Reinhart Wolff ermittelt im Fall des dreijährigen „Kellerkindes”. Heute erklären sich Landrätin und Jugendamtsleiter in Kiel.

Bad Segeberg. Die Stimme klingt monoton, der Blick wirkt gehetzt, die Gesundheit ist angeschlagen. Am Beispiel der grippegeschwächten Landrätin Jutta Hartwieg lässt sich gut ablesen, wie sehr der "Fall Bussardweg" um einen aus einem Kellerloch befreiten Dreijährigen an den zuständigen Politikern und Mitarbeitern zerrt. Georg Hoffmann, stark kritisierter Leiter des Jugendamtes, wurde von Hartwieg vergangene Woche sogar in den Kurzurlaub geschickt.

"Er sei am Rande seiner Kraft" gewesen, sagte sie nach einer Sitzung des Hauptausschusses im Kreistag. Am heutigen Donnerstag muss das Duo allerdings mit Sicherheit nicht zum letzten Mal Auskunft geben auf kritische Nachfragen. Der Sozialausschuss des schleswig-holsteinischen Landtages hat beide zu einer außerordentlichen Sitzung nach Kiel geladen. Doch zumindest werden sie dort ab 13 Uhr etwas Konkretes vorzuweisen haben.

Nach ausführlicher Debatte beschloss der Hauptausschuss einstimmig, zum nächstmöglichen Zeitpunkt mit Reinhart Wolff einen externen Fachgutachter damit zu beauftragen, die Strukturen des Jugendamtes auf Mängel zu durchleuchten sowie die Chronologie des Falles detailliert zu rekonstruieren.

Wolff, der dem Engagement bereits vor der Sitzung mündlich zugestimmt hatte, ist ein bundesweit renommierter Kinderschutzexperte, Erziehungswissenschaftlicher und Soziologe. Der 72-jährige Träger des Bundesverdienstkreuzes ist nicht nur Berater der Bundesregierung, sondern hat in ähnlichen Fällen auch schon anderen Verwaltungen geholfen - unter anderem in Schwerin oder in Bregenz (Österreich).

Eigentlich hatte der Hauptausschuss eine Arbeitsgruppe bestehend aus je einem Mitglied pro Fraktion gründen wollen, um die Vorgänge in den zuständigen Behörden und Gremien zu prüfen. Als Gegenentwurf präsentierte Jutta Hartwieg jedoch nach Rücksprache mit dem Jugendamt die Bestellung eines Experten. "Ich halte die Zielsetzung der Arbeitsgruppe für sinnvoll", sagte sie zwar. "Aber die Materie ist kompliziert. Wir bräuchten also deutlich länger als ein unabhängiger Fachgutachter."

Die Untersuchung soll also effizienter werden. Dies ist mit Sicherheit nicht verkehrt, da aufgrund des öffentlichen Interesses ein großer Zeitdruck besteht. Wolff und dessen Mitarbeiter werden in den kommenden Wochen Materialien - insbesondere die umfangreichen Fallakten - sichten, die rechtlichen Fragen hinsichtlich der Veröffentlichung von personenbezogenen Daten klären und Interviews mit allen Beteiligten führen. Hierbei sollen möglichst auch Angehörige der betroffenen Segeberger Familie zu Wort kommen.

Bereits am 18. Oktober soll ein fertiges Gutachten öffentlich vorgestellt werden. Dies könnte im Jugendhilfeausschuss geschehen, der an diesem Datum seine nächste Sitzung hat. Die Expertise von Reinhart Wolff wird insgesamt 13 157 Euro kosten.

Wohl auch, um sich etwas Freiraum zu verschaffen, stellten Hartwieg und Manfred Stankau, Fachbereichsleiter für Kinder- und Jugendhilfe, den Ausschussmitgliedern ein Paket an Verbesserungsmaßnahmen vor. Aus Hilfsplänen werden Schutzpläne, die Kontrollen strenger und engmaschiger und resistente Eltern bekommen stärkeren Druck. Dies resultiert zum Teil auch aus verschärften Kinderschutzgesetzen. "Die Standards werden ständig überarbeitet. Wir waren sowieso dabei. Dieser traurige Fall hat den Blick nur noch geschärft", sagte Jutta Hartwieg. Insgesamt gibt es aktuell im Kreis 20 bis 30 Familien einer ähnlichen Kategorie wie am Bussardweg. Auch diese werden betreut von Amtspflegern sowie von freien Trägern wie in diesem Fall der "Wiegmann-Hilfen". Diese Kooperation wird sich nicht ändern; allein schon aus Kapazitätsgründen ist das Jugendamt auf private Ambulanzen angewiesen.

Und so wiederholte Jutta Hartwieg fast schon wie ein Mantra auf die im Hauptausschuss erneuerten Vorwürfe hinsichtlich der unzureichenden Informationspolitik: "Wir wollen als Jugendamt gute Arbeit leisten. Es ist ein gutes Jugendamt, das viele Strukturfragen gut gelöst hat. Wir haben aus Überzeugung Bericht erstattet und nicht, weil wir etwas zu verheimlichen hatten."

Unabhängig der noch lange nicht beantworteten Frage, ob die internen Strukturen und Kommunikationsroutinen zu der Tragödie beigetragen haben, funktioniert der Tagesbetrieb im Jugendamt derzeit nur eingeschränkt. "Es gibt momentan mehr Kindesschutzmeldungen als zu schützende Kinder", sagte Manfred Stankau. "Jeder Großvater beansprucht das Aufenthaltsrechts seines Enkels für sich, nur weil er ihn wegen familiärer Streitigkeiten drei Wochen lang nicht sehen konnte."