Am 6. November wählen die Kaltenkirchener einen neuen Bürgermeister. Wir stellen heute die Kandidatin Anna Kuljurgis-Daumann vor.

Die Entscheidung der Kandidatin fiel an einem Ort, der so still war, wie es bei ihr Zuhause nie sein kann. Ein Dorf in Südfrankreich mit 15 Häusern hatte Anna Kuljurgis-Daumann für ihren "Entschleunigungsurlaub" in den beschaulichen Cevennen ausgewählt. Eine hochsommerliche Idylle in 2000 Kilometer Entfernung vom lauten, bunten und zuweilen schrillen Hamburger Stadtteil St. Georg, der stets pulsiert, sich immer bewegt und darum zu einer großen Liebe der Hamburgerin geworden ist. Die Idylle bot den ersehnten Kontrast - und die Zeit, eine ungewöhnliche Idee in die Tat umzusetzen.

"Ich sah die Möglichkeit, ganz neue Dinge zu machen"

In der Stille der Juni-Hitze hatte sich Anna Kuljurgis-Daumann vorgenommen, die pralle Sonnabend-Ausgabe des Hamburger Abendblatts zu lesen, wie sie es noch nie getan hatte: von der ersten bis zur letzten Seite inklusive sämtlicher Anzeigen. Die Seiten lagen ausgebreitet in der Ferienwohnung. Im letzten Drittel fand die 50-Jährige die Stellenanzeige, die ihre Neugierde weckte: Die Stadt Kaltenkirchen suchte einen neuen Bürgermeister. Anna Kuljurgis-Daumann legte die Zeitung kurz darauf zur Seite, warf sie aber nicht weg, sondern nahm sich vor, über den Job in der holsteinischen 20.000-Einwohner-Stadt nachzudenken.

"Ich wollte keinen Job suchen und habe mich nie mit Bürgermeister-Ausschreibungen beschäftigt", sagt Anna Kuljurgis-Daumann. Die Neugierde hielt sich dennoch konstant. Nach St. Georg zurückgekehrt, begann sie im Internet zu recherchieren, fand heraus, dass der Amtsinhaber nach vielen Streitereien abgewählt worden war und kam zu dem Ergebnis: "Das ist eine Chance. Ich sah die Möglichkeit, ganz neue Dinge zu machen." Eine Aussicht, die Anna Kuljurgis-Daumann lockte und nicht erschreckte und von der auch Kaltenkirchen profitieren soll: "Die Stadt braucht einen Menschen, der mit Herz und Verstand an die Sache herangeht. Darum ist meine Kandidatur auch für Kaltenkirchen eine Chance."

Ihre Geschichte erzählt die parteilose Bürgermeisterkandidatin im Gnosa, einem angesagten Schwulen- und Lesbentreff auf St. Georg, der für Stil und seine legendären Torten auch bei anderen Zielgruppen beliebt ist. Auf ihrem iPhone zeigt sie die Fotos ihrer beiden Mischlingshunde Lynn und Romeo ("Weil er so schöne Augen hat") und sagt: "Das ist mein Familienersatz." Die 100-Quadratmeter-Altbauwohnung liegt nur wenige Meter vom Gnosa entfernt. Die anderen Kandidaten hatten einem Hausbesuch des Hamburger Abendblatts zugestimmt und sich auf einen Plausch zwischen Wohnzimmersofa und Kinderzimmer eingelassen. Anna Kuljurgis-Daumann lehnte ab. "Das ist meine Privatsphäre", sagt sie und schlug das Gnosa vor.

Vom Gnosa in den Ratskeller? Vom Szene- ins Reihenhausviertel?

Seit 2009 lebt Anna Kuljurgis-Daumann in dieser bunten Ecke Hamburgs und machte jetzt Wahlkampf, um Bürgermeisterin im Holsteinischen zu werden. Doch wie soll das gehen? Von St. Georg nach Kaltenkirchen? Vom Gnosa in den Ratskeller? Vom Szene- ins Reihenhausviertel? Schultenhöge mit Schwarzsauer statt Christopher Street Day? Wer auf das Leben der Hamburgerin blickt, wird ihr die Entscheidung nicht ausreden, sich eine neue Aufgabe zu suchen. Der Wechsel gehört zu den Konstanten ihres Lebens. Die Energie, die jeweilige Etappe mit Ausdauer zu bestehen, ebenfalls. Anna Kuljurgis-Daumann kam 1961 in der Nähe der Hafenstadt Klaipeda, dem einstigen deutschen Memel, im litauischen Teil der Sowjetunion zur Welt.

Als die kleine Anna elf Jahre alt war, siedelten ihre deutschstämmigen Eltern in die Bundesrepublik um. "Dort war ich die Deutsche, hier in Deutschland war ich Russin", sagt sie heute über die ersten Stationen ihres Lebens. Wo Heimat sein sollte, gehörte Anna nicht dazu. Eine Erfahrung, die sie stark und unabhängig gemacht hat. Sie hätte auch daran verzweifeln können. "Ich weiß, was Integration heißt", sagt sie.

An der Hamburger Hochschule für Wirtschaft und Politik studierte sie Sozialökonomie, arbeitete in der Verwaltung der Hamburger Uni und wechselte danach in die Geschäftsstelle der Zeisehallen. Mitte der 90er-Jahren folgte ein radikaler Schnitt: die Scheidung und Reisen ins Ausland. Kuljurgis-Daumann fotografierte, verbrachte ein Jahr in New York und kehrte im Jahr 2000 nach Hamburg zurück, allerdings nur beruflich. Im uncharmantesten Teil Hamburgs, in Hammerbrook, eröffnete, sie das Bistro Tiffany und lebte mit Lynn und Romeo in einem Haus in der Einsamkeit des niedersächsischen Dorfes Göhrde im Kreis Lüchow-Dannenberg. Nächster Job war 2007 die Leitung der Cafeteria im Hamburger Einwohnerzentralamt, wo die Kandidatin bis heute mit sieben Mitarbeitern für Frühstück, Mittagessen und ein wenig Flair in dem Hammerbrookschen Bürohaus sorgt. Ein harter Job, der kaum zu schaffen ist, wenn man jeden Morgen um 5 Uhr 100 Kilometer zum Arbeitsplatz fahren muss. Anna Kuljurgis-Daumann zog nach St. Georg, gesteht allerdings heute ein, dass die Großstadt kein passendes Revier für ihre Hunde ist.

Die Kandidatin freut sich auf harte Arbeit im Rathaus

Anna Kuljurgis-Daumann ist davon überzeugt, bürgermeistern zu können, ohne eine höhere Verwaltungslaufbahn absolviert zu haben. "Man fragt auch nicht Angela Merkel, warum sie nicht im Physiklabor steht, sondern im Bundeskanzleramt arbeitet", sagt die Gastronomin, die sich auf harte Arbeit freut und den Bürgern ein Versprechen gibt: "Ich bin mit Leib und Seele dabei."

Und wenn es mit dem Job in Kaltenkirchen nicht klappt? Anna Kuljurgis-Daumann arbeitet in ihrer Cafeteria, bereitet außerdem mit einem kleinen Team ein Filmprojekt vor und überlegt, ihre vielen Fotos auszustellen oder junge Fotokünstler zu unterstützen. Oder sie wirft mal wieder einen Blick in die Zeitung: "Mein buntes Leben soll weitergehen", sagt sie

Internet www.anna-daumann.de