Lahmes Internet, kein Skype, miserabler Handy-Empfang - Ole Feldmann und sein Leid mit der alten Verkabelung im Ortsteil Wiemerskamp.

Tangstedt. Tief holt Paul McCartney Luft. Seine geschwungenen schwarzen Augenbrauen zieht er theatralisch hoch. Mit halb geschlossenen Augen und einem leichten Kopfnicken presst der Pilzkopf die Luft schließlich aus seinen Lungen: "Hey Ju", dann bricht die Stimme abrupt ab, sein Gesicht erstarrt zu einer hässlichen Fratze. Vor ihr rotiert ein Kreis aus grauen und schwarzen Punkten. Nach einer gefühlten Ewigkeit erst verschwindet er, dieser Kreis, und gibt den Beatle frei: "de. Don't make it bad. Take a sad song and ma"...

Ole Feldmann hasst den rotierenden Kreis. Und den knallgrünen Ladebalken seines Internetexplorers auch. Er begegnet den Symbolen jeden Tag, wenn er sich bei YouTube ein Video anschauen möchte und es mal wieder Ewigkeiten dauert, bis es geladen ist. Die Beatles sind seine Leidenschaft. Sich die Songs der Lieblingsband einfach so im Internet anhören, das ist Alltag für Millionen von Jugendlichen. Für Ole Feldmann nicht. Zu langsam ist seine Internetverbindung; steinzeitliche 46 Kilobit pro Sekunde seien es nur, sagt er. Zum Vergleich: In Norderstedt kann das Zweitausendfache erreicht werden. Statt lässig durch das World Wide Web zu surfen, fühlt sich der Schüler oft wie auf einem Segelboot bei Windstille.

"Ich überlege mir zweimal, wo ich draufklicke", sagt Ole. Die Ladezeiten lauern überall. Meist ruft er eine Seite auf, wendet sich von seinem schwarzen Laptop ab und macht erst einmal etwas Anderes. An Filme sei nicht zu denken. "Auch Online-Computerspiele kaufen ich und mein Bruder schon gar nicht mehr." Bitter für den begeisterten Fußballspieler, denn gegen seine Freunde "Fifa" spielen, kann er nicht - meist hakt sein Computer noch, wenn die Gegner schon über ihr Tor jubeln.

Ein paar Kilometer weiter in Tangstedt bekommen seine Freunde bald ein Glasfaserkabel bis vor die Haustür gelegt. Ole aber lebt mit seiner Mutter und dem kleinen Bruder im Ortsteil Wiemerskamp. Dort sind die Kabel so alt, dass es zu mehr nicht reicht.

240 Häuser, drei Bauernhöfe und eine Gärtnerei; keine Bank, kein Supermarkt - das ist Wiemerskamp. Im Grunde gefällt es dem 18-Jährigen in seinem Dorf. "Aber die Internetverbindung nervt mich hier gewaltig", sagt er. Wenn er über seine Heimat spricht, wird der junge Mann mit dem verschmitzen Lächeln zwangsläufig ein wenig zynisch: "Das Dorfzentrum", sagt er mit gespieltem Stolz und zeigt auf den einzigen Briefkasten des Dorfs. Daneben steht ein altes Münztelefon. "Der Kaugummi-Automat ist weg", bemerkt Ole dann. "Dass sie den so lange immer wieder aufgefüllt haben, ist ein Wunder. Der wurde ja eh nicht benutzt."

Beim Versuch zu skypen, ärgert sich der Schüler des Harksheider Gymnasiums regelmäßig am meisten. Im vergangenen Jahr ging Ole Feldmann auf große Reise, die 11. Klasse verbrachte er in den USA. In Springfield, Missouri fand er viele Freunde - und lernte auch seine Freundin kennen. Zwischen den beiden liegen Tausende von Kilometern und ein Ozean. Viele andere Paare sprechen per Internettelefonie täglich von Angesicht zu Angesicht miteinander. Bei Ole Feldmann und seiner Freundin endet schon der Versuch in gegenseitigem Geschrei, als gelte es, die Distanz auf diese Weise zu überwinden. Anstatt des Gesichts der Liebsten sieht Ole zudem nur ein verpixeltes Etwas.

Der 18-Jährige nimmt sein Dilemma mit Humor. Ihm sei bewusst, dass sich vor Jahren wohl niemand über derartige Zustände beschwert hätte. Gestresste und immer erreichbare Manager würden wahrscheinlich sogar liebend gern mit ihm tauschen. "Aber wenn man sich erst einmal daran gewöhnt hat, kommt es einem komisch vor, auf die Möglichkeiten des Internets verzichten zu müssen", sagt er.

Tangstedts Bürgermeister Hans-Detlef Taube kann die Leiden des jungen Mannes nachvollziehen. "Das ist schon eine Katastrophe hier mit dem Internet", gibt er zu. Der 73-Jährige ist zuständig für Tangstedt, und damit auch für Wiemerskamp. Seit Jahren versucht er, an der mangelnden Versorgung mit Breitbandkabeln etwas zu ändern - vergebens: "Wiemerskamp liegt einfach zu abgelegen. Kein Anbieter hat Interesse, hier Internet-Kabel zu verlegen." Pro Kilometer würde das immerhin 50 000 Euro Kosten - zu viel, um jemals die Gewinnzone zu erreichen.

Leider ist die langsame Verbindung zum Internet nicht das einzige, was am Leben in Wiemerskamp so problematisch ist. Kurznachrichten empfängt Oles Handy meist nur, wenn er aus dem Dorf hinausfährt. In seinem Haus hat er so gut wie keinen Empfang. "5000 SMS habe ich in den USA pro Monat geschrieben und war so immer mit meinen Freunden in Kontakt. Wenn mich hier jemand nach meiner Handynummer fragt, sage ich gleich dazu, dass ich die Nachrichten erst kriege, wenn es zu spät ist. Meine Freunde wissen das, ich schreibe ganz selten mit ihnen." Früher habe seine Familie einen Erdhaufen im Garten gehabt, auf dem habe er dann oft gestanden und das Handy in die Höhe gehalten. "Dann hat es manchmal geklappt", sagt Ole mit einem zynischen Lachen. Mittlerweile muss er sich auf den Gartentisch stellen, damit sein Handy wenigsten einen der magischen Striche anzeigt, die die Qualität des Empfangs offenbaren.

Magische Striche, verhasste Kreise und Balken, für städtische Verhältnisse kaum nennenswerte Busverbindungen - wer in Wiemerskamp lebt, muss das alles auf sich nehmen. Für Jugendliche wie Ole Feldmann sind die Einschränkungen am größten. Der 18-Jährige hat zwar den Führerschein, aber noch kein eigenes Auto. Aus der Schule wird er oft früher entlassen, um in einem der wenigen Busse die Heimreise anzutreten. Über eine Stunde braucht Ole Feldmann - mit dem Fahrrad wäre er schneller. Allerdings sind es auch dann noch 15 Kilometer durch den Wald. "Daran habe ich mich gewöhnt", sagt Ole Feldmann - und seine Mutter Martina bekräftigt: "Das wussten wir natürlich auch, bevor wir hier hingezogen sind. Aber in Tangstedt passiert ja auch viel. Manchmal denke ich: Wissen die überhaupt, dass es uns hier gibt?"

Derlei Vorwürfe hört Bürgermeister Taube öfter. Mittlerweile gebe es aber eine neue Möglichkeit, Wiemerskamp endlich mit der digitalen Welt zu verbinden. "In umliegenden Gemeinden wie Tangstedt und Bargfeld-Stegen stehen LTE-Sender." LTE steht für "Long Term Evolution" und gleichzeitig für Ole Feldmanns letzte Hoffnung. Durch den UMTS-Nachfolger ist es künftig möglich, auch mit dem Handy Internetgeschwindigkeiten von bis zu 300 Megabit pro Sekunde zu erreichen. Einziges Problem: In Wiemerskamp gibt es natürlich keinen Sendemast. Der nächste steht in sechs Kilometern Entfernung. "Es sollte trotzdem für eine vernünftige Verbindung reichen", sagt Bürgermeister Taube.

Ole Feldmann würde es freuen. Bis dahin bleiben ihm Geduld und Galgenhumor: "Immerhin funktioniert das Radio", sagt er verschmitzt. Da laufen die Beatles ja auch manchmal - sogar ohne stotternden McCartney.