Norderstedt. Da scheinen die Norderstedter Parteien ein Thema im Kommunalwahlkampf gefunden zu haben: Die Mobilität in der Stadt. Oder die Frage: Wer hat Vorfahrt: Das Auto oder das Fahrrad?
Zwischen den Grünen und den Christdemokraten in der Stadtvertretung geht es bei dem Thema gerade hoch her. Wenig überraschend fordert der grüne Spitzenkandidat Marc Muckelberg den radikalen Kurswechsel in der Norderstedter Verkehrspolitik. Als größten Hemmschuh dabei will er die CDU-Fraktion ausgemacht haben: „Die Union muss aufhören, sich weiter als Autofahrerpartei zu definieren, wenn sie es ernst meint mit einer Verbesserung der Luft- und Lebensqualität für alle Bürger und Bürgerinnen in Norderstedt“, sagt Muckelberg.
Bei der CDU reagiert Stadtvertreter Arne Michael Berg gelassen: „Das sind die albernen Beschuldigungen eines Grünen. Die müssen wir uns nicht gefallen lassen.“ Zum einen habe die CDU in der Vergangenheit aktiv dazu beigetragen, dass der Zweiradverkehr in der Stadt immer besser rollt. „Mit Joachim Brunkhorst haben sogar den Kreisradverkehrsbeauftragten in unseren Reihen“, sagt Berg.
Aber zum anderen weist die CDU das Etikett Autofahrerpartei auch nicht gänzlich zurück. „Wir sind sicherlich nicht die Partei, die Bürgern das Autofahren in Norderstedt verbieten möchte“, sagt CDU-Vorstandsmitglied Peter Holle. „Und in meinen Überlegungen zur Mobilität tendiere ich auch mit Schwerpunkt zum Auto, mit zunehmendem Anteil von Elektrotechnik und Carsharing. Moderne Mobilitätspolitik behält alle Optionen im Blick.“
Der aktuelle Streit über den Verkehr der Zukunft in Norderstedt entbrennt an der Planung für die Berliner Allee. Seit Monaten werkelt die „Pro Fahrradinitiative Norderstedt“ am Entwurf eines einseitigen Fahrradstreifens auf der Westseite der Allee, bis über die anschließende Kohfurth und zur Horst-Embacher-Allee hin.
Die Initiative ist ein Vehikel, mit dem die Stadt Norderstedt erfolgreich 2,5 Millionen Euro aus dem Fördertopf der Nationalen Klimaschutzinitiative vom Umwelt-Bundesministerium abgeschöpft hat. Mit dem Geld muss der Fahrradverkehr ausgebaut werden – und es muss bis zum 31. März 2020 ausgegeben sein.
Finanziert werden und wurden der Radfahrstreifen im zweiten Bauabschnitt der umgestalteten Ulzburger Straße, eine Pilotfahrradstraße in der Coppernicusstraße, weitere 15 Transporträder im Verleihsystem TINK, die Erweiterung der Bike-&-Ride-Anlage Haslohfurth – und eben der Radfahrstreifen auf der Berliner Allee, der um die 750.000 Euro kosten soll. Marc Muckelberg nennt die aus seiner Sicht längst überfällige Einrichtung des Radstreifens vor dem Herold-Center „einen kleinen Schritt in die richtige Richtung“ – hin zum radikalen Kurswechsel im Norderstedter Verkehr. Arne Michael Berg nennt die Planung eine verwirrende Flickschusterei.
„Der Radstreifen soll mehr Sicherheit für die Radfahrer bringen – das Gegenteil ist der Fall“, sagt Berg. Über die Embacher Allee bis zum Ende der Berliner Allee an der Ochsenzoller Straße gedacht, sorge die Verkehrsführung mit einem Potpourri an verkehrsrechtlichen Situationen für die komplette Verwirrung des Radfahrers, sagt Berg. „Auf der Embacher Allee dürfen Radfahrer gleichberechtigt mit Autos auf der Straße fahren, auf der Kohfurth fahren die Radfahrer auf dem Hochbord neben den Gehweg und auf der Berliner Allee auf dem Radstreifen auf der Straße, der in den Einmündungsbereichen, etwa am Birkenweg, auch noch verspringt.“ Außerdem fallen der Planung 25 Parkplätze für Autos zum Opfer, die für Läden und Praxen unentbehrlich seien, sagt Berg.
Die CDU sei nie für diesen Radstreifen gewesen, sagt Peter Holle. Getrieben von der Frist des Bundesministeriums für die Ausgabe der Zuschüsse, würde die Förderung des Radverkehrs nun willkürlich und ohne stimmiges Gesamtkonzept betrieben. „Für so einen Flickenteppich der Maßnahmen sind wir nicht zu haben“, sagt Holle.
Ironie des Schicksals für die CDU: In der entscheidenden Sitzung des Verkehrsausschusses, in der die Pläne des Radstreifens zur finalen Abstimmung standen, schaffte es ein Mitglied der CDU-Fraktion nicht rechtzeitig in die Sitzung – es war der verschneite 18. Januar, und das CDU-Mitglied steckte mit dem Auto im Stau. So fehlte der CDU eine Stimme zum Patt und damit zur Ablehnung des Radstreifens. Ein Malheur, das die Fraktion wurmt.
Arne Michael Berg startet einen letzten Versuch, die Planung zu verhindern: In der Stadtvertretung am Dienstag beantragt die CDU, dass der Beschluss vom 18. Januar aufgehoben und die Planung zur Beratung in den Ausschuss zurück verwiesen wird. „Wir sind ja durchaus noch zum Kompromiss bereit“, sagt Peter Holle. Die Verwaltung hat angekündigt, die Planung zu prüfen und eventuell abzuändern, Baudezernent Thomas Bosse informierte am Donnerstag im nichtöffentlichen Teil des Verkehrsausschuss die Politiker.
Ganz egal, ob der Radstreifen auf der Berliner Allee kommt oder nicht – der Konflikt Auto/Fahrrad wird weiterschwelen in der Kommunalpolitik. „Man muss zur Kenntnis nehmen, dass gerade viele ältere Bürger die weiten Wege in Norderstedt nicht mit dem Rad zurücklegen wollen – und sie wollen auch nicht auf der Straße fahren, weil sie sich da nicht sicher fühlen“, sagt Arne Michael Berg.
Mehr Artikel aus dieser Rubrik gibt's hier: Norderstedt