Wie die Kesselflicker haben sie gestritten. Doch nach dem „Benzingipfel“ sind alle so schlau wie vorher. Und für E10 sieht es nicht besser aus.

Berlin. Bundesumweltminister Norbert Röttgen hat den Autofahrern eine knifflige Aufgabe gestellt. „Tankt endlich E10“, lautet seine Devise. Wenn nicht, drohen Strafzahlungen für die Konzerne wegen zu wenig verkauften E10-Benzins – die diese auf die Spritpreise aufschlagen wollen. Der Autofahrer müsste dann wohl für das E10-Chaos zahlen. Röttgen warnt die Industrie bereits vor solchen Überlegungen. Außerdem sollen die Verbraucher auch weiterhin mögliche Langfristschäden am Motor durch den Biosprit selbst zahlen – die Hersteller von Autos und Sprit wollen hierfür auch nach dem „Benzingipfel“ keine Haftung übernehmen.

Eine Trendwende an den Zapfsäulen ist daher fraglich. Wirtschaftsminister Rainer Brüderle habe „den Röttgen voll ins Messer laufen lassen“, sagt ein Teilnehmer der „Gipfel“-Runde. Denn FDP-Mann Brüderle hielt sich vornehm zurück, während Röttgen den Rübensprit kompromisslos verteidigte. „Brüderle ist nun fein raus“, heißt es. Scheitert E10, ist das erst einmal allein Röttgens Debakel. Die „Bild-Zeitung“ verpasste ihm auf Seite Eins einen Tankrüssel und schrieb in dicken Lettern: „Dieser Minister hat’s verzapft“. Er hat das Problem, dass sich die Mineralölbranche einen schlanken Fuß macht. In einer Pressemitteilung des Mineralölwirtschaftsverbands wurde der Kompromiss zwar begrüßt, aber gleich eine Umfrage mit angehängt, wonach von 1000 Tankstellen-Kunden 570 Nein zu E10 sagen.

Die Hälfte der Biosprit-Muffel nennt als Grund, dass man sich nicht bevormunden lassen wolle, welchen Sprit man zu tanken habe. 46 Prozent wollen E10 wegen schlechter Umwelteigenschaften nicht tanken, 32 Prozent trauen den Hersteller-Aussagen zur Verträglichkeit nicht. Ob bei diesen Sorgen die „Gipfel“-Ergebnisse Abhilfe schaffen können? Denn das jetzt groß angekündigte Auslegen von Listen mit den E10-verträglichen Modellen an Tankstellen war schon vor einer Woche bei einer Pressekonferenz in Berlin angekündigt worden. Einige der im Laufe des E10-Chaos gemachten Versprechungen wurden noch mal etwas recycelt und in eine neun Punkte umfassende „Gipfelerklärung“ gepresst. „Das hätte man auch in einer Telefonkonferenz abhandeln können“, sagt Verbraucherschützer Holger Krawinkel, der mit am Tisch saß. „Mit besseren Beipackzetteln ist das Problem nicht zu lösen.“

Dem Vernehmen nach stritten Politik und Industrie fast eine halbe Stunde „wie die Kesselflicker“, wer die Portokosten von 15 bis 20 Millionen Euro für verbindliche Infobriefe des Kraftfahrt-Bundesamts an alle Fahrzeughalter mit Angaben zur E10-Verträglichkeit zahlen solle. Es gab keine Einigung, und so fallen Information auf diesem Weg aus. „Das sieht ganz schlecht aus“, sagt Krawinkel zu den Chancen für E10. Bleibt dieser Biosprit eine Pleite, könnte die Mineralölwirtschaft innerhalb recht kurzer Zeit zum alten Super mit fünf Prozent Ethanol zurückkehren.

Bei möglichen Strafzahlungen wegen E10 könnte sich der Staat nun sogar über Millionen-Zusatzeinnahmen für den Fall freuen, dass die Benzinbranche die Biokraftstoffquote von 6,25 Prozent nicht erfüllt - was diese allerdings auch auf anderem Wege schaffen könnte. Aber sie hat die erfolgreichen Ansätze etwa bei Biodiesel torpediert. Bis 2013 laufen Steuerbegünstigungen aus, und der Markt ist zusammengebrochen. „Das war der alles entscheidende Fehler in der Biokraftstoffpolitik“, sagt Grünen-Energieexperte Hans-Josef Fell.

Spätestens in einigen Wochen, wenn aus der Mineralölbranche neue Verkaufszahlen bei E10 durchsickern, wird das Theater auf Wiedervorlage kommen. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat das Problem, dass am 27. März in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg gewählt wird. „Notfalls muss die Kanzlerin ein Machtwort sprechen“, heißt es in Regierungskreisen. Dem CDU-Landeschef Röttgen würde ein E10-Aus bei einer möglichen Neuwahl in Nordrhein-Westfalen schaden – auch wenn hier bisher nur an einigen Tankstellen E10 erhältlich ist. Bis 2020 soll die Biokraftstoffquote auf knapp zehn Prozent steigen – doch was soll erst passieren, wenn dafür E15 oder E20 eingeführt wird, weil sich die komplexen Motoren immer neu darauf einstellen müssen und langwierige Tests vorgeschaltet werden müssen? Der Grünen-Energieexperte Fell ist angesichts des E10-Chaos für eine Abkehr von der Beimischungsstrategie und fordert, die Steuererleichterung für reine Biokraftstoffe – also besonders für Biodiesel – wieder einzuführen. Besonders lehrreich ist aber auch das Beispiel Schweden: Hier fahren zehntausende Autos mit fast reinen Biokraftstoffen wie E85. Mit Steuervorteilen wurden sogenannte flex-fuel-Autos in den Markt gebracht, die alle Beimischungsstufen von Ethanol vertragen. Und der Sprit wird verstärkt produziert mit Stoffen, die nicht in Konkurrenz zu Nahrungsmitteln stehen – so werden große Mengen Holzreste für die Biospritproduktion genutzt.