Protestanten und Katholiken warnen vor E10, weil das Benzingemisch die Ernährungsgrundlage der Entwicklungsländer gefährde.

Schleswig/Hamburg. Die Kritiker des Biosprits haben in Norddeutschland den Segen der Kirche. Gestern warnten der evangelische Bischof Gerhard Ulrich (Schleswig) und der katholische Erzbischof Werner Thissen (Hamburg) eindringlich vor einem verstärkten Einsatz von Biokraftstoffen, weil sie ökologisch bedenklich seien und in ärmeren Ländern der Erde soziale Probleme verschärften. Grund: Statt Weizen für Brot werden dort Energiepflanzen für Benzin angebaut.

"Die ökologische Bilanz der Agrartreibstoffe kann aufgrund der Produktionsbedingungen, aber auch des schlechten Wirkungsgrades von Otto-Motoren in vielen Fällen als zweifelhaft gelten", sagte Bischof Ulrich als Chef der Nordelbischen Kirche. Deutliche Anstrengungen der Autokonzerne zur Reduzierung des Treibstoffverbrauchs würden größere Potenziale für den Klimaschutz bieten und zudem die Kosten für den Individualverkehr senken. "Die E10-Strategie soll zwar die Treibhausgasbilanz des Autoverkehrs in Deutschland verbessern", so Ulrich, "der sinnvolle und auch dringend notwendige Weg ist aber ein niedrigerer Flottenverbrauch der deutschen Fahrzeuge und eine vermehrte Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel."

Auch Christoph Störmer, Hauptpastor an der Hamburger Hauptkirche St. Petri, übte scharfe Kritik an E10. "Es ist ethisch nicht vertretbar, wenn Treibstoff aus nachwachsenden Ressourcen gewonnen wird", sagte er. Ein Ausweichen auf Getreide, Zuckerrüben und Zuckerrohr zum Herstellen von Treibstoff würde gerade in den ärmeren Ländern die Grundnahrungsmittel verknappen. "In Mexiko werden ganze Maisernten von Spekulanten vorgebucht", weiß der umweltbewusste Theologe. "Dadurch ist das Getreide so teuer geworden, dass sich viele Menschen das tägliche Maisbrot nicht mehr leisten können." Dem Zank um den Biosprit kann Störmer aber auch etwas Gutes abgewinnen. "Er offenbart die Notwendigkeit der Debatte, wo wir denn eigentlich hinwollen: nämlich zu einer Absenkung des Energieverbrauchs."

Auch in der katholischen Kirche stößt der Biokraftstoff auf Ablehnung. "Wir haben nicht nur ein Energieproblem, wir haben auch ein Welternährungsproblem", sagte Erzbischof Thissen. "Beides muss erkannt und angegangen werden." Er befürchte, dass in den Entwicklungsländern durch den Anbau von etwa Sojabohnen oder Zuckerrohr für den Biokraftstoff immer mehr Anbauflächen für Lebensmittel verloren gingen. "Für unsere Klimabilanz mag der neue Kraftstoff günstig sein", warnte Thissen. "Für das Land, in dem für den Sojabohnenanbau der Regenwald abgeholzt wird, ist die Klimabilanz jedoch verheerend."

Mit ihrer Kritik stehen die Kirchenführer nicht allein. Im aktuellen "ARD-Deutschlandtrend" lehnten es etwa zwei Drittel der Befragten ab, aus Pflanzen Kraftstoff für Autos zu gewinnen, weil dadurch Nahrungsmittel weltweit knapper und teurer werden könnten. 25 Prozent halten dies für okay, weil so weniger CO2 ausgestoßen und das Klima geschützt werden kann. Umweltaktivisten warnen nicht nur mit Blick auf die Entwicklungsländer vor Energiepflanzen. In Schleswig-Holstein bauen inzwischen so viele Landwirte Mais für Biogas-Anlagen an, dass die Landesregierung die üppige Bundesförderung für solche Anlagen begrenzen will.

Der Biosprit E10 hat einen zehnprozentigen Ethanolanteil, der aus Getreide und Zuckerrüben gewonnen wird. Angeblich vertragen 93 Prozent der Autos den Sprit, dessen Einführung stockt. Angeboten wird E10 bisher an etwa 7000 der bundesweit 15 000 Tankstellen. In Norddeutschland ist der Biosprit besonders rar. "Aral hat mit der Einführung von E10 im Osten Deutschlands begonnen, Shell im Süden", sagte die Sprecherin des Mineralölwirtschaftsverbandes, Karin Retzlaff, dem Abendblatt. Beide Konzerne wollten die Belieferung der Tankstellen schrittweise ausbauen und so dazu beitragen, dass jeder Autofahrer spätestens Ende März an seiner Tankstelle E10 erhält.

"Ich schätze, dass der Zeitplan nicht eingehalten werden kann", sagte Retzlaff. Aufgrund der E10-Debatte und der geringen Nachfrage nach Biosprit hätten die Raffinerien die Produktion bereits gedrosselt.