Friedrichsgabe ist mit 7815 Einwohnern der kleinste Norderstedter Stadtteil , aber einer mit vielen Gesichtern

Vorsichtiges Klopfen an der Tür. Filiz Yildiz öffnet, bittet herein. Aber erst die Schuhe ausziehen, schließlich sind wir hier in einer Moschee. Neun Kinder hocken auf dem Fußboden, die drei bis sieben Jahre alten Jungen und Mädchen lernen bei Filiz Yildiz Arabisch. Sie gehören zur Darul-Erkan-Gemeinde. Die Moschee finden allerdings nur Kundige. Sie liegt einige Schritte weg von der Quickborner Straße in einem Hinterhof, da, wo früher mal eine Werkstatt war.

Wieder rauf auf die Quickborner Straße und mitten rein in die Geschichte Friedrichsgabes: Wo jetzt die alte Bauernvilla steht, erblickte der Stadtteil das Licht der Welt. An der Einmündung Dreibekenweg gründete der Hamburger Kaufmann und Wohltäter Johann Daniel Lawaetz 1821 die Armenkolonie, die Keimzelle des nordwestlichen Norderstedter Stadtteils (s Info-Kasten).

Und wieder wenige Schritte weiter offenbaren moderne Wohnhäuser den Schritt in die Zukunft. Auf 200 Metern lässt sich die bunte Vielfalt Friedrichsgabes entdecken, die der Stadtteil nur denen verrät, die bereit sind, in ihn einzutauchen. Was macht den besonderen Charme Friedrichsgabes aus? "Die Kombination aus dörflichem Charakter und der verkehrsgünstigen Lage", sagt Philip Leuchtenberger, 37, von BMW Stadac in Norderstedt. Er hat einen echten Szenenwechsel hinter sich, ist von Hamburg-Eppendorf nach Friedrichsabe gezogen und fühlt sich dort mit seiner Frau und den beiden fünf und acht Jahre alten Kindern "sauwohl". Die Jungs, die in Nachbarschaft viele Spielkameraden haben, müssen nur wenige Meter bis zum neuen Riesenspielplatz an der ebenfalls neuen Lawaetzstraße zurücklegen. Rutschen, Matschgelände und die anderen Spielgeräte sind so attraktiv, dass sogar Eltern mit Kindern von weit her kommen.

"Es sind nur wenige Minuten bis zur A 7, die AKN hält vor der Tür, und man muss hier nicht auf die Annehmlichkeiten der Großstadt verzichten", sagt Leuchtenberger. Im neuen Restaurant "Veranda" könne man gut essen, die Einkaufsmöglichkeiten im neuen Nahversorgungszentrum mit Edeka- und Aldi-Markt seien ebenso ein weiterer Pluspunkt wie die Nähe zur Natur. "Ich bin in wenigen Minuten im Rantzauer Forst, wo ich zweimal in der Woche jogge", sagt Leuchtenberger.

"Ich bin hier geboren, habe hier meine Familie, Freunde und bin hier so verwurzelt, dass ich mir noch nie die Frage gestellt habe, ob ich hier wegziehen will", sagt Jürgen Klingenberg ,53. Still sei es hier, viel Grün gebe es, aber auch Gewerbe und Arbeitsplätze. Klingenberg ist Chef der Freiwilligen Feuerwehr Friedrichsgabe und damit Teil des Vereinslebens, das den Stadtteil prägt. Man kennt sich und trifft sich, mindestens einmal im Jahr, wenn die Ortswehr zum Sommerfest einlädt. Da wird zünftig gefeiert, erst vor wenigen Wochen hat Gottlieb Wendehals die Friedrichsgaber zur längsten Polonäse durch den Rantzauer Forst animiert.

Wer den Charme Friedrichsgabes nicht mit der Muttermilch eingesogen hat, wird sich nicht unbedingt auf Anhieb in den Stadtteil verlieben. Das "Dorf" beeindruckt eher auf den zweiten Blick. "Es dauert eine Weile, aber dann stellt man fest, wie viele nette Leute hier leben", sagt Eckhard Wallmann. Der Pastor, der sich mit seiner Frau Elisabeth die Pfarrstelle an der Johanneskirche teilt und mit vier Kindern gleich gegenüber dem Kirchturm an der Bahnhofstraße wohnt, hat sich intensiv mit der Geschichte auseinandergesetzt und empfiehlt Interessierten den Geschichtspfad Friedrichsgabe. Die Idee zum historischen Rundgang hatte die Friedrichsgaber Runde. Vertreter von Vereinen und Institutionen treffen sich zum Austausch, Wallmann ist einer der Motoren. Er wünscht sich ein aktiveres Stadtteilleben, ein lebendiges Zentrum und mehr politische Präsenz Friedrichsgabes. "Ich habe den Eindruck, da sind wir so ein bisschen abgehängt, die Entscheidungen werden eher von Garstedtern und Harksheidern getroffen", sagt der Pastor.

Eine wichtige Entscheidung hat auch Familie Lilienthal getroffen. Die Eltern sind mit ihren beiden Kinder Moritz, 7, und Felix, 1, ins neue Friedrichsgabe gezogen. Das heißt "Frederikspark" und schließt nach Westen an die vorhandene Bebauung an. Wohnraum für rund 1000 Menschen will die Stadt nördlich und südlich der Quickborner Straße schaffen, vor allem aber Betriebe ansieden. Die Lilienthals zählen zu den Ersten, die eines der schmucken Reihenhäuser an der Kuno-Liesenberg-Kehre bezogen haben. "Der große Vorteil ist, dass wir nur noch ein Auto brauchen", sagt Kerstin Lilienthal, 31. Ihr Mann Dirk, 44, arbeitet bei Jungheinrich und braucht nur ein paar Minuten zu Fuß für den Weg zum Arbeitsplatz. Die Familie, die bisher in Harksheide gewohnt hat, fühlt sich im neuen Haus wohl. "Hier gibt es viele junge Familien, die Kinder haben immer jemand zum Spielen", sagt die Mutter. Das neue Haus biete mehr Platz und oben eine Studio mit Dachterrasse. Auch sie schätzt die Infrastruktur, Schule, Kita und Läden, alles in der Nähe.

Die Lilienthals leben in einem Gebiet, in dem die Stadt ein altes Gesellschaftsmodell wieder beleben will: Arbeiten und Wohnen unter einem Dach. Erste Firmen sind schon da, schräg gegenüber vom Haus der Lilienthals eröffnet ein Reifenhändler, am Ende der Sackgasse hat ein Blumenhändler sein Lager, und auch zwei Installateure wollen demnächst ihre Geschäftsräume einweihen.

Südlich der Quickborner Straße ist eine "kleinteilige" Ansiedlung geplant, vor allem Büros und kleine Gewerbetreibende. Nördlich der Quickborner Straße können sich auch Produktionsbetriebe niederlassen. "Von allen Norderstedter Stadtteilen macht Friedrichsgabe den größten Sprung", sagt Norderstedts Baudezernent Thomas Bosse. Zwar sei das Filetstück der Nordport mit seiner unmittelbaren Nähe zum Flughafen. Doch im Südwesten der Stadt handele es sich um ein reines Gewerbegebiet, im Nordwesten aber werde ein Mischgebiet mit neuen Wohnbau- und Gewerbeflächen entwickelt.

Der städtebauliche Satz nach vorn werde Friedrichsgabe auch helfen, sein "Schmuddel-Image" abzustreifen. Das hat schon mit der Gründung und der Armenkolonie begonnen und sich in den 50er- und 60er-Jahren fortgesetzt. Damals hätten sowohl Hamburg als auch Firmen und Privatleute aus der Umgebung den dünn besiedelten Bereich als natürliche Müllkippe missbraucht. Die ehemaligen wilden Deponien seien inzwischen soweit saniert, dass sie unbedenklich als Gewerbeflächen genutzt werden könnten.

Auch der Autoverwerter Kiesow habe anfangs nicht gerade dazu beigetragen, den Ruf des Stadtteils zu schönen. Inzwischen habe das Unternehmen den Betrieb mehrfach modernisiert und sei als größter Autoverwerter Norddeutschlands nicht nur ein Magnet für Bastler, sondern auch ein wichtiger Gewerbesteuerzahler.

Auch das Umspannwerk habe keinen Imagegewinn gebracht. Ein solches Werk, vor allem eins dieser Größe, mit den vielen stählernen Masten und elektrischen Leitungen, würden die Menschen automatisch mit Gefahr und Bedrohung verbinden. Dabei habe das Umspannwerk in Friedrichsgabe enorme Bedeutung: Von hier aus versorge Vattenfall zwei Drittel der Hamburger Bevölkerung mit Strom.

"Das Umspannwerk erschwert uns auch weitere Projekte. Zum einen können wir den Nord-Süd-Radweg nicht einfach unter den Leitungen fortsetzen. Zum anderen ist es auch schwierig, Betriebe zu finden, die sich dort ansiedeln wollen", sagt der Baudezernent, der im äußersten Nordwesten an der Grenze zu Quickborn eine Versorgungslücke schließen will: Hier soll ein Baumarkt, ein Möbelhaus oder ein Elektronik-Markt öffnen.

Sehr viel konkreter ist da schon die Verlängerung der Oadby-and-Wigston-Straße nach Norden und Osten. Der Bau der neuen Straße teilt sich in zwei Abschnitte. Basis und Herzstück ist die Verlängerung, die von der Waldstraße erst nach Norden verläuft und dann nach Osten abknickt, um in Höhe des neuen Penny-Marktes auf die Ulzburger Straße zu stoßen. 1,8 Kilometer lang wird dieses Teilstück, das, wie so viele neue Straßen, seit Jahrzehnten Stadtplaner und Kommunalpolitiker beschäftigt, nun aber offensichtlich kurz vor dem endgültigen Okay der Landesplanung in Kiel steht. "Wir rechnen damit, dass der Planfeststellungsbeschluss noch in diesem Jahr kommt", sagt Bosse.

Dann könnten die Arbeiter im kommenden Jahr anrücken, um die zweispurige Straße, die zwischen sieben und 7,50 Meter breit werden soll, zu bauen. Der Plan sieht vor, dass die Trasse unter den AKN-Gleisen hindurch geführt wird. Eine Vegetationswand soll Anwohner vor Lärm schützen. Ist die Straße fertig, wird der Friedrichsgaber Weg abgebunden. Dann dürften die Anlieger jubeln, sie leiden unter dem Durchgangsverkehr und kämpfen seit Jahren für die Entlastungsstraße, die rund neun Millionen Mark kosten wird.

In einem zweiten Schritt will die Stadt dann die Verbindung von der neuen Trasse zur Lawaetzstraße schaffen und damit den Verkehrsring um die Stadt schließen.

Offiziell gibt es die Stadtteile nicht mehr, sondern nur noch Norderstedt. Dennoch sehen sich viele noch als Garstedter, Glashütter, Friedrichsgaber und Harksheider. In einer Serie stellen wir die vier Ursprungsgemeinden vor.