die Verbreitung rechtsextremistischer Ideologien innerhalb der Szene“. Es werde an „anlassbezogenen Ritualien wie dem sogenannten Heldengedenken sowie ihren regelmäßigen Treffen und Feiern“ festgehalten.

Prozess: Ab Juli muss sich ein Mann vor dem Landgericht Kiel verantworten. Er soll im Oktober 2020 nach einer AfD-Veranstaltung im Bürgerhaus von Henstedt-Ulzburg mit einem Pickup-Truck in eine Gruppe Gegendemonstranten gefahren sein, diese wurden teils schwer verletzt. Die Anklage lautet unter anderem auf versuchten Totschlag. Mit Aktionen und Flyern wird regelmäßig an den Fall erinnert.
Prozess: Ab Juli muss sich ein Mann vor dem Landgericht Kiel verantworten. Er soll im Oktober 2020 nach einer AfD-Veranstaltung im Bürgerhaus von Henstedt-Ulzburg mit einem Pickup-Truck in eine Gruppe Gegendemonstranten gefahren sein, diese wurden teils schwer verletzt. Die Anklage lautet unter anderem auf versuchten Totschlag. Mit Aktionen und Flyern wird regelmäßig an den Fall erinnert. © Christopher Mey

Kreis Segeberg: 89 Fälle politisch motivierter Kriminalität

89 Fälle politisch motivierter Kriminalität wurden 2022 im Kreis Segeberg verzeichnet, vier davon unter der Kategorie „Gewalt“. Die weiteren Taten sind diffuser, richten sich beispielsweise gegen den „demokratischen Willensbildungsprozess“ – das können auch Beleidigungen auf Wahlplakaten oder deren Zerstörung sein. Nicht immer lassen sich diese aber eindeutig einer Richtung zuordnen.

Nicht genannt im Bericht, aber weiterhin präsent, ist ein Ereignis vom 17. Oktober 2020: Ein damals 19-Jähriger fuhr in Henstedt-Ulzburg nach einer AfD-Veranstaltung in eine Gruppe von Gegendemonstranten, die sich auf einem Gehweg aufhielt, verletzte diese zum Teil schwer.

Anschlag mit Auto: Prozess gegen Fahrer beginnt im Juli

Nach aufwendiger, mehrjähriger Ermittlung beginnt am 3. Juli der Prozess am Landgericht Kiel. Die schwerwiegende Anklage lautet unter anderem auf versuchten Totschlag, dem Mann aus Föhrden-Barl, er wird der rechten Szene zugeordnet, droht eine mehrjährige Haftstrafe.

Der Fall hatte die linke Szene in der Metropolregion aufgerüttelt, sie erinnert regelmäßig mit Aktionen hieran, auch in Henstedt-Ulzburg gibt es ein eher bürgerliches „Bündnis für Demokratie und Vielfalt“, das kürzlich wieder eine Mahnwache am Tatort abhielt. Für den Prozess ist bereits eine Kundgebung vor Ort in Kiel angekündigt.

Ein deutsch-iranischer Unternehmer aus Norderstedt wurde wegen illegaler Ausfuhr von Forschungs- und Labortechnik und Verstoß gegen ein EU-Embargo zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt.
Ein deutsch-iranischer Unternehmer aus Norderstedt wurde wegen illegaler Ausfuhr von Forschungs- und Labortechnik und Verstoß gegen ein EU-Embargo zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt. © dpa | Markus Scholz

Massenvernichtungswaffen: Illegale Ausfuhr – Unternehmer aus Norderstedt verurteilt

Und dann beschreibt der Verfassungsschutz noch einen außergewöhnlichen Fall aus Norderstedt, der im Zusammenhang mit der Proliferationsbekämpfung steht. Hier geht es darum, den illegalen Erwerb, die illegale Ausfuhr oder Abzweigung von Kenntnissen, Technologien oder Gütern zu verhindern, die für die Entwicklung von Massenvernichtungswaffen genutzt werden. Ein deutsch-iranischer Unternehmer soll Forschungs- und Laborausrüstung im Wert von über 1 Million Euro in den Iran exportiert haben – und zwar an Unternehmen, die als mutmaßliche Zwischenhändler für das Nuklear- und Raketenprogramm des Regimes gelten. Der Mann verstieß damit gegen ein EU-Embargo, dazu gegen das Außenwirtschaftsgesetz.

Er saß seit September 2021 in Haft. Nachdem die Bundesanwaltschaft gegen ihn Anklage erhoben hatte, wurde er im Januar 2023 vom Oberlandesgericht in Hamburg zu zweieinhalb Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Der Norderstedter blieb in Haft, da aus Sicht der Richter eine erhebliche Fluchtgefahr bestand. Zudem ermittelt auch die Staatsanwaltschaft Braunschweig gegen den Mann. Ihm werden 91 Fälle von gewerbsmäßiger Bestechung und Hehlerei sowie Beihilfe zur Untreue vorgeworfen, damit soll er eine Firma aus Osterode um mehr als 1 Million geschädigt haben.