Positive Erlebnisse fördern: Im Kreis Segeberg gibt es Therapieangebote für Menschen, denen die Kontrolle am Computer entgleitet.

Kreis Segeberg. Klettern im Hochseilgarten, statt Spielen am Computer! Diese Therapiemöglichkeit gibt es seit einigen Monaten im Kreis Segeberg. Die Schön-Klinik Bad Bramstedt startete im vergangenen Jahr mit ihrem Behandlungskonzept "Pathologischer Computer-Gebrauch", das jetzt aktueller ist denn je: 560 000 Deutsche sind internetsüchtig, weitere 2,5 Millionen Menschen sind gefährdet. Diese Nachricht, herausgegeben von der Drogenbeauftragten der Bundesregierung, schreckte gestern auf.

Im Kreis Segeberg ist das Kapitel "Mediensucht" denn auch ein wesentlicher Bestandteil des Suchthilfeplans 2012. Aktuelle Zahlen über mediensüchtige Menschen im Kreis gibt es noch nicht, aber es gibt erste Ansätze, um diesen Menschen zu helfen. Der Landesverein für innere Mission hat in diesem Jahr erstmals ein "Fachstelle für Mediennutzung und Medienabhängigkeit" eingerichtet, die auch für den Kreis Segeberg zuständig ist. Über diese Fachstelle sollen sowohl Fachkräfte in den Suchtberatungsstellen geschult und Angebote der Beratung und Vermittlung gemacht werden.

Ein Angebot der ambulanten Rehabilitation bei Mediensucht wird im Kreis Segeberg von den zuständigen Kostenträgern bereits ermöglicht. Ist eine stationäre Behandlung nötig, wird an Fachkliniken verwiesen - bisher außerhalb von Schleswig-Holstein, seit Ende 2011 aber auch im Kreis Segeberg.

In der Bramstedter Schön-Klinik sind die ersten Patienten bereits im Herbst vergangenen Jahres stationär behandelt worden. Zurzeit unterziehen sich sechs Patienten einer speziellen verhaltstherapeutischen Therapie, die auf durchschnittlich sechs Wochen ausgelegt ist. Absolute "Abstinenz" ist Voraussetzung: Alle Patienten müssen technische Geräte, die einen Internetzugang ermöglichen, vor Beginn der Behandlung abgeben.

"Bei Kindern und Heranwachsenden können Präventionsmaßnahmen und Beratungsangebote oft recht gute Erfolge erzielen", sagt Dr. Tim Aaldering, Leitender Psychologe der Schön-Klinik. "Anders sieht es meist bei Erwachsenen aus, die ihren Computer schon jahrelang exzessiv nutzen." Wegen der Komplexität des Krankheitsbildes setzt die Schön-Klinik deshalb auf eine multimodale Therapie, die durch Ergotherapie, Sozialberatung, medizinische Behandlung und andere Elemente ergänzt wird.

Therapeutische Realität ist zum Beispiel das Klettern im Kaltenkirchener Hochseilgarten. "Positive Erlebnisse in extremen oder zumindest sehr reizintensiven Situationen in der realen Welt unterstützten die Behandlung der Betroffenen", sagt Astrid Reining, Sprecherin der Schön-Klinik. Die bisherigen Ergebnisse stimmen die Verantwortlichen in der Klinik zuversichtlich. Das Behandlungsangebot in diesem Bereich soll weiter ausgebaut werden, aber Tim Aaldering schränkt auch ein: "Für Langzeiterhebungen ist die Zeit noch zu knapp." Immerhin hat er festgestellt, dass die meisten der bisherigen Patienten im Lauf der Therapie die Entscheidung getroffen hat, die exzessive Computernutzung zu beenden.

Das Durchschnittsalter liegt zwischen 18 und 25 Jahren; der älteste Patient war 50 Jahre alt. Die Kosten für den Klinikaufenthalt tragen die Krankenkassen, weil bei allen Patienten Begleiterscheinungen vorhanden sind: Soziale Ängste, Depressionen, ADHS oder Essstörungen, ausgelöst durch die Computersucht.

Die Arbeitsgruppe "Psychatrieplanung" im Fachdienst Gesundheit des Kreises Segeberg kommt im aktuellen Suchthilfeplan zu dem Ergebnis, dass perspektivisch ein erheblich höherer Bedarf an Beratung, aber auch an Rehabilitation und nachgehender Betreuung im Kreis Segeberg nötig ist.

Der Vorsitzende des Petitionsausschusses im Kieler Landtag, Uli König (Piraten), kritisiert die Aussagen der Drogenbeauftragten: "Ist ein Smartphone-Besitzer etwa krank, nur weil er durch sein Handy 24 Stunden am Tag mit dem Internet verbunden ist?" Es werde völlig ignoriert, dass ein erheblicher Teil der Menschen ganz selbstverständlich online ist. Das Internet sei als Kommunikationsmedium zu einem Teil ihres Lebens geworden. Exzessive Internetnutzung ende oft so schnell wie sie begonnen habe.

Der suchtpolitische Sprecher der CDU-Fraktion im schleswig-holsteinischen Landtag, Volker Dornquast aus Henstedt-Ulzburg, weist die Äußerungen des Piraten-Politikers zurück: Es gehe der Bundesbeauftragten nicht um Menschen, die aus beruflichen Gründen über Onlinemedien eine ständige Erreichbarkeit sicher stellten. "Es geht um diejenigen Menschen, die ihre sozialen Kontakte abbrechen, weil sie im Internet gefangen sind. Diese Gefahr darf nicht ignoriert werden." Deshalb sei es wichtig, dass die Suchtbeauftragte der Bundesregierung auf das Problem aufmerksam mache.