Sozialministerin Alheit eröffnet Musterwohnung für Menschen mit Demenz. Hier werden ehrenamtliche Wohnraumberater geschult.

Norderstedt. Dunkelheit macht ihnen Angst, Türen verleiten sie zur Flucht nach draußen, sie vergessen das Essen auf dem Herd: Dennoch können demenzkranke Menschen ihren Alltag selbstständig meistern, wenn sie ausreichend Hilfe bekommen. Wie diese Unterstützung aussehen sollte, zeigt eine Musterwohnung in Norderstedt. Schleswig-Holsteins Sozialministerin Kristin Alheit (SPD) hat das landesweite Modellprojekt gestern eröffnet.

"Ich danke all denen, die dazu beigetragen haben, dass dieses herausragende Projekt Wirklichkeit werden konnte", sagte die Ministerin. Das sind vor allem die Mitarbeiter des schleswig-holsteinischen Kompetenzzentrums für Demenz und Sponsoren, die die Schlafzimmer, Küche und Bad spendiert haben. In der Musterraumwohnung werden ehrenamtliche Wohnraumberater geschult. Sie sollen Angehörigen von Demenzkranken und auch Pflegeprofis Tipps geben, wie eine Wohnung eingerichtet sein muss, damit sich Erkrankte orientieren können und sicher fühlen. Und da hat das Team vom Kompetenzzentrum vor allem Männer im Blick. Sie seien in der ehrenamtlichen Arbeit bisher unterrepräsentiert und hätten hier die Chance, ihre beruflichen Kenntnisse und ihr neues Wissen zusammenzubringen.

Sicherheit und Vertrautheit - darum geht es vor allem. Das fängt bei den Türen an, die durch einen Vorhang verborgen oder in der Wandfarbe gestrichen werden können, um sie quasi unsichtbar zu machen. Dazu gehören ein Telefon mit extra großen Tasten und Bilder an Schranktüren, die den Demenzkranken verraten, was hinter den Türen steckt. "Wer an Demenz leidet, kann nicht hinter Türen sehen", sagt Rüdiger Wasmuth vom Kompetenzzentrum, der die Musterwohnung wesentlich gestaltet hat.

Es gibt viele nützliche Kleinigkeiten, die gar nicht so teuer sind

Ein Herd, der sich entweder nach einer vorher eingestellten Frist oder bei Überhitzung ausschaltet, und ein genauso funktionierendes Bügeleisen schaffen Sicherheit. Ausgeprägte Kontraste sind ebenfalls nötig, damit sich die Bewohner zurechtfinden. "Wenn sie von weißem Geschirr essen sollen, das auf einer weißen Tischdecke steht, verhungern sie", sagte Wasmuth. Die Liste der Details ist lang und reicht vom Trinkbecher, der unten konisch zuläuft und das Trinken ermöglicht, ohne den Kopf zu überstrecken, bis zum Bett, das sich rauf und runter fahren lässt, und der Katzendecke unter dem Teppich. Steigt ein Demenzkranker aus dem Bett auf den Teppich, klingelt die Katzendecke, die Mitbewohner hören das und sind informiert. "Es gibt viele nützliche Kleinigkeiten, die gar nicht so teuer sind", sagte Wasmuth.

Die alte Couch, das lieb gewonnene Bild oder der Plattenspieler, der schon zig Umzüge überstanden hat - damit lässt sich Vertrautheit herstellen. "Wir haben hier ganz bewusst keine supermoderne Wohnung eingerichtet", sagte Ralf Labinsky, Vorsitzender der Alzheimer-Gesellschaft Schleswig-Holstein. High-Tech-Räume hatten er und seine Mitarbeiter in Wolfsburg besichtigt. "Aber unsere Klientel lebt in einer Zeit, in der die Tür nicht per Laptop geöffnet wird und der Kühlschrank nicht meldet, dass die Milch abgelaufen ist", sagt Labinsky. Es gehe darum die Wohnungen so einzurichten, dass sich Demenzkranke in ihrer Welt wohlfühlen.

Norderstedter Musterwohnung wird vom Bundesministerium gefördert

Die Idee zu dem Projekt habe es schon lange gegeben, und die freien Räume nebenan hätten das Thema dazu gebracht loszulegen. So entstand neben dem Kompetenzzentrum im sechsten Stock am Alten Kirchenweg 33 die Musterwohnung, eins von 35 vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend geförderten Projekten. Die Musterwohnung sei wegweisend, weil sie Demenzkranke zusammenbringt mit Menschen, die den Erkrankten Unterstützung geben, schrieb Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) in ihrem Grußwort. Sie fördert das Projekt zusammen mit dem schleswig-holsteinischen Sozialministerium für drei Jahre.

Anlässlich von rund 45 000 Demenzkranken in Schleswig-Holstein unterstrich Ministerin Alheit die Bedeutung des Projekts: "Gerade für demenziell erkrankte Menschen sind Vertrautheit und Sicherheit in der eigenen Häuslichkeit ganz wichtig." Demenz bringe vielfältige Orientierungsprobleme und einen verringerten Aktionsradius mit sich. Die Betroffenen seien daher auf angemessene Wohnbedingungen besonders angewiesen. "Hier kann man sehen, welche Bedingungen dabei helfen, dass Menschen mit einer Demenz in der eigenen Wohnung verbleiben können. Und wenn das nicht mehr geht, wie ein Wohnen möglichst nah an ihren vertrauten Lebensverhältnissen ermöglicht wird. Ich wünsche mir deshalb, dass die guten Ideen von hier sich überall im Land verbreiten", so Alheit.