Vorbei ist es mit der vermeintlichen Idylle. Pastor Dieter K., der Jugendliche missbraucht haben soll, lebt weiter mitten in der Stadt.

Ahrensburg. Am Ende der Sackgasse steht das rot geklinkerte Reihenhaus von Dieter K. Eine ruhige Wohngegend mit einer innigen Nachbarschaft. Dieter K. lebt hier seit sieben Jahren mit seiner dritten Ehefrau im Haus seiner Mutter. In seiner Häuserreihe verzichteten die Familien auf Zäune, damit die Kinder quer durch die Gärten toben können. Doch Dieter K., 72 Jahre alt, Pastor im Ruhestand, ist wie ein Schatten, der sich über die 31.000-Einwohner-Stadt gelegt hat. Seit öffentlich wurde, dass er über viele Jahre hinweg Kinder und Jugendliche missbraucht haben soll, ist es vorbei mit der vermeintlichen Idylle.

Es ist ein Skandal um Vertuschung, Verharmlosung und Verschweigen, der sogar zum Rücktritt von Bischöfin Maria Jepsen führte. Wer aber ist der Mann, der den bislang größten Missbrauchsskandal auslöste? Juristisch sind die Vorwürfe für Dieter K. bislang folgenlos geblieben - die Fälle sind sämtlichst verjährt. Gesellschaftlich ist er der wohl meistgehasste Mann der Stadt. Seine 28-jährige Ehefrau ist auf Anraten des Jugendamts mit dem sechsjährigen Sohn zu einer befreundeten Familie gezogen. "Wir sind daran interessiert, dass die Situation so bleibt, und sind weiterhin im Gespräch mit der Familie", sagt Jugendamtsleiter Wilhelm Hegermann.

Verloren hat er seine 44 Jahre jüngere Frau offenbar nicht. Das zumindest berichtet ein Nachbar. Es sei ein inniger Abschied von Dieter K. und seiner Frau gewesen, sagt er. Der Auszug habe augenscheinlich an ihrem Verhältnis zueinander nichts verändert. Die Familie treffe sich noch häufig. Die Stimmung in der Siedlung indes sei schlecht. "Ich wäre froh, wenn er hier wegziehen würde", sagt er. "Viele hier machen sich Sorgen um ihre Kinder." Er sei geschockt gewesen über das Ausmaß der Missbrauchsvorwürfe. Trotz der Gerüchte, die seit Langem kursierten.

Wer in diesen Tagen mit Ahrensburgern spricht, hört genau das immer wieder. Dass Dieter K. Konfirmandinnen unter den Rock gegriffen oder besonders die Nähe von Jungen gesucht habe, wollen viele gewusst haben. Dass er seine Stiefsöhne und andere Jugendliche jahrelang sexuell missbraucht haben soll? Nein, das habe man nicht geahnt. Das Entsetzen von Gemeindemitgliedern und Bürgern ist groß.

Ebenso wie der Unmut über das lange Schweigen der Kirche zu den mutmaßlichen Taten des Geistlichen. Die Stadt Ahrensburg verzeichnete im Juli 54 Prozent mehr Kirchenaustritte als im Juli 2009. 250 Bürger kehrten seit Jahresbeginn der Kirche ihren Rücken. "Die Menschen hier sind böse darüber, wie die Kirche damit umgegangen ist", sagt Monika Strycker, deren Bäckerei am Burgweg der einzige Laden im Stadtteil Waldgut Hagen ist. "Dass sein Kollege, der davon wusste, nichts unternahm, versteht niemand."

Der Kollege ist Friedrich H. und hatte Ende Mai gegenüber der Regionalausgabe Stormarn des Hamburger Abendblatts zugegeben, bereits Ende der 80er-Jahre durch ein Opfer von den sexuellen Übergriffen des Pastors Dieter K. gewusst zu haben. Er habe damals Dieter K. zur Selbstanzeige und Therapie geraten, sagt Friedrich H. Dabei beließ er es und war fortan bemüht, dass nichts in die Öffentlichkeit dringt. Unbehelligt konnte Dieter K. sein Amt fortsetzen.

"Seine Jugendgottesdienste waren beliebt", erinnert sich Michael Rößler, der bis 2009 Küster im Kirchsaal Hagen war. Hier teilten sich Pastor Dieter K. und Pastor Friedrich H. in den 70er-, 80er- und 90er-Jahren den Dienst. "K. war eher fürs Drumherum zuständig", beschreibt Rößler dessen Aufgabenfeld, "für Feste, Jugend- und Familiengottesdienste sowie Jugend- und Familienfreizeiten. Er wusste, wie man Jugendliche begeistert. Sie hingen an ihm." Er ließ sich duzen, auch als Religionslehrer am Gymnasium. Er nahm die jungen Leute ernst, gab ihnen das Gefühl, erwachsener zu sein. Weil Dieter K. so gut mit Kindern und Jugendlichen umgehen konnte, nahm er gelegentlich auch Kinder aus der Gemeinde vorübergehend bei sich auf. Das Pastorat im Spechtweg diente jenen als Asyl, die aus schwierigen sozialen Verhältnissen stammten oder deren Eltern mit der Erziehung überfordert waren.

Es ist aus heutiger Sicht schwer nachvollziehbar, warum niemand genauer hinsah. Oder wollt es niemand sehen? Dieter K. polarisiert die Menschen in Ahrensburg. Während einige ihm sogar die Hand zur Versöhnung reichen wollen, ertragen es andere nur schwer, dass der Mann sein Leben in Ahrensburg äußerlich unerschüttert fortsetzt. In einer fremden Stadt, in der nicht jeder sein Gesicht und seine Geschichte kennt, wäre sein Leben sicherlich leichter. K. hat sich aber schon immer über gesellschaftliche Erwartungshaltungen hinweggesetzt. Aus seiner ersten Ehe, die Ende der 70er-Jahre endet, gehen ein leiblicher und ein adoptierter Sohn hervor. Der Adoptivsohn bleibt bei K.

Seine zweite Frau lernt er während einer kirchlichen Familienfreizeit kennen. Er heiratet sie 1984. Drei seiner fünf Stiefsöhne soll er während dieser Ehe regelmäßig sexuell missbraucht haben. 1989 scheitert die Ehe. Dieter K., der seit 1973 als Pastor im Kirchsaal Hagen tätig ist, bleibt weiter im Pfarrbezirk. Von 1990 bis 1994 lebt ein Pflegesohn bei ihm, der als 15-Jähriger zu ihm kommt.

Damals habe es keine Hinweise auf Missbrauch gegeben, sagt Jugendamtsleiter Wilhelm Hegermann heute. In der zweiten Hälfte der 90er-Jahre lernt Dieter K. in der kirchlichen Jugendgruppe seine dritte Ehefrau kennen. Es ist die Freundin seines Adoptivsohns. Das Mädchen verliebt sich in den 44 Jahre älteren Mann. Sie werden ein Paar.

Als sich 1999 ein Opfer von Dieter K. an die damalige Pröpstin Heide Emse wendet und ihr von sexuellem Missbrauch berichtet, ist der Pastor in Ahrensburg nicht mehr zu halten. Emse sorgt für seine Versetzung nach Neumünster in die Gefängnisseelsorge. Als K. 2001 in den vorzeitigen Ruhestand geht und nach Ahrensburg zurückkehrt, heiratet die mittlerweile 19-Jährige ihn Ende 2001. Im März 2010, als sich das Opfer von 1999 mit einem Brief an Maria Jepsen wendet, leitet die Nordelbische Kirche Ermittlungen gegen Dieter K. ein. Mittlerweile geht sie auch Vorwürfen gegen Friedrich H. wegen sexueller Übergriffe auf eine 17- und eine 18-Jährige Anfang der 80er-Jahre nach.

Seitdem ist in der evangelischen Gemeinde Ahrensburgs nichts mehr wie es war. "Hier herrscht viel Unruhe und Zerrissenheit", sagt Pastorin Anja Botta, die heute den Kirchsaal Hagen betreut. "Wir Pastoren erhalten böse Briefe und schlimme Anrufe."

Gegenüber dem Abendblatt wollten sich weder Dieter K. noch seine Frau äußern. Auch im laufenden Ermittlungsverfahren hat er noch keine Stellung zu den Vorwürfen genommen. Ein Kirchensprecher geht aber davon aus, dass er sich bald äußern wird.