Anna und Andreas Graf von Bernstorff sind Ikonen der Protestbewegung. Sie kämpfen seit 30 Jahren gegen das Endlager Gorleben.

Gorleben. Adel verpflichtet. Auch zum Widerstand gegen die Atomindustrie. Da sind sich Andreas Graf von Bernstorff, 68, und seine Frau Anna, 57, einig. Gerade hier nahe Gorleben. Gerade in diesen Tagen, in denen der Castortransport von mehreren 10 000 Demonstranten und einem Großaufgebot der Polizei erwartet wird. "Ich sehe mich sonst ja durchaus als Hüter konservativer Werte", sagt der Forstwirt. "Es ist aber nicht nur unsere Aufgabe, familiäre Traditionen zu wahren, wir müssen auch im Rahmen unserer Möglichkeiten dafür sorgen, dass nachfolgende Generationen hier gute Lebensbedingungen vorfinden."

Generationsübergreifende Entscheidungen wie die über ein atomares Endlager dürften nicht mehr nur Parlamenten und Großkonzernen überlassen werden, referiert der Graf. Erst recht nicht, wenn es allzu arge Interessensverquickungen gebe. "Wir Bürger sollten in die wichtigen Entscheidungen unserer Zeit eingebunden werden. Das ist der Grund, warum auch wir uns seit 30 Jahren in die Diskussion um Castortransporte und Endlagererkundung einmischen und die ganze Sache sehr kritisch beobachten."

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Die Gräfin pustet sich eine Strähne aus der Stirn, lächelt und schenkt Kaffee nach. "Wir wollen hier kein Zwischenlager haben", sagt sie entschlossen. "Erst recht kein Endlager. Uns ist wichtig, dass es ein alternatives, transparentes Standorterkundungsverfahren gibt."

Ihr malerisches Schloss Gartow - das größte Symbol des Widerstands im Wendland - wurde 1710 erbaut und besitzt rund 100 Zimmer, so genau wissen es die von Bernstorffs gar nicht. Es ist keine zehn Kilometer vom geplanten Endlager Gorleben entfernt. Seitdem sich die Atomindustrie angesiedelt hat, sind die Bernstorffs als friedliche Demonstranten auf der Straße, in Ausschüssen und Bürgerinitiativen aktiv. Anna von Bernstorff ist noch engagierter als ihr Mann, der, so sagt er, als Oberhaupt der Familie immer ein Ohr für alle Parteien haben müsse. Anna von Bernstorff ist weniger diplomatisch. Sie ist Mitglied der Bürgerinitiative und im Vorstand der castor- und endlagerkritischen Kirche aktiv. Was die höchst umstrittene Endlagererkundung im Salzbergwerk betrifft, ist das adlige Ehepaar sogar der Hauptdorn im Auge der Atomindustrie und der Bundesregierung. Gäbe es die von Bernstorffs nicht, wäre das Endlager vielleicht schon Realität. Denn sie besitzen rund 6400 Hektar Land. Äcker, Weiden und Wälder, auf denen 15 fest angestellte und bis zu 20 Saisonkräfte arbeiten. Viel Land der von Bernstorffs liegen direkt über dem Salzstock und in unmittelbarer Nachbarschaft des Erkundungsstollens. 36 Millionen Mark hätten die Endlagerbetreiber ihm für einen Teil seiner Ländereien geboten, sagt Andreas von Bernstorff: "Das Zehnfache des üblichen Marktpreises. Aber ich bin nicht schwach geworden."

Zu viel spreche gegen das Endlager: Wassereinlagerungen im Salz, Gasvorkommen unter dem Salz, die laut einem Geheimpapier bei Bohrungen sogar zu einer Explosion geführt haben sollen, eine fehlende geschlossene Lehmschicht über dem Salz. Das alles seien eigentlich Ausschlussgründe für das Endlager, so von Bernstorff. Dass Salz sich überhaupt für die Endeinlagerung von Atommüll eigne, werde von vielen Fachleuten bezweifelt.

"Wir waren vor dem Moratorium schon mal mit der möglichen Enteignung unseres Landes konfrontiert. Jetzt bedrohen uns neue Gesetze. Der Druck, der auf uns lastet, ist enorm", sagt Anna von Bernstorff. "Planen die tatsächlich Enteignungen, werden wir sie mit Gerichtsprozessen bekämpfen. Viele im Wendland wollen, dass wir standhaft bleiben - und das werden wir", erwidert ihr Mann kämpferisch.

In den kommenden Tagen erwarten die von Bernstorffs ihre fünf Kinder, zwei Töchter und drei Söhne, 19 bis 32 Jahre alt, im Schloss unweit der Elbe. Gemeinsam werden sie wieder gegen den Castortransport demonstrieren. Anna von Bernstorff sogar mit einem gelben X und einem selbst gefertigten Banner. "Ich stell mich quer" steht mit schwarzer Schrift auf dem gelben Seidentuch. "Fried, unser Ältester, wird in zwei Jahren die Geschäfte von mir übernehmen", sagt der Graf und lehnt sich in seinem schweren Sessel zurück. "Es ist beruhigend zu wissen, dass der Nachwuchs unsere Tradition des Widerstands gegen den ganzen Wahnsinn fortführen wird", sagt die Gräfin. Und sieht dabei sehr zufrieden aus.