Im Fall des unter Missbrauchsverdacht stehenden Ahrensburger Pastors erheben weitere Betroffene schwere Vorwürfe.

Ahrensburg. Nach dem Bekanntwerden der Missbrauchsvorwürfe gegen einen Pastor im Ruhestand der evangelischen Kirchengemeinde Ahrensburg melden sich weitere Betroffene zu Wort. Sie erzählen, dass sie in den 80er-Jahren Übergriffe erlebt, abgewehrt oder beobachtet haben. Die Stormarnausgabe des Abendblattes hat mit einigen gesprochen, die den Mann beschuldigen, der Konfirmandengruppen geleitet, Jugendfreizeiten begleitet und bis 2003 Religionsunterricht an der Stormarnschule gegeben hat.

Michael Gerber (Name geändert) hat den Pastor nach eigenen Angaben als Elfjähriger kennengelernt. Schon damals habe es Übergriffe gegeben, ebenso einige Jahre später, als Gerber einen Jugendgruppenleiterschein in der Kirchengemeinde machte. Von dem Erlebten seien ihm nur einige Bilder im Kopf geblieben. "Ich habe die Erinnerung weggeschoben. Ab einem bestimmten Zeitpunkt wird bei mir alles schwarz", sagt der heute 45-Jährige, der mehrere Therapien gemacht hat. Erst dadurch seien ihm die Zusammenhänge klar geworden. "Man spaltet das ab. Das ist ein Form des Überlebens", sagt der Ahrensburger. Es falle ihm schwer, sich auf Beziehungen einzulassen.

"Jeder hat bei dem Pastor das Gefühl bekommen, er sei einzigartig. Dieses Vertrauen hat er massiv ausgenutzt", sagt Michael Gerber. Er hofft nun, dass weitere Betroffene den Mut finden, sich zu melden. "Und ich wünsche mir, dass alle, die davon wussten - auch auf höherer Ebene - mit sich ins Gebet gehen. Diese Scheinheiligkeit muss beendet werden."

"Die Strukturen, die es ermöglicht haben, dass er so lange unbescholten blieb, müssen aufgedeckt werden", sagt Sebastian Kohn, der nach eigenen Aussagen von 1984 bis 1987 regelmäßig vom dem Pastor, seinem Stiefvater, missbraucht wurde. Er hat mit anderen Betroffenen eine Selbsthilfegruppe gegründet. Unter der Telefonnummer 0151/56 72 85 76 können sich Opfer melden - auch anonym.

Auch Konrad Albers (Name geändert) lebte in den 80er-Jahren im Haushalt des Geistlichen. Der Pastor habe mehrmals versucht, sich anzunähern, sagt der heute 39-Jährige. Er, damals 14 Jahre alt, habe sich gewehrt. "Dann habe ich mir eine Alarmanlage an meiner Zimmertür gebaut. Sobald er abends die Klinke drückte, fiel ein kleines Geduldspiel runter. Dann war ich sofort hellwach und habe die Tür zugehalten."

Einer, der damals von den Fällen erfuhr und versuchte, etwas dagegen zu unternehmen, ist Sebastian Kohns älterer Bruder. Auch ihm habe sich der Pastor genähert, das habe er als damals 23-Jähriger jedoch abgewehrt. "Als ich aber erfuhr, dass er sich seit Jahren an anderen Jugendlichen vergriffen hatte, habe ich einen Schreck bekommen." Mit seiner Freundin sei er deshalb Ende 1985 oder Anfang 1986 zu einem Kollegen des Pastors gegangen. "Wir haben ihn informiert und um Hilfe gebeten", sagt der heute 47-Jährige. "Obwohl der sonst immer für Probleme ansprechbar war, hat er sofort abgewiegelt und gesagt, wir sollten das Glück der jungen Ehe nicht stören." Gemeint sei die Ehe zwischen dem Pastor und der Mutter der Brüder gewesen. Über die Jahre sei ihm aber das ganz Ausmaß des Missbrauchs deutlich geworden, sagt der ehemalige Ahrensburger. Zwei weitere seiner Brüder seien ebenfalls von ihrem Stiefvater missbraucht worden. "Nur weil meine Brüder und meine Mutter mich ausdrücklich darum gebeten hatten, habe ich es nie rechtlich verfolgt." Heute sagt er: "Jeder, der von einem Missbrauch weiß, hat eine Verantwortung, dass das nicht weitergeht."

"Der Pastor war ein sehr charismatischer Mann", sagt Christian Behrens (Name geändert). Von 1980 an sei er drei Jahre lang von dem Geistlichen bedrängt worden, den er zwei Jahre zuvor im Religionsunterricht an der Stormarnschule kennengelernt hatte. In seiner Jugendgruppe habe der Pastor immer wieder das Thema Sexualität angesprochen. "Er hat vor uns Jugendlichen mit seiner Potenz angegeben. Das war komplett durchsexualisiert." Der Pastor habe sein ganzes Leben darauf ausgerichtet, an Jugendliche heranzukommen. "Ich befürchte, dass er all die Jahre weitergemacht hat", sagt der heute 49-Jährige, der hofft, dass sich weitere Betroffene melden. "Die Opfer sollen sehen, dass sie nicht Schuld sind."

Die Verantwortlichen in der Kirche, die den mutmaßlichen Missbrauch gedeckt hätten, schuldeten den Opfern etwas, sagt die Frau, die sich bereits 1999 an die Kirchenleitung wandte. Die heute 46-Jährige sagt: "Ich wünsche mir eine Kultur der tätigen Reue, das heißt für mich: hinsehen und Verantwortung übernehmen. Den Opfern sollte mit Respekt begegnet werden, um ihnen zumindest einen Teil der durch den sexuellen Missbrauch verloren gegangenen Würde zurückzugeben."