Ahrensburger Pastoren setzen sich für schonungslose Aufklärung ein

Ahrensburg. Die Losung des Tages hatte am Donnerstag einen bitteren Beigeschmack für die Pastoren der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Ahrensburg: "Von nun an lasse ich dich Neues hören und Verborgenes, das du nicht wusstest (Jesaja 48,6)". Denn die Vorwürfe, ein Kollege im Ruhestand habe Kinder und Jugendliche während seiner Amtszeit sexuell missbraucht, erhärten sich.

Nach dem Aufruf der Kirche, weitere Opfer mögen sich melden, klingelte das Telefon von Pastor Helgo Matthias Haak nicht nur einmal. "Die Dimensionen der Vorfälle öffnen sich nach unten", sagt der Vorsitzende des Kirchenvorstands. Gerade habe ihn eine Frau angerufen und gesagt, auch sie sei ein Opfer. Sie beschäftige sich vor allem mit der Frage, warum all die Jahre niemand zugehört habe.

Pastor Haak wird sich in den nächsten Tagen mit ihr treffen. Er ist dankbar für diese Möglichkeit: "Ich will endlich begreifen." Das offene Ohr scheint den Betroffenen nun, Jahrzehnte nach der Tat, gewiss zu sein.

Beschuldigter darf keine Amtshandlung mehr vornehmen

Gemeinsam mit seinen Kollegen ist Helgo Matthias Haak um schonungslose Aufklärung bemüht. Bei einem Krisengespräch mit Holger und Angelika Weißmann sowie Lisa Tsang ging es um die nächsten Schritte. Die Pastoren Detlev Paschen und Anja Botta waren verhindert. Der erste Beschluss der eilig einberufenen Runde: Der beschuldigte Kollege im Ruhestand darf nie wieder eine Amtshandlung in der Ahrensburger Gemeinde vornehmen. Denn auch nach seiner vorzeitigen Pensionierung 2001 war der Kirchenmann noch bei Trauungen und Beerdigungen in der Schlossstadt im Einsatz.

"Während des laufenden Disziplinarverfahrens ruhen die Amtshandlungen", sagt Thomas Kärst, stellvertretender Sprecher der Nordelbischen Kirche. Zugleich betonte er, dass nach wie vor - trotz aller Glaubwürdigkeit, die die Kirche den Aussagen der Opfer zumesse - die Ermittlungen juristisch noch nicht abgeschlossen seien. Sollte allerdings das Verfahren die Schuld beweisen, könne das am Ende bedeuten, dass der Pastor seinen Talar für immer ablegen muss, so Kärst.

Die Ahrensburger Kollegen gehen derweil in die Offensive. "Wir holen eine externe Expertin für alle Mitarbeiter ins Haus, die uns im Umgang mit Missbrauchsfällen berät", sagt Helgo Matthias Haak. "Ich hatte heute Morgen eine Andacht im Tobias-Haus und habe das Thema direkt angesprochen", sagt Angelika Weißmann, die seit 1999 im Amt ist. Sie fordert ihre Gemeinde auf: "Jetzt ist der Zeitpunkt, uns zu sagen, was Ihr darüber wisst." In ersten Reaktionen hätten einige Gemeindemitglieder die Sorge geäußert, nicht schlecht Zeugnis reden zu wollen. Die Pastorin machte jedoch klar, dass jetzt nur noch Offenheit helfe.

In den Predigten geht es am Wochenende um das Thema

Auch Angelika Weißmann war von den Übergriffen des Kollegen jahrelang nichts bekannt. Nun verstehe sie allerdings manch abwehrende Haltung ihr gegenüber in der Vergangenheit. "Die wollten mit niemandem aus der Kirche mehr etwas zu tun haben", sagte sie mit Blick auf Begegnungen in der Stadtteilgemeinde, in der zuvor der beschuldigte Pastor zuständig war.

"Ich bin fassungslos über die Vorwürfe, für mich tut sich ein Abgrund auf", sagt Holger Weißmann, der seit 1996 in Ahrensburg Pastor ist. Ihm seien schon mal Gerüchte zu Ohren gekommen, die sich jedoch nie erhärteten. Sein Eindruck war, dass "verdrängt, vertuscht und unter den Tisch gekehrt" wurde.

Lisa Tsang ist seit drei Jahren in der Gemeinde. Sie hörte erstmals im März von den Vorwürfen, als Pröpstin Margit Baumgarten die Pastoren über den Eingang des Briefes jener Frau informierte, die offiziell Vorwürfe erhebt. "Ich bin geschockt, dass so etwas möglich war. Das ist nicht die Art von Institution, für die ich angetreten bin", sagt sie. Gemeinsam entschieden die Pastoren, zu Beginn ihrer Predigten am Wochenende auf die Vorwürfe einzugehen.

Nächste Woche tagt der Kirchenvorstand und beschließt eventuell weitere Schritte.