Der Alkohol floss in Strömen, und die T-Shirts wirkten martialisch - doch die Polizei hatte auch dieses Mal in Wacken wieder wenig zu tun.

Wacken. Die T-Shirt-Botschaften der Wacken-Besucher sprechen eine deutliche Sprache. So scheint es jedenfalls. "Satan Inside" heißt es da, oder "Ich töte für Metal". Bands wie Cannibal Corpse und Pain wird ebenso gehuldigt wie Testament und Napalm Death - optisch "verfeinert" wahlweise mit skelettierten Körpern, Teufelssymbolik oder abfotografierten Musikern, die den Anschein erwecken, als hätten sie schon seit Jahren die Sonne nicht mehr gesehen.

77 000 derart gekleidete Gestalten drei Tage lang an einem Ort, das muss doch Probleme geben, zumal wenn das Bier in Strömen fließt. Jedoch: Das Gegenteil ist der Fall. "Wir erleben hier nicht nur das größte, sondern auch das friedlichste Metal-Festival der Welt", verkünden die Veranstalter am Sonnabend voller Stolz, und darauf deutet auch die offizielle Stellungnahme der Itzehoer Polizei hin: "Die Teilnehmer haben es uns bei der Jubiläumsveranstaltung leicht gemacht", erklärte deren Pressesprecher Michael Baudzus. Lediglich 17 Anzeigen wegen Körperverletzung habe es gegeben - angesichts des Andrangs an den drei Festivaltagen sehr wenig.

Tatsächlich ist es nicht übertrieben, wenn Sängerin Doro Pesch (45), die weibliche Ikone der deutschen Metal-Szene, von Wacken als einem "Familientreffen" spricht. Man teilt die Begeisterung für die Musik, freut sich darauf, alte Bekannte zu treffen und neue Gesichter zu sehen. Zum Beispiel die der Brasilianer, Argentinier, Mexikaner, Spanier, Dänen, Schweden, Japaner usw., die ihren Jahresurlaub und viel Geld opfern, um in Wacken dabei sein zu können. Taka (43) aus Tokio ist schon zum dritten Mal hier, wegen Motörhead, seiner Lieblingsband, aber auch, weil er die Festival-Atmosphäre genießt.

Natürlich: Nebenbei wird getrunken, als gäbe es kein Morgen, und die Verkäufer an den zahlreichen Ständen auf dem Festivalgelände kommen kaum hinterher, wenn es darum geht, immer neue Becher mit Bier oder Cola-Korn zu füllen. Findige greifen gleich zum Ein-Liter-Humpen (Bier) bzw. Fünf-Liter-Eimer (Sangria), um lange Wartezeiten zu vermeiden. Noch Findigere haben Tetrapacks dabei, die im Gegensatz zu Flaschen aufs Festivalgelände gebracht werden dürfen. "Multivitaminsaft" steht auf dem Etikett oder "Eistee Pfirsich", doch die Vermutung liegt nahe, dass die mit Folie beschichteten Pappquader hochprozentige Mischungen verbergen.

Mancher lässt davon ein bisschen zu viel durch die Kehle laufen - wie der junge Mann, der am Freitagabend beim Auftritt der amerikanischen Doom-Metal-Band Trouble ansatzlos zu Boden stürzt und in Tiefschlaf verfällt. Bezeichnend, dass gleich zwei, drei Umstehende bei ihm sind und klären, ob es ernsthafte Probleme gibt oder er seinen Träumen überlassen bleiben kann. Kein Einzelfall und tatsächlich beeindruckend: Man achtet aufeinander in Wacken. Und man hat Humor, der sich ebenso auf zahlreichen Shirts findet, wie die eingangs erwähnten düster-martialischen Botschaften. "Ich kann auch ohne Alkohol aggressiv sein", heißt es da. Oder bei einer launigen Auflistung der sieben Todsünden: "Bier verschütten".

Wenig Alkoholika verschüttet dürften all jene haben, die sich in den großen Matschfeldern auf dem Festivalgelände suhlen und von einer johlenden Menge gefeiert werden. Wer sich freiwillig in die stinkende Jauche begibt, muss einfach unter dem Einfluss Bewusstsein trübender Substanzen stehen. Oder so verliebt sein, dass Körperkontakt wichtiger ist als jede Hygiene. Überhaupt spielt die Haut-an-Haut-Begegnung in Wacken eine große Rolle. Beim "Bullhead City Wrestling" (erstmals im Angebot), bei den Strip-Shows mit Publikumsbeteiligung (seit Jahren ein Erfolg) oder zwischendurch, wenn Wildfremde einander umarmen, sich zuprosten, um gemeinsam "Wackäääääääään!" zu brüllen.

Und natürlich bei den Konzerten, wenn Bands wie Heaven Shall Burn oder Machine Head ihre Metalgranaten abfeuern, das Publikum wild durcheinanderspringt und sogenannte Crowd Surfer von Hunderten Fans in Richtung Bühne durchgereicht werden. Wer dann die strahlenden Gesichter sieht, weiß, dass das Wacken Open Air im 20. Jahr weit mehr zu bieten hat als bloß Musik.

Und weil nach dem Festival immer auch vor dem Festival ist, geht's nahezu nahtlos weiter: Am heutigen Montag hat um 0 Uhr 01 der Kartenvorverkauf für die 21. Auflage vom 5. bis 7. August 2010 begonnen. Wer dann dabei sein will, sollte sich sputen. Das passende schwarze T-Shirt kann immer noch geordert oder gar selbst beschriftet werden, aber die ersten 10 000 Tickets zum Sonderpreis von 109 Euro sind in ein paar Tagen weg. Garantiert.

Videos, Bilder und ein Festival-Tagebuch gibt's unter www.abendblatt.de/kultur-live