Heute geht es in unserer Karl-May-Serie um die Apachen-Häuptlinge vom Kalkberg. Zwei Darsteller gelten bis heute als “Winnetou der Herzen“.

Bad Segeberg. Jeder Karl-May-Fan mag es drehen und wenden wie er mag: Winnetou hat ein Gesicht. Der französische Schauspieler Pierre Brice ist die pure Verkörperung des von Karl May erdachten Apachen-Häuptlings. Von 1988 bis 1991 verkörperte er Winnetou im wahrsten Sinne des Wortes am Segeberger Kalkberg.

Für Pierre Brice ist Winnetou Schicksal und Fluch zugleich. Er wird mit dieser Rolle identifiziert, er hat viel Geld damit verdient und ist bis heute ein Star geblieben. In Deutschland. In Frankreich hingegen ist Pierre Brice nahezu unbekannt. Die fast lebenslange Festlegung auf diese Indianerrolle hat möglicherweise verhindert, lukrative Rollenangebote aus seiner Heimat zu bekommen. Dabei hatte Brice, der in Italien und Spanien zahlreiche zweitklassige Sandalen-, Mantel- und Degenfilme gedreht hatte, zunächst überhaupt keine Ahnung, wen er in den deutschen Filmen verkörpern sollte. Den Schriftsteller Karl May kannte er nicht.

Pierre Brice glaubte fest an einen Flop der Karl-May-Filme

Er war unglücklich, weil die Rolle ihm keine schauspielerischen Entfaltungsmöglichkeiten bot, zu wenig Text hatte - Pierre Brice glaubte fest an einen weiteren Filmflop und wurde von der geradezu hysterischen Begeisterung, die ihm 1962 nach der Premiere des Films "Der Schatz im Silbersee" entgegenschlug, kalt erwischt. Anfangs war er stolz, neben dem weltberühmten Lex Barker (Old Shatterhand) spielen zu dürfen, später war er selbst der Star der deutschen Karl-May-Filme. Die Deutschen liebten ihn und er wurde mit Auszeichnungen überschüttet.

Als die Segeberger Kalkberg GmbH Pierre Brice 1987 verpflichtete (und dafür viel Geld hinblättern musste), galt der Franzose als abgetakelter Star, der vorher in der sauerländischen Provinz bei den Karl-May-Spielen in Elspe den Winnetou verkörpert hatte. Aber das Kalkül ging für beide Seiten auf: Die Zuschauerzahlen explodierten förmlich, der Franzose war plötzlich wieder ein Medienstar. Als Pierre Brice sich 1991 endgültig als Segeberger Winnetou verabschiedete, strömten die Massen wie nie zuvor: 317 395 Besucher kamen - ein Rekord für die Ewigkeit! Dachte man damals. Aber 2007 kam ein anderer Winnetoudarsteller, mit dem die alte Bestmarke geknackt wurde.

Erol Sander ist der erfolgreichste Winnetou in Bad Segeberg

TV-Star Erol Sander kann für sich in Anspruch nehmen, der bisher erfolgreichste Winnetou aller Zeiten zu sein: 320 339 Besucher kamen 2009, um "Der Schatz im Silbersee" zu sehen. Überhaupt sind die Karl-May-Inszenierungen mit Erol Sander als Hauptdarsteller Publikumsmagneten. Es gibt eine Statistik, die ausweist, dass Erol Sander der bisher zugkräftigste Winnetou ist: Von 2007 bis 2011 kamen durchschnittlich 287 057 Zuschauer pro Spielzeit. Bei Pierre Brice waren es von 1988 bis 1991 im Durchschnitt 282 085 Zuschauer.

Gojko Mitic, der den Apachen-Häuptling von 1992 bis 2006 spielte, erreichte eine Durchschnittszahl von 241 800 Besuchern, Klaus-Hagen Latwesen, Winnetou, Regisseur und Intendant von 1981 bis 1987 kam auf 124 603 Besucher. Von 1952 bis 1980 lag die Durchschnittszuschauerzahl pro Spielzeit bei 97 416 Besuchern.

Das sind nüchterne Zahlen, die noch nichts über den jeweiligen Beliebtheitsgrad der Winnetou-Darsteller aussagen. Ob der überhaupt zu ermessen ist, mag jeder für sich entscheiden. Tatsächlich gab es in Bad Segeberg 13 Winnetous - und für fast alle war es die "Rolle ihres Lebens". Das trifft sicher nicht auf Erol Sander zu, der als einziger der bisherigen Winnetou-Darsteller auch außerhalb der Karl-May-Spiele ein sehr gefragter und viel beschäftigter Schauspieler ist. Er hat viel Spaß an der Sommerrolle, die ihm zudem ein gutes Einkommen sichert. Als Star der Aufführungen ist er am Umsatz beteiligt - je mehr Zuschauer kommen, desto besser verdient er.

Zwei Darsteller gelten bis heute als "Winnetou der Herzen"

In den 60 Jahren gab es zwei Darsteller, auf die die Bezeichnung "Winnetou der Herzen" zutrifft. Klaus-Hagen Latwesen verkörperte 1975 und von 1981 bis 1987 den Häuptling. An ihn erinnern sich viele Fans der Karl-May-Aufführungen noch heute sehr gerne. Wer ihm noch einmal zum Greifen nahe sein möchte, kann am morgigen Sonnabend Glück haben: Latwesen hat sich vorgenommen, die Aufführung am 15. August um 20 Uhr zu besuchen.

Gojko Mitic ist ein Segeberger Sonderfall: Von 1992 bis 2006 verkörperte der im heutigen Serbien geborene Schauspieler sagenhafte 15-mal die Winnetou-Figur. Im Westen unbekannt, im Osten ein Star - so wurde er 1992 als Nachfolger von Pierre Brice präsentiert. Große Popularität erlangte er in der DDR als Hauptdarsteller historischer und fiktiver Indianerpersönlichkeiten in zahlreichen Defa-Indianerfilmen. Man bezeichnet ihn deshalb scherzhaft auch als den "Winnetou des Ostens", obwohl er in keinem Kinofilm jemals die Figur des Winnetou dargestellt hatte. Kurz nach der deutschen Wiedervereinigung war es ein mutiger und völlig überraschender Schritt der Kalkberg GmbH, ausgerechnet ihn als Hauptdarsteller zu präsentieren. Das Kalkül ging auf: Vor allem aus den neuen deutschen Bundesländern strömten die Besucher um "ihren" Gojko zu erleben. Seine Filme waren in der DDR das Pendant zu den Sissi-Filmen in Westdeutschland: Jedes Jahr zu Weihnachten wurden sie im Fernsehen gesendet.

Die Winnetou-Rolle prägte das Leben von Heinz-Ingo Hilgers

Aber auch bei den westdeutschen Karl-May-Besuchern kam er gut an. Der heute 72 Jahre alte Schauspieler ist immer noch gut im Geschäft: Im vergangenen Jahr löste die "Soko-Leipzig" den "Fall Gojko Mitic" - er spielte sich in diesem TV-Film natürlich selbst. Mitic lebt in Berlin in einem wunderschönen Haus mit Seegründstück und denkt gerne an seine Segeberger Zeit zurück.

Der 2004 verstorbene Heinz-Ingo Hilgers galt in früheren Jahrzehnten als der Winnetou schlechthin. 1961 spielte der geborene Duisburger, der 1948 bei Gustaf Gründgens sein Schauspielexamen ablegte, erstmals den Winnetou. Dann wieder von 1964 bis 1967, 1969 und 1970 und 1973. Diese Rolle prägte sein Leben: Er sprach Winnetou in zahlreichen Hörspielproduktionen, er absolviere zahlreiche Signier-Tourneen durch deutsche Kaufhäuser und brachte es durch die TV-Aufzeichnungen der Segeberger Spiele zu bundesweiter Popularität.

Das waren die anderen Winnetou-Darsteller, die am Kalkberg in Bad Segeberg den Apachen-Häuptling verkörperten: Hans Jürgen Stumpf (1952), Gerhard Lippert (1953), Horst Vincon (1954), Günter Hofmann (1957 und 1958), Manfred Boehm (1962), Werner Wachsmuth (1971), Thomas Schüler (1979 und 1980).

Erol Sander hat eine Option für das kommende Jahr. Eine offizielle Erklärung, ob er den Winnetou tatsächlich mindestens noch einmal spielt, gibt es noch nicht. Ein Blick ins Internet könnte weiterhelfen: Im Wikipedia-Eintrag über die Karl-May-Spiele in Bad Segeberg steht als Winnetou-Darsteller 2013 Erol Sander. Wie auch immer: Der nächste Winnetou wird es nicht leicht haben, gegen die bundesweite Popularität seines Vorgängers anzukommen.