Mehrere Studien zeigen den Einfluss der Nutzer auf die Ergebnisse. Experten raten zu kritischem Bewusstsein beim Umgang mit Internetdaten.

Hamburg/Hannover. Dass eine auf den ersten Blick harmlose Funktion ungeahnte Auswirkungen haben kann, musste Bettina Wulff unlängst schmerzlich erfahren. Eigentlich soll die automatische Vervollständigung bei der Google-Suche Nutzern dabei helfen, genau das zu finden, was sie suchen. Schon nach Eingabe von einem oder zwei Buchstaben macht die Suchmaschine Vorschläge, wie sich die Anfrage präzisieren lässt. Wie verfänglich das sein kann, zeigt sich jedoch bei der Buchstabenfolge "Be". Die von Google vorgeschlagenen Begriffskombinationen lauteten vor einigen Tagen noch "bessere Internetverbindung", "beck bordell", "berlin tag und nacht" und "bettina wulff prostituierte". Aus Sicht einiger Betroffener ist das Rufmord. Die Frage ist nur: Wer hat ihn begangen?

Tatsache ist: Die Vorschläge werden nicht von Google festgelegt, sondern von der Mehrheit der Nutzer. "Die dahinterstehende Funktion ist sehr simpel", erklärt Dr. Wolfgang Sander-Beuermann, Leiter des Suchmaschinenlabors der Leibniz-Universität Hannover. "Die Google-Rechner erstellen automatisch eine Liste der Abfragen, also der Begriffe, die von den Nutzern eingegeben werden." So erklärt es sich auch, dass sich die Liste der Vorschläge von Tag zu Tag ändern kann.

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Das Fatale daran ist jedoch, dass dieses Prinzip mitunter zu höchst unerwünschten Ergebnissen führt. Nach dem Schneeballprinzip führen die Klicks anderer Nutzer dazu, dass dem einmal eingeschlagenen Pfad immer mehr Menschen folgen. "Wir haben das vor Jahren einmal selbst ausprobiert", so der Wissenschaftler. "Dabei haben wir schnell gemerkt, dass da eine Dynamik entsteht, die sich unserer Kontrolle entzieht."

Die Probe aufs Exempel haben nun mehrere Unternehmen gemacht, die sich auf Online-Marketing im Internet spezialisiert haben. "Wir wollten den Beweis erbringen, dass sich die automatische Vervollständigung gezielt beeinflussen lässt", erklärt Sönke Strahmann, Geschäftsführer der in Köln ansässigen Firma Fairrank. Dazu ließ man 2000 Personen über 16 Wochen hinweg maximal einmal pro Woche bestimmte Eingaben machen - unter strengster Geheimhaltung. "Die Geheimniskrämerei war notwendig, weil Manipulationen natürlich nicht erlaubt sind und sich auf ungewöhnliche Weise häufende Eingaben bei den Suchmaschinenbetreibern sofort auffallen", erläutert Strahmann. Das erschreckende Ergebnis: Es sei tatsächlich möglich, auf diese Weise bestimmte Namen und Begriffe zu verknüpfen oder umgekehrt einzelne Verknüpfungen durch massenhafte Eingaben aus den Google-Listen zu drängen, so Strahmann.

In einem Folgeexperiment kamen die Experten zu einem noch alarmierenderen Schluss: Die Nutzer lassen sich von den Vorgaben der Suchmaschine tatsächlich signifikant beeinflussen. Sönke Strahmann: "Wir haben 1000 Leute nach bestimmten, ihnen unbekannten Personen und Unternehmen suchen lassen. Danach haben wir sie nach ihren Eindrücken befragt. Waren die Namen mit negativen Begriffen verknüpft, machte sich ein signifikant hoher Anteil der Probanden tatsächlich ein ungünstiges Urteil über die Betroffenen zu eigen."

Strahmann und seine Kollegen zogen daraus zwei Schlüsse: "Erstens: Man kann Meinungen in die Welt setzen, die keineswegs den Mehrheitsverhältnissen entsprechen müssen. Zweitens: Ein großer Teil der Nutzer folgt diesen Auffassungen und trägt damit dazu bei, den jeweiligen Zusammenhang noch zu verstärken." Unvorbelastete Nutzer würden damit auf vermeintliche Tatsachen gestoßen, auf die sie sonst womöglich niemals gekommen wären.

Doch wie kann man dem entgegenwirken? "Die Betreiber von Suchdiensten müssen ihre Ergebnisse ständig verbessern", fordert Strahmann. Das betrifft vor allem die heute bereits eingesetzten Filter, die unerwünschte Ergebnisse gezielt ausschließen. Google gerät damit jedoch an die Grenze des technisch Machbaren und, schlimmer noch, in die Nähe der Zensur. Ein größerer Pluralismus bei den Suchmaschinen, unter denen Google derzeit beinahe eine Monopolstellung einnimmt, würde nach Ansicht aller Experten dazu beitragen, die Situation zu entschärfen.

Außerdem raten die Initiatoren der Studie den Nutzern von Suchmaschinen zu mehr kritischem Bewusstsein. "In den vergangenen ein bis zwei Jahrzehnten sind wir alle ins digitale Informationszeitalter hineinkatapultiert worden", resümiert Sönke Strahmann. "Nun müssen wir Stück für Stück lernen, vernünftig damit umzugehen."