Selbstmordattentäter greifen US-Hilfsorganisation in Kundus an. Ein getöteter Sicherheitsberater kam aus Schleswig-Holstein.

Hamburg/Kundus. Der Angriff begann um 3.30 Uhr morgens. Die Zeit vor dem Morgengrauen ist ein günstiger Moment für einen Überfall, da dann die Müdigkeit der Wachen am stärksten ist. Zunächst fuhr ein Selbstmordattentäter einen Geländewagen gegen das Tor eines Gebäudekomplexes in der afghanischen Stadt Kundus. Dann zündete er den Sprengstoff; die Explosion riss einen Wachmann mit in den Tod. Anschließend stürmten fünf bewaffnete Taliban in das Gebäude, in dem die nicht staatliche amerikanische Hilfsorganisation "Development Alternatives Inc." (DAI) untergebracht ist.

Einer der Männer sprengte sich in die Luft, vier weitere besetzten die unteren Stockwerke und lieferten den Sicherheitskräften mit automatischen Waffen und Handgranaten ein erbittertes mehrstündiges Gefecht. Im Kugelhagel starben ein Brite, ein Philippiner, ein Afghane - und ein deutscher Sicherheitsberater aus Owschlag, einer Gemeinde zwischen Rendsburg und Schleswig. Der 32-Jährige war früher Soldat der Bundesmarine gewesen.

Fast 30 Menschen wurden verletzt, sieben leichter Verwundete wurden in das Krankenhaus der Bundeswehr in Kundus eingeliefert. In der nordafghanischen Stadt hat auch das deutsche Wiederaufbauteam (PRT) seinen Stützpunkt.

Truppen der afghanischen Armee und amerikanische Nato-Soldaten griffen in das Gefecht ein, während sich die zivilen Mitarbeiter auf das Dach des fünfstöckigen Gebäudes retteten. Im Zuge des Feuerkampfes wurden alle Angreifer getötet. Wie der Sprecher der Bundeswehr in Kundus, Paul-Georg Weber, sagte, waren deutsche Truppen nicht daran beteiligt.

Die Bundesregierung in Berlin verurteilte den Anschlag "auf das Schärfste", bedauerte den Tod des Deutschen zutiefst und übermittelte Mitgefühl für die Angehörigen.

Taliban-Sprecher Sabiullah Madschahid sagte, die US-Firma sei angegriffen worden, weil sie mit den Amerikanern zusammenarbeite. Er behauptete weiter, die meisten der 52 Mitarbeiter in dem Gebäude seien bei dem Angriff getötet worden.

Im April war bereits in Kandahar im Süden Afghanistans eine 18-jährige Mitarbeiterin von DAI erschossen worden. Wie der US-Sender ABC News berichtete, seien die Morde offenbar Teil einer gezielten Taliban-Kampagne gegen ausländische Firmen.

"Development Alternatives" betreut in Afghanistan derzeit drei umfassende Hilfsprojekte, bei denen es vor allem um bessere Regierungs- und Verwaltungsfähigkeiten auch auf lokaler Ebene geht. Das Programm "Local Governance and Community Development" (LGCD) läuft in 23 der 34 afghanischen Provinzen. Doch der Versuch einer wirtschaftlichen und politischen Stabilisierung läuft den Absichten der Taliban zuwider, daher betrachten sie DAI als Feind. Hinzu kommt, dass DAI diese Projekte im Auftrag der amerikanischen Regierungsbehörde "United States Agency For International Development" (USAID) umsetzt.

Die Behörde mit Sitz im Ronald-Reagan-Building in Washington koordiniert die Außenpolitik der USA im Bereich Entwicklungszusammenarbeit. Dabei geht es vor allem um die Förderung von Demokratie und freiem Handel. Die Abkürzung ist zugleich ein Wortspiel, da AID "Hilfe" bedeutet. Der Ursprung von USAID geht auf den Marshallplan für Europa nach dem Zweiten Weltkrieg zurück, von dem besonders Deutschland stark profitierte. Die Behörde und ihre Vertragsfirmen sind auch deshalb im Visier der Taliban, weil USAID in der Vergangenheit immer wieder in den Verdacht geraten ist, gelegentlich eng mit dem US-Auslandsgeheimdienst CIA zusammenzuarbeiten. So soll USAID im Vietnamkrieg die Tarnung für die berüchtigte CIA-Operation "Phoenix" geliefert haben, einer verdeckten Aktion, bei der feindliche Guerilleros von Jagdkommandos getötet oder in "Regionalen Verhörzentren" zu Tode gefoltert wurden. Auch derzeit sind in der Krisenregion Afghanistan/Pakistan (Afpak) US-Eliteeinheiten von CIA und Streitkräften im Einsatz, um Al-Qaida- und Taliban-Führer auszuschalten.

Im benachbarten Pakistan, dessen Grenzbereich zu Afghanistan Rückzugsgebiet für al-Qaida und Taliban ist, kam es gestern wieder zu einem Terroranschlag. Beim Anschlag mutmaßlich muslimischer Selbstmordattentäter auf den Schrein des Sufi-Heiligen Abu Hassan Ali Hejvery in der Unruhestadt Lahore starben mindestens 42 Menschen, 180 weitere wurden verletzt. Wie die Behörden mitteilten, sprengte sich zunächst ein Mann in einem unterirdischen Gewölbe in die Luft, in dem Pilger ruhen und sich waschen können. Als sich die Überlebenden ins Freie flüchteten, zündete dort ein zweiter Attentäter seine Bombe. Tausende umlagerten zum Zeitpunkt der Anschläge die religiöse Stätte. Der Schrein für den persischen Sufi-Gelehrten aus dem 11. Jahrhundert habe mehrfach Drohungen erhalten, berichtete die Zeitung "The News" am Freitag. Für radikale Gruppen wie die Taliban sind die Anhänger des mystischen Sufismus Ketzer bezüglich des islamischen Glaubens.